Shoshana Zuboff: The Age of Surveillance Capitalism

Shoshana Zuboff: The Age of Surveillance Capitalism

Das Buch ist wohl als Kritik gemeint, bestärkt aber eher die Allmachtsphantasien rund um Tech-Giganten.

Es wird langsam ein wenig manifest – ich habe wachsende Schwierigkeiten mit amerikanischen Bestseller-Sachbüchern. Erst hinterließ Malcolm Gladwells „Talking to Stranges“ bei mir große Ratlosigkeit, jetzt habe ich mit großer Verwunderung Shoshana Zuboffs „The Age of Surveillance Capitalism“ gelesen. Die Verwunderung war dabei nicht dem Inhalt geschuldet, sondern der Tatsache, dass das Buch streckenweise euphorisch rezipiert wurde. 

Zuboff unterzieht die Geschäftsmodelle der Tech-Giganten einer kritischen Analyse. Um darin viel neues zu finden, muss man die letzten 20 Jahre schon in der Pendeluhr geschlafen haben. Insbesondere Google und Facebook sieht Zuboff als Musterbeispiele der neuen Überwachungskapitalisten. Der Grundtenor der Kritik: Konzerne beuten wie seit jeher Menschen aus, diesmal allerdings vorrangig durch Analyse und Vorhersage ihres Verhaltens. Technologieriesen sammeln Daten, analysieren sie – und verwerten das Wissen, sie schaffen immer dichtere Netze, die immer mehr Daten liefern und immer bessere Möglichkeiten bieten, das aus Analysen gewonnene Wissen anzusetzen. User, meint Zuboff, sind damit nicht einmal mehr das Produkt, sie sind bloße Kadaver, die übrig bleiben, wenn ihre Information ausgewertet wurde, sie spielen keine Rolle mehr. 

Den Konzernen und ihren Geschäftsmodellen ist es egal, was Menschen machen – solange sie ihre Tools und Netzwerke bedienen und benutzen, sind die monetarisierbare Manövriermasse, die gewinnbringend durchgeschleust werden kann. 

Das klingt nicht nett. Aber es unterliegt den gleichen etwas überzogenen Vorstellungen und Phantasien von Allmacht, Allwissen und Kontrolle, mit der eben die so kritisierten Tech-Giganten ihre Relevanz in der Welt behaupten wollen. Facebook, Google und Microsoft erzählen am laufenden Band, wie sehr und wie dicht sie die Welt vernetzen, was sie alles tun und beeinflussen können und wie unverzichtbar sie deshalb sind. Auf dieser Erzählung beruht ein großer Teil ihres Wertes, sie begründet sie Attraktivität der Branche für Investoren. Und auch dabei ist egal, wie diese Erzählung gemeint ist. Sie kann positiv formulierte Eigenwerbung sein, wenn sie von den Konzernen selbst sein, sie kann Kritik sein – solange die Erzählung von der Allmacht bekräftig wird, blühen die Geschäfte.  Und es blühen eben nicht nur die Geschäfte der Konzerne, sondern auch die der KritikerInnen.

Viel von dem, das Zuboff in Kritik verpackt, hat in den vergangenen 20 jähren verschiedene Phasen von Belustigung über Begeisterung, Gleichgültigkeit, Angst, Faszination, Hoffnung und anderen Erwartungen durchlaufen.

Smart Homes, Smart Cars, vernetzte Dinge und ähnliche Visionen beschäftigen uns in unterschiedlichen Prototypen-Stadien seit über 25 Jahren. Sie sind schleichend Realität geworden, Veränderungen sind in vielen kleinen Schritten passiert. Das hat den Vorteil, dass UserInnen immer noch Entscheidungsmöglichkeiten haben. Mit den smarten und vernetzen Devices haben sich auch Sorgen und Kritik daran gewandelt: Stand zu Zeiten des Supercomputers Hal noch die Angst vor einer übermächtigen künstlichen Intelligenz im Vordergrund, so ist jetzt die Angst vor den menschlichen Manipulatoren dieser künstlichen Intelligenzen und ihren allzumenschlichen Motiven überwiegend. 

Wir sind einer digitalen Allmacht nicht ohne jede Option ausgeliefert. Wir haben immer noch schrittweise Entscheidungsmöglichkeiten – das vereinfacht Zuboff wohl aus dramaturgischen Gründen stark. In ihrer Darstellung sind wir ausgeliefert. 

Überwachung und Datensammlung sind massiv – aber zumindest im Westen basieren sie immer noch großteils auf Konsum. Menschen nutzen Dinge, weil sie praktisch sind, weil sie es wollen; noch gibt es kaum flächendeckende Zwangsverpflichtungen. Überzogenes Datensammeln braucht immer noch jemanden, der mitmacht. Zweifellos ist dabei aber oft die Informationslage nicht ausreichend. Die Tech-Giganten sind aber durch Konsum zu Giganten geworden. Noch ist in den nicht totaliären Gesellschaften Konsum die treibende Kraft, und diese geht damit von unten aus. Auch wenn Tech-Konzerne heute einschränkend, ausgrenzend und ausschließend sind, sie wurden nur groß, weil viele Menschen etwas von ihnen wollten. Darin liegt auch nach wie vor ihr Wert. 

Zuboff ist dagegen immer um klare Fronten bemüht. In ihrer Darstellung werden Tech-Konzerne zu feindlichen Invasoren, denen Menschen ausgeliefert sind, die zuviel wissen, und deren Freiheit deshalb eingeschränkt werden muss. Sie brauchen Kontrolle.  Das ist ein heimelig-revolutionärer Ansatz, dem man möglicherweise zustimmen kann. Allerdings verfehlt dieser Punkt womöglich sein eigentliches Thema. Denn Manipulation, Falschinformation, Steuerung in Form von Druck oder Konditionierung sind keine Entwicklungen, die auf Technologie zurückgehen. Sie unterliegen psychologischen Grundsätzen – unter anderem deshalb sind diese Entwicklungen ja so erfolgreich.  Und sie sind vor allem deshalb so erfolgreich, weil sie auf menschlichem Verhalten beruhen. Menschen verhalten sich immer, dagegen kann man nichts tun. Und wer sich danach ausrichtet, wie Menschen sich am häufigsten verhalten, hat eine gute und effiziente Geschäftsgrundlage. 

Das führt zu Zuboffs zweitem Kritikpunkt, der in der Rezeption weniger beachtet wurde (dort konzentrierte man sich mehr auf die Allmacht), den ich aber für um einiges relevanter halte. Die gigantischen Ausmaße führen zu Gleichgültigkeit. Inhalte, Qualität, Anspruch, Zielsetzung – all das wird zunehmend völlig egal, was zählt, ist dass sich etwas bewegt. Was das ist, in welche Richtung es geht, ist unerheblich. Konkret: Es ist egal, wer Werbung auf Facebook bucht, es ist egal, dass SEO belanglosen redundanten Content bevorzugt, es ist egal, das Filter- und Community-Effekte in Social Networks zu Entropie und Gleichförmigkeit führen – man muss es nur wissen, sich danach ausrichten, den Trend verstärken, und schon hat man eine gute Geschäftsgrundlage. 

Das hat Effekte, die weit über den Machtbereich der Technik-Konzerne hinausgehen. Als erfolgreich, wertvoll und „gut“ gilt, wer diese Logik beherrscht und seine Geschäfte nach ihr richtet. Leichte Kategorisierbarkeit von allem, Schubladisierbarkeit und die Entsprechung zu Stereotypen sind Erfolgsfaktoren.  Reichweite und Beachtung sind Indizien von Erfolg – was und wie über etwas gesprochen wird, ist es egal, Hauptsache, es wird darüber gesprochen.

Aufmerksamkeitssurrogate in Form von Likes und Shares sind plakative Anzeichen dafür, wie Reichweite und Verbreitung inhaltliche Arbeit und Auseinandersetzung mit einer Idee ersetzt haben.  Das verändert, wie wir öffentlich auftreten, woran wir arbeiten, was wir als Gesellschaft für wichtig halten, womit wir uns beschäftigen, wem wir unsere Zeit widmen und wohin unsere Energie und Aufmerksamkeit fließen.  Dabei sind aber nicht die Tech-Konzerne die handelnden Akteure, sie sind nur die gleichgültigen Profiteure. Die Akteure sind Menschen, die auch die Wahl hätten, sich anders zu verhalten. Für sie ist es aber auch eine bequeme Taktik geworden, sich der Logik von schneller Beachtung zu unterwerfen, den Gedankengang der Pointe zu opfern und die Sorgfalt im Denken der Wiedererkennbarkeit. 

Das hat Auswirkungen darauf, wie wir überhaupt noch argumentieren. Meist ist ein Argument schon zu lang, es gehorcht nicht den Regeln der eindimensionalen Einfachheit, indem es mehr als eine Seite eines Sachverhalts beschreibt – und damit ist die Gefahr der Ablenkung schon zu groß. Der Argumentierende fällt aus dem Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, der Kunde (den dort draußen sind heute alle Kunden) wendet sich möglicherweise etwas anderem zu – das kann nicht sein, er oder sie muss schnell mit einer neuen Behauptung wieder eingefangen werden.  Behauptungen ersetzen Argumente als Kulturtechnik.  Wenn wir nicht mehr Argumentieren, dann können wir auch nicht mehr verstehen. Das ist ein Problem, gerade in einer nicht einfachen Zeit, in der viele Entscheidungen getroffen werden müssten. 

Deshalb sehe ich Auswege auch nicht in einem Rückzug in Privatheit, in der uns dicke Mauern vor Beobachtung schützen, wie Zuboff schreibt. Nichts gegen den Wunsch, auch mal unbeobachtet sein zu wollen – das ist gut und sinnvoll, löst aber wenig Probleme.  Wir brauchen mehr hartnäckige, lästige, bohrende, fragende und argumentierende Öffentlichkeit, in der Machtverhältnisse weniger dazu genutzt werden können, andere vom Tisch zu wischen, in der jene, die andere nicht ausreden lassen, die nicht zuhören, die nicht argumentieren, nicht jene sind, die Bewunderung für Entschlossenheit und Prägnanz einheimsen.  Das liegt aber an den Nutzerinnen und Nutzern. In den entscheidenden Punkten bleiben auch die größten Konzerne und Plattformen erstmal nur Werkzeuge. 

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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