Kriegsrhetorik ist soziale Genmanipulation

Kriegsrhetorik ist soziale Genmanipulation

Bernard-Henri Lévy will Krieg. Barack Obama will das nicht. Die Kronen Zeitung veröffentlicht weiter IS-Propaganda. Österreichische Politiker formulieren abstruse Theorien zu Überwachung, rachsüchtigem Christentum und Jesus’ Schwertern. Und jetzt?
Bernard-Henri Lévy will Krieg. Barack Obama will das nicht. Die Kronen Zeitung veröffentlicht weiter IS-Propaganda. Auch österreichische Politiker üben sich in Kriegsrhetorik und formulieren abstruse Theorien zu Überwachung, rachsüchtigem Christentum und Jesus’ Schwertern. Und jetzt?
Eigentlich habe ich nichts dazu zu sagen; wer von uns hat schon etwas Sinnvolles zu sagen, angesichts von über hundert Toten, die einfach beliebige Europäer waren?

Krieg vereint nicht wirklich.

1993 und 1994, als die NATO erst Flugverbotszonen in Bosnien einrichtete und dann vereinzelte Angriffe flog, war ich in New York. Es war ein befremdendes Gefühl, weit weg in einem Land zu sein, das wenige hundert Kilometer von zuhause Krieg führte. Auch wenn die Ratlosigkeit angesichts des Blutvergießens groß war.
Der klar definierte Feind, der  Lévy fordert, war nicht wirklich so klar. Ein Europäer in den USA war jemand, der auf die Hilfe der USA angewiesen war, die dazu ansetzten, Ordnung in der Welt zu schaffen. Im Februar 1993 hatte es den ersten Anschlag auf das World Trade Center gegeben, der auch dazu beitrug, die Wir-sorgen-für-Recht-und Ordnung-Haltung zu schüren.
1999 bombardierte die NATO Serbien. Arabelle Bernecker und Susanne Glass beschreiben in Interviews mit Otpor-Aktivistinnen in ihrem Buch „Schwestern der Revolution“, wie die Angriffe die Position des Widerstands in Serbien schwächte. Die Menschen hatten begonnen, sich vom Milosevic-Regime zu distanzieren – ein gemeinsamer Feind trug dazu bei, diese Distanz wieder zu überbrücken.
Nicolas Hénin, französischer Journalist und ehemalige Geisel des IS, beschreibt in seinem Guardian-Kommentar ähnliches.
Als 2001 George Bush von „Krieg“ sprach, war der Enthusiasmus nicht groß. Amerikanischer Imperialismus; der Versuch, die Welt in ein amerikanisches Problem zu ziehen; Rechtfertigung und Spielwiese für die internationale Rüstungsindustrie. Das mag auch an Bushs Persönlichkeit und der Aura seiner Entourage gelegen haben. Er hatte eben keinen eloquenten Lévy an seiner Seite.

Krieg oder Verbrechen?

Im Krieg stehen einander Armeen und Soldaten gegenüber. Die Opfer in Paris waren keine Soldaten. Wo Zivilisten im Spiel sind, redet man von Kriegsverbrechen. Im Krieg spielen Gut und Böse eine Rolle; der gerechte Krieg steht auf der Seite des Guten. Verbrechensbekämpfung hat es leichter: Gut und Böse müssen nicht strapaziert werden, es gibt Gesetze, die uns die Entscheidungsarbeit abnehmen.
Gesetze rund um den Krieg sind keine ganz so eindeutige Angelegenheit. Krieg überschreitet Grenzen und bringt Ausnahmesituationen mit sich. Frankreich ruft den Ausnahmezustand aus, Konservative in Europa sinnieren über mehr Überwachung. Londons Bürgermeister Boris Johnson und andere meinen sogar, in Edward Snowden einen Ziehvater des Terrorismus identifiziert zu haben: Seine Enthüllungen hätten praktische Hinweise geliefert, wie man sich am besten vor Überwachung schütze.
Es gibt wohl nicht zu wenig Daten, nicht zu wenig Quellen und Symptome, anhand derer man spekulieren könnte. Was fehlt, sind die praktischen Anwendungen: Spätestens seit 9/11 überwachen Behörden großflächig und digital. Erfolgsgeschichten bleiben aus. Vielleicht, um neue Verschwörungstheorien ins Spiel zu bringen und in der Anti-Snowden-Logik zu spekulieren, werden die Erfolgsgeschichten ja verheimlicht, eben um nicht zu enthüllen, wie erfolgreich Überwachung funktionieren kann. Abgesehen davon, dass ich das nicht glaube (schwaches Argument), wäre das ein großer Schritt in Richtung ausser Kontrolle geratener staatlich unterstützter Terrororganisationen.
Frankreich ist einer der aktivsten Datensammler in Europa. Die Vorratsdatenspeicherung wurde nie, auch nicht nach dem EuGH-Urteil im April 2014, ausser Kraft gesetzt. Nach dem Charlie Hebdo-Attentat wurden Überwachungsmaßnahmen  ausgeweitet. Die vollständige Metadatenaufzeichnung wurde im Juli auch vom französischen Verfassungsgericht bestätigt.
Im Gegensatz dazu hat gerade erst vergangene Woche der United States Court of Appeals festgestellt, dass das Sammeln des so beliebten Browserverlaufs nicht als Metadaten anzusehen ist und damit nicht vom sehr umfassenden Wiretap-Act gedeckt ist.
Die Frage nach der Rechtfertigung von Überwachung wirft auch die Frage auf, wo die Grenzen zwischen „wir“ und „ihr“ verlaufen, wer handeln darf und wer zum Dulden gezwungen ist. Nicht über Überwachung reden zu dürfen (also Snowden zu verurteilen), ist die Forderung nach Obrigkeitshörigkeit. Das ist nicht nur eine Befindlichkeitsfrage, es ist ein Sicherheitsproblem: Die Arbeit von Behörden nicht offen analysieren zu können, Schwächen nicht anzusprechen, Fehler, die nicht behoben werden, nicht veröffentlichen zu können (Details dazu in Citizen Four), schwächt Behörden mehr, als ihre Schwächen zu veröffentlichen. Das ist die Forderung nach dem unmündigen Bürger, der sich in die fürsorgende Hand des Staates begibt.

Nicht mit uns. Mit mir auch nicht.

Wer Krieg fordert, fordert auch klare Fronten. So auch Lévy. Demokraten und Europäer halten zusammen, Muslime distanzieren sich von Islamisten; der Feind wird klar benannt.
Jetzt haben wir den Salat.
Auch angesichts von Szenarien, in denen man nicht „nein“ sagen kann, muss es möglich bleiben, „nein“ zu sagen. Terrorismus nicht zu unterstützen kann nicht gleichbedeutend damit sein, ein christliches gebärfreudiges Abendland zu unterstützen.
Einheit schliess aus – nicht nur den definierten Gegner. Das Kuriositätenkabinett der österreichischen Innenpolitik auf Twitter beschwört düstere mittelalterliche Szenarien herauf. Nationalratsabgeordnete reden von christlicher Leitkultur und Schwertern.

Das ist Krieg: Unterwerfung, Disziplin, Unterordnung unter eine konstruierte Gemeinsamkeit. Viele Nicht-Muslime wollen nicht Teil einer christlichen Leitkultur sein. Sind sie unsere Feinde, potenzielle Verräter, die wir im Auge behalten müssen? Deren missliebige Äußerungen wir beobachten müssen, um – ja um was? Um ihnen nachher die Schuld geben zu können? Um sie zu denunzieren? Um eine Handhabe zu schaffen, zwischen wertvollen und weniger wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft unterscheiden zu können? Oder um eine Linie konstruieren zu können, nach der wir entscheiden, welche „bürgerlichen Freiheiten“ wir aufzugeben gewillt sind?

Waffenverboten
Das ist schräg. Ich habe nichts dagegen, vor einem Konzertbesuch auf Flaschen, Messer oder Regenschirme kontrolliert zu werden. Das ist ein sehr konkretes Bedrohungsszenario; Konflikte können schnell und anonym gelöst werden; die Vorgeschichte (Besitzt du ein Taschenmesser? Hattest du schon einmal eine Bierflasche in der Hand?) spielt ebenso keine Rolle wie allfällige oder konstruierte Intentionen.
Daten dagegen sind geduldig und bieten Spielraum für Interpretationen. Je mehr sie vor einem bestimmten Hintergrund (christliche Leitkultur!) gelesen werden, desto größer und abwegiger wird dieser Interpretationsspielraum.
Der Ruf nach Krieg, Überwachung und Einheit ist so etwas wie Embryonen-Genmanipulation mit sozialen und politischen Mitteln: Wir schaffen uns den Einheitsbürger, den wir auf das ideologische oder schlimmstenfalls wirklich kriegerische Schlachtfeld stellen. Alle anderen sind Drückeberger oder Saboteure.
Niemand kann sich aus dem Spiel nehmen, wenn Bedrohungen der Freiheit etwas entgegengesetzt werden muss. Unterwerfung zu verlangen, fördert Freiheit nicht.

Kämpfen? Oder doch nur Kriegsrhetorik?

Von Krieg zu reden, fühlt sich nicht gut an. Von erfolgreichen Militärschlägen gegen den IS zu hören, fühlt sich dagegen schon gut an. Das ist eine Dissonanz.
Welche Optionen gibt es überhaupt? Kämpfe finden statt; ein Ende des IS ist begrüßenswert – auch ohne Terror in Europa.
Das Krieg zu nennen, kann zu einem schnelleren Ende führen (weil gezielter und in größerem Stil gehandelt wird), es kann zu mehr Terror führen (weil der politischen Symbolik eine kriegerische und wesentlich praktischere Symbolik entgegengesetzt wird).
Beides ist möglich und wohl nicht einmal die Mächtigsten der Welt können sich den Ausgang aussuchen.
Vielleicht ist es für Regierungschefs wichtig, zwischen Krieg und anderen kämpferischen – kriegerischen – Auseinandersetzungen zu unterscheiden. Für die Betroffenen ist es wahrscheinlich ebenso unwichtig wie für die nicht Betroffenen.
Und die Frage ist wohl weniger, ob wir es Krieg nennen oder nicht, sondern wie weit Krieg und die dafür geforderte Einheit zu Unterdrückung, Schweigen und Blindheit führen.
Kriegsrhetorik lässt vermuten, man könnte große Entscheidungen treffen, die große Probleme lösen und auch große Opfer fordern und rechtfertigen. – Es mag absurd und nebensächlich klingen: Wenn wir von Krieg reden, dann muss sich das auch mit der Vorstellung einer offenen und vielschichtigen Gesellschaft vertragen. Und so abwegig ist das gar nicht. Denn eine nicht unwichtige Frage ist auch noch nicht abschließend beantwortet: Krieg gegen wen eigentlich? Gegen den IS oder gegen das Assad-Regime in Syrien?
Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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