Die Wien-Wahl zeigt: FPÖ Wähler sind keine verängstigten Modernisierungsverlierer, sondern gierige Wohlstandsparanoiker. Ich bin mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist. (Achtung, dieser Post enthält Vorurteile und Verallgemeinerungen. Aber ich steh dazu.)
Was ich von der Wien-Wahl gelernt habe:
Duelle sind ein Schmäh und Umfragen sind gefährlich. Monatelang hat man uns erklärt, die Wien-Wahl werde ein Duell zwischen rot und blau; Umfragen haben immer wieder auch einen Platz 1 der FPÖ propehzeit. Mit der Zeit wurde der Umgang mit Umfragen immer fahrlässiger (wichtige Kennzahlen wie Grundgröße, Schwankungsbreite oder sogar das Datum fehlen), die Ergebnisdarstellung wurde immer dümmer (als Vergleichswerte wurden andere oder vergangene Umfragen herangezogen – nicht etwa der aktuelle Stimmenanteil – und auch das wurde nicht ausgewiesen. Das suggeriert, dass die FPÖ ohnehin schon an der Macht wäre. In einem Land, in dem große Teile der Bevölkerung weder wissen, was eine Regierung ist noch wer in der Regierung sitzt, ist das gefährlich.).
Wien ist recht resistent gegen Erdrutsche. Wer sich nicht nur mit Umfragen, sondern auch mit Wahlergebnissen und deren Entwicklungen beschäftigt hat, wusste: In Wien gab es selten die extremen Veränderungen im Ausmaß von 10 Prozent und mehr. Gerade die FPÖ hat in Wien vergleichsweise immer nur kleinweise dazugewonnen. Ein Blick auf die letzten Landtagswahlen: Inder Steiermark hat hat die FPÖ 16 Prozent dazugewonnen und hält jetzt bei knapp 27, in Oberösterreich 15 (Summe: 30). Die sechs Prozent in Wien nehmen sich daneben geradezu bescheiden aus; im Burgenland waren es ebenfalls sechs Prozent Zugewinn, in Salzburg 2013 4 und in Vorarlberg knappe zwei.
Angst, Ausgrenzung und Eiertänze. Man soll keine Menschen ausgrenzen, die Angst haben, haben wir zuletzt oft gehört. Irgendwer muss die Verlierer aufsammeln. – So viele Verlierer, dass allein mit ihnen Wahlen entschieden werden könnten, gibt es glücklicherweise noch nicht. Und kaum jemand muss Angst vor etwas haben, vor dem ihn oder sie die FPÖ bewahren könnte. Ob es angesichts dieser Angstzustände und des Angstfetisch schlau ist, auf den Angstzug aufzuspringen, ist fraglich. Denn wer Veränderung gegen Angst setzen will, löst vermutlich erst so richtig Angst aus. Veränderung ist für manche bedrohlich – und viel anderes gibt es nicht zu fürchten. Das führt auch zum nächsten und wichtigsten Punkt.
Blaue Speckränder. Auf wien.gv.at sind die einzelnen Sprengelergebnisse im Detail abrufbar. Ein auffälliger Punkt dabei ist der große Unterschied zwischen den Gemeinderats- und den Bezirksergebnissen. Während in den Bezirken die ÖVP noch existent ist, ist sie auf der Gemeinderatsebene praktisch verschwunden. Die Bezirksergebnisse spiegeln das traditionelle Wien wieder, wie man es seit langem kennt: Hietzing, Döbling, Währing und Teile des ersten und achten Bezirks sind schwarz, der Rest ist rot mit ein paar grünen Einsprengseln. Von den Rändern her macht sich blau breit.
Auf Gemeindeebene verschwindet schwarz dann fast völlig. Und ein genauer Blick auf die Karten zeigt: Die blauen Hochburgen sind keinesfalls die klassischen Problemzonen, in denen man sich durchaus manchmal unwohl fühlen kann, nicht die Drogen-, Prostitutions oder Migrationsgebiete. Der ganze 15. Bezirk, der Reumannplatz und die Gürtelgegend sind rot, der zweite und der zwanzigste Bezirk ebenfalls. Blau ist an den Speckrändern der Stadt groß: Die Simmeringer Randgegenden, die Floridsdorfer Einfamiliensiedlungen, die Donaustädter Neubausiedlungen, Neuwaldegg und Grinzing sorgen für blaue Mehrheiten. Twitterer echauffierten sich über den Wahlausgang im Vorzeigeprojekt Seestadt: Auch dort wird blau gewählt. In den modernsten Neubauten mit der neuesten U-Bahnanbindung weiß man also die Leistungen der Stadt nicht zu schätzen. Das finde ich ok – Dankbarkeit ist kein politischer Wert. (Anmerkung am Rand: Mich hats immer gewundert, dass auch einige klassische Innenstädter die Seestadt cool gefunden haben. Aus meiner Sicht ist sie schön gemacht, kombiniert aber, wie alle Randlagen, die Nachteile von Stadt und Land. Lokalen und Geschäften gebe ich dort keine Chance. Das zu ändern wäre mal ein ehrenwertes Gentrifizierungsvorhaben.)
Aber beides zeigt: Das Geschwätz von der Angst (auf beiden Seiten) ist Ratlosigkeit. Einen Großteil der FPÖ-Wähler darf man durchaus ausgrenzen. Es trifft keine armen Hascherln, die sich nicht wehren können, sondern Menschen mit Familie, Haus, Job und Auto, die nicht bereit sind ihren Mitmenschen und dem Rest der Welt offen gegenüberzustehen. Die neuen blauen Hochburgen sind Gegenden, die soziale Probleme eher vom Hörensagen kennen.
Und sie zeigen, mit welch unterdurchschnittlichem Maß an Weltoffenheit, allgemeiner Intelligenz, sozialer Einfühlsamkeit und Anständigkeit man zu mittelmäßigem Wohlstand kommen kann. Oder, andersrum: Die Wahlergebnisse zeigen, dass der Viktor Adler Markt und der Stephansplatz eine nette Kulisse für Volksnähe abgeben, dass es aber nicht die dort auftauchenden versoffenen Randfiguren sind, die die FPÖ starkmachen, sondern jene, die sich tatsächlich für anständig und erfolgreich halten. Was dabei unter Anstand zu verstehen ist, ist eben jenes unterdurchschnittliche Maß an Offenheit, Einfühlsamkeit und Intelligenz.
Das finde ich dann doch eher bedenklich. Und es erfordert meines Erachtens einen völlig anderen Umgang mit den kritischen Themen: Ginge es um Angst, dann könnte man beschwichtigen, beruhigen und etwas gegen Ängste tun. Hier geht es aber um Menschen, die alles haben, sich einen Dreck darum scheren, warum das so ist, die Sündenböcke und gemeinsame Feinde brauchen und die sehr wohl auf Abgrenzung aus sind.
Da möchte man dann erst so richtig zum Gutmensch werden.