40 Jahre gegen den eigenen Erfolg arbeiten – das ist wahrer Luxus.
Was ich am Beastie Boys Book am meisten liebe: Der Sticker auf dem Cover wurde offenbar tatsächlich erst nachträglich eingeplant, nachdem irgendein kritischen Menschen aufgefallen war: „Verdammt, wir haben dieses dicke Buch gemacht und echt vergessen, auch nur irgendwas aufs Cover zu schreiben.“ Die ersten Ankündigungen und Vorbestellung-Aussendungen zeigten das Buch noch mit dem nackten Cover, ohne jeglichen Titel.
Es hat knapp 600 Seiten, ist bunt und wurde etwas zu spät begonnen. Adam Yauch ist 2012 gestorben und hat den Beginn der Arbeiten an diesem Buch – offenbar eines dieser Projekte, von denen man immer wieder redet, die man immer wieder verschiebt und von denen man immer noch glaubt, ausreichend Zeit für sie zu haben – nicht mehr erlebt. Also schreiben mit Mike D und Adam Horowitz die zwei verbleibenden Beastie Boys. Yauch bleibt der abwesende große dritte, auf den viel zurückzuführen ist und dessen Einfluss wohl jetzt noch viel klarer zutage tritt als zu Lebzeiten.
Die Beastie Boys erzählen ihre Entwicklung von jungen, nicht besonders auffälligen, nicht besonders talentierten, eigentlich in gar nichts außergewöhnlichen Jungs, deren größtes Talent es war, offen für Einflüsse durchs Leben zu gehen, zu erfolgreichen Stars – die sich dann aber auch einer Starkarriere verweigert haben.
Musikalisch war ihre Entwicklungslinie wohl die vieler Kids, die mit glattem Pop nichts anfangen konnten. Punk und ein wenig Metal geben die Grundhaltung vor, aber dann schlägt die Erkenntnis zu, dass HipHop eigentlich viel cooler ist, Punk stilistisch und inhaltlich um Längen schlägt und viel mehr Verhaltensmuster offenlässt, als die Perspektive, möglichst schnell und möglichst destruktiv zu einem möglichst totalen Ende zu kommen.
Die musikalischen Frühwerke blieben trotzdem von der Idee geprägt, möglichst schnell mit möglichst viel Krach möglichst viele Klischees durch den Fleischwolf zu drehen, dabei aufzufallen und einen möglichst bleibenden (wenn das hilft auch möglichst schlechten) Eindruck zu hinterlassen.
Ausreißer wie „Fight for your right“ und „No sleep till Brooklyn“, die den eigentlichen musikalischen Erfolg begründeten, sind auf Beastie Boys-Sicht offenbar Unfälle, die auf Launen des Produzenten Rick Rubin zurückzuführen sind. Rubin galt in frühen Jahren als Freund, verwandelte sich aber offenbar schnell in das Abziehbild des Musikmanagers, der Alben am Reißbrett plant und rein auf kommerziellen Erfolg hin trimmt. Dem verwehrten sich die Beastie Boys; die Erwartungen, des Labels Def Jam, dass nach der Veröffentlichung von Licensed to Ill gleichzeitig getourt und Neues produziert werden sollte, um schnell wieder verlautbare Tonträger zu haben, führte dann bald zum Bruch.
Auffallend ist auch, dass D und Horowitz mit keinem Wort erwähnen, dass Slayer-Gitarrist und -Miterfinder Kerry King Gastauftritte auf Licensed to Ill hat. – Es scheint auf eine Laune des Labels zurückzuführen zu sein, die ihnen grundsätzlich egal war.
Der frühe Erfolg hat sich jedenfalls trotzdem ausgezahlt. Die Beastie Boys produzierten in aller Ruhe weiter vor sich hin, hatten mit Pauls Boutique eine Platte ohne große Highlights, mit Check your Head etwas schwer Einordenbares aber doch sehr Eingängiges, erst auf Ill Communication gab es dann wieder ein wenig Rückbesinnung auf die Anfänge mit schnellen und kurzen Punk-Phasen.
Ill Communication war auch in vielen Beastie Boys Fan-Karrieren das Ende; die Platte passte 1000prozentig in ihre Zeit, das Grand Royal-Imperium der Beastie Boys produzierte viel Neues. Nichts davon war aber geschaffen, die frühen Neunziger zu überleben. Blättert man heute durch Ausgaben des Grand Royal Magazine, die in den 90er Jahren hier von Europa aus ein unerreichbar cooles Mysterium waren, dann wirken sie bestenfalls noch etwas befremdlich
Den Beastie Boys war all das offenbar egal, sie experimentierten, so zumindest die eigene Erzählung, einfach ungestört weiter. Davon blieb allerdings wenig greifbar, trotz einer sehr beschäftigten Zeit blieben die Erfolge, von denen jeder sprach, aus. Hot Sauce Committee war noch mal eine Art Rückbesinnung auf alte Stärken und setzt die mit Licensed to Ill und Ill Communication begonnene Linie fort; ein Jahr später war Adam Yauch tot.
Beastie Boys Book ist eine extrem detaillierte und dabei erstaunlich lesbare Nacherzählung von knapp 40 Jahren Musikgeschichte. In den ersten Jahren dieser Geschichte war Auffallen um jeden Preis die bestimmende Maxime, danach konnten sich drei Musiker das ständige Oszillieren zwischen einer Haltung als arrivierte Stars, neugierige Jungs und Enfants Terribles leisten.
Und ich bin grundsätzlich kein Freund davon, Erfolg, Aktivität oder Energie mit Orten zu verbinden, also Misserfolg auf eine langweilige Umgebung oder eine passive Stadt zurückzuführen. Gerade Storys wie die der Beastie Boys oder von Henry Rollins, die mit viel Willen und ohne jede Voraussetzung sehr viel geschaffen haben, sind wohl doch eher auf das Zusammenwirken vieler günstiger Faktoren zurückzuführen. Und die Chance, kommerziellen Erfolg auch nachhaltig weiterzutreiben und in künstlerische Freiheit zu verwandeln, ist außerhalb US-amerikanischer Großstädte auch etwas dünner gesät. Ich zumindest kann mir Beastie Boys ohne das New York der Neunziger ebenso wenig vorstellen wie Henry Rollins ohne Los Angeles – und umgekehrt gilt das im übrigen genauso …