Mitko hat sich abgesetzt

Selbstverständlich engagiere ich für das Büro eine offizielle Reininungsfirma die angestellte Putzkräfte vermittelt. Aber Mitko war sehr hartnäckig.
Er putze diese Fenster schon seit Jahren, erklärte er, beim alten Chef, beim Chef davor, also müsse er das jetzt auch beim neuen Chef machen.

Ok, wir wurden uns irgendwann einig. Sein Werkzeug war schon etwas in die Jahre gekommen, die Fenster waren nach dem Putzen nicht immer sauberer als davor. Aber wir kamen klar miteinander.

Dann brauchte Mitko Geld. Erst war seine Frau krank – er brauchte den doppelten Lohn und wollte das überschüssige Geld beim nächsten Mal abarbeiten. Dann war es ein Vorschuss für die Stromrechnung. Ein Busticket für eine dringend notwendig gewordene Heimreise nach Bulgarien. Eine kranke Mutter. Eine verstorbene Mutter. Noch eine Heimreise. Ich bin mir nicht ganz sicher, Mitko sprach immer aufgeregt und undeutlich in schlechtem Deutsch, aber ich glaube, die Mutter war zwischendurch wieder auferstanden und noch einmal krank.
Wir waren mittlerweile bei Packagedeals – vier Mal zahlen bei Vorkasse ist fünf Mal putzen –, aber wir kamen sowieso nie wieder auf gleich.
Je tiefer Mitko in der Kreide stand, desto seltener kam er.
Die letzten 30 Euro sind noch offen.
Mit denen hat Mitko sich abgesetzt.

Als Bulgare wird man ja nicht abgeschoben. Oder?

“Da steht ‘gratis’, heast!”

Ich habe eine Schütte mit gratis Comics vor dem Büro. Da ist heißer Stoff dabei – Lucky Luke, Donald Duck, Black Hammer, auch Graphic Novels von Reprodukt oder Hefte der Austrian Superheroes. Was der Gratis Comic Tag 2018 eben so hergab.
Leute blättern, manche Kinder nehmen ganze Pakete, Großeltern sind skeptisch – das Ding ist begehrt und erfüllt seinen Zweck.

Ich hatte die Comics zuerst mit einem kleinen Metallzylinder beschwert. Der konnte nichts, war nur rund und glänzend – und wurde sehr bald geklaut.

Als nächstes legte ich einen Stein auf die Comics. Der konnte noch weniger, es war ein großer Brocken Schotter von der Baustelle nebenan. Wurde auch geklaut.

Dann hatte ich ein Stück Holz, einen trockenen Ast, auf den Comics liegen. Geklaut.

Zuletzt schließlich lag ein hässliches, dick farblos glänzend lackiertes Stück Laminatboden als Beschwerer auf den Comics. Unansehnlich, zu nichts zu gebrauchen, nicht mal zum Verheizen gut. Es hielt sich erstaunlich lange. Ich habe auch darauf aufgepasst – ich habe die Schütte weggeräumt, wenn ich Termine außerhalb des Büros hatte, und ich habe immer wieder ein Auge auf die Leute geworfen, die in der Schütte kramen.
Eines Tages kam eine ältere Frau vorbei, nahm ansatzlos das Laminatstück an sich und ging weiter Richtung Straßenbahn.
Ich bin ihr nachgelaufen und habe ihr das Brett abgenommen. Sie belehrte mich: „Da steht ‚gratis‘, heast.“

Gestern war ich länger im Büro. Draußen wurde es finster, ich habe konzentriert gearbeitet. Dann war das hässliche Laminat-Teil auch weg. Die Comics flatterten hilflos im Wind …

 

Das aktuelle Gratis Comic Tag-Heft gibt es ab morgen; am 11.5. von 10-12 beim Comictreff in der Barnabitengasse auch von den Artists signiert.

Fühl dich unbeobachtet …

Wer noch nie in einem Geschäftslokal gearbeitet hat, glaubt oft, man würde sich dort beobachtet fühlen. Aus praktischer jahrelanger Selbsterfahrung kann ich euch sagen: Es ist umgekehrt. Ich habe eher Schwierigkeiten, Kunden in Meetings bei der Sache zu behalten, weil der Blick auf die Straße so spannend ist.

Die blanken Schaufensterscheiben spiegeln von außen das Leben auf der Straße wider und geben von innen den Blick darauf frei. Die Spiegelbilder verleiten Menschen eher dazu, sich selbst zu betrachten als auch das zu achten, was dahinterliegt. Menschen bleiben oft vor den Schaufenstern stehen, richten ihre Frisur oder zupfen ihre Jacke zurecht, üben unauffällig Posen oder suchen die nächste Hausnummerntafel.

Manche sehen vielleicht auch Ausstellungsobjekte in den Auslagen an und versuchen, sich einen Reim darauf zu machen, was hier eigentlich passiert, und nur wenige lassen ihren Blick dann auch tatsächlich hinter die spiegelnde Oberfläche schweifen und nehmen dann auch wahr, dass hier Menschen sitzen.

Wie wenig wir wahrnehmen, was gerade vor uns ist, wenn wir uns nicht bewusst machen, wo wir gerade hinsehen, hat mir spätestens jene ältere Herr bewiesen, dessen Hosen etwas locker saßen. Er stellte sich vor das Schaufenster als stünde er in einem uneinsehbaren Winkel, der ihn unsichtbar machte oder allenfalls das unumgänglich notwendige den Blicken Fremder preisgab.
Dann ließ er seine Hosen runter und streifte auch die Unterhosen ab, um etwas darin zu richten.

Danach konnte er erleichtert und zufrieden seine Hose wieder hochziehen, und sich unbeobachtet fühlend, weiterziehen. Wir haben auch wirklich nicht so genau hingesehen …