Ich mag ja Optimismus …

Ich mag ja Optimismus …

Breaking News: Das Finanzamt prophezeit Unternehmern ein Boom-Wachstum wie in den 50er-Jahren. Zumindest, wenn man die Einkommensteuervorauszahlungsbescheide beim Wort nimmt. Und – wie das Finanzamt – die Steuerreform ignoriert.
Breaking News: Das Finanzamt prophezeit Unternehmern ein Boom-Wachstum wie in den 50er-Jahren. Zumindest, wenn man die Einkommensteuervorauszahlungsbescheide beim Wort nimmt. Und – wie das Finanzamt – die Steuerreform ignoriert.
Ach Finanzamt, ich mag ja deinen Optimismus. Während andere sich bemühen, irgendeine Form von Feelgood- oder Aufschwungsstimmung zu erzeugen, sich in schlecht sitzenden T-Shirts an die Start Up-Szene anbiedern, von Risikofreudigkeit und Unternehmergeist reden, setzt du ganz einfach Maßstäbe und lässt mit deiner Zuversicht nicht den Funken von Zweifel aufkommen.
Jedes Jahr werden die Steuervorauszahlungen für Selbstständige erhöht, jedes Jahr stärkst du den Wirtschaftsstandort Österreich durch deine unerschütterliche Zuversicht: Es wird auch kommendes Jahr wieder besser werden. Ungeachtet aller Wachstumsprognosen und -statistiken gehst du ganz einfach davon aus, dass es Wachstum geben wird. Und das gleich in der Höhe von vier Prozent. Ein Wirtschaftswachstum in der Dimension hatten wie zuletzt 1990, davor 1975.
Fein. Das ist ein Ansporn. Deutlicher kann man nicht sagen: „Wir glauben an euch, liebe Unternehmer.”

Steuerreform 2015? – Erst 2017

Zuletzt allerdings gab es ja diese vielbejubelte Steuerreform, die uns allen mehr Geld in der Tasche lassen wird, die den Konsum ankurbeln wird und die der flauen Wirtschaft auf die Sprünge helfen wird. Dass Selbstständige diese Reform erst mit der Steuererklärung 2016 spüren werden, war klar.
Dass die Berechnung der Vorauszahlungen für 2016 allerdings die Steuerreform vollkommen ignorieren, daran verschlucke ich mich dann doch etwas vor Überraschung.
Die Vorauszahlungsbeträge werden einfach so wie sie sind mit vier Prozent erhöht, ungeachtet neuer Steuertarife. Für denjenigen, der das Geld erst mal verdienen muss, bedeutet das: 2016 sind nicht vier Prozent, sondern je nach Steuerklasse bis zu rund neun Prozent mehr Gewinn notwendig, um diese Vorauszahlungen ohne Verluste erfüllen zu können. Ein Wirtschaftswachtum in dem Ausmaß gab es zuletzt 1955. Anders gerechnet: Bei gleichbleibendem Gewinn ist die Einkommensteuervorauszahlung 2016 um zehn Prozent zu hoch angesetzt.
Und bis Selbstständige dann die Segnungen der Steuerreform 2015 spüren werden, wird es also Frühling 2017 sein – wenn die Steuererklärung 2016 erledigt ist, die Vorauszahlungen geleistet sind und der Steuerbescheid dann auch den dann schon seit zwei Jahren geltenden Regeln entspricht.

Zehn Prozent zu viel kassiert

Man könnte sich jetzt natürlich auch den Papierkrieg antun und um niedrigere Vorauszahlungen ansuchen, die Vor- und Nachteile (Zinsgewinn gegen Arbeitsaufwand) durchrechnen, oder rein aus Prinzip sagen „Ich zahl das nicht.“
Mir macht eigentlich etwas anderes Sorgen: Ich für meinen Teil habe nur ungern Geld in der Buchhaltung, von dem ich weiß, dass es nicht mir gehört. Ich dränge Partner und Lieferanten darauf, schnell Rechnungen zu stellen, bezahle sie möglichst schnell, hab meine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung in Ordnung und mache sogar die Umsatzsteuervorauszahlungen möglichst schnell. Ist für mich einfach am saubersten so.
Deswegen finde ich es eben recht befremdlich, wenn das Finanzamt gerade in Zeiten, in denen Staatsschulden ein Problem sind, ganz gezielt mit neuen Schulden plant. – Fließen die Einkommensteuervorauszahlungen jetzt ernsthaft in ein Budget, werden verplant und ausgegeben? In dem Wissen, dass aller Voraussicht nach zehn Prozent davon wieder zurückgezahlt werden müssen? Oder ist die Hoffnung einfach die, dass die Betroffenen das Geld eh liegen lassen werden, weil sie froh sind, dann mal ein Jahr lang keine Nachzahlungen leisten zu müssen? Oder sind das Gedanken, die sich in der Finanzverwaltung ohnehin niemand macht?

Stiefkind Einkommensteuer

Es ist schon klar, dass die Einkommensteuer einen vergleichsweise kleinen Anteil an den Gesamtsteuereinnahmen ausmacht. 2013 waren es 3,1 Milliarden Euro (von 76,3 Milliarden Gesamtsteuereinnahmen). Die Lohnsteuer machte 2013 24,5 Milliarden aus. Da kann man schon Fehlkalkulationen in Kauf nehmen.
Das Wachstum der Einkommensteuer lag 2013 übrigens bei fast 20%, das der Lohnsteuer bei knapp über fünf Prozent. Vielleicht könnte es ja noch höher sein – wenn nicht dieses Vorauszahlungsspiel eines der schlagkräftigsten Argumente gegen das Unternehmerdasein wäre.
Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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