Anke Graneß, Philosophie in Afrika

Anke Graneß, Philosophie in Afrika

Eine ausführliche Analyse einiger früher afrikanischer Texte, die sich aber etwas zu lange mit vorbereitenden Fragen (Was ist Afrika? Was ist Philosophie) beschäftigt, um die eigentlich gesuchten Antworten zu geben.

Soll man als Europäerin eine Philosophiegeschichte Afrikas schreiben? Graneß stellt sich diese Frage, bevor sie sich auf die Suche nach der Philosophiegeschichte Afrikas macht und macht damit zugleich klar, dass sie sich dem intellektuell ungesunden Strudel, den diese Frage nach sich zieht (vor allem, wenn die Frage schon feststeht), nicht entziehen wird. 

Graneß schreibt gleich 600 Seiten über Philosophiegeschichte in Afrika. Soll das eine weiße Wissenschaftlerin machen? Führt der Anspruch einer Philosophiegeschichte gleich vorweg Kategorien und Masstäbe ein, die seinem Gegenstand möglicherweise gar nicht angemessen sind? Muss das, was der europäische Philosophiebegriff beschreibt, in afrikanischen Denktraditionen wiedergefunden werden können, um diese als relevant zu respektieren? Welcher europäische Philosophiebegriff soll angewendet werden? Der der Vorsokratiker? Der Aufklärung? Oder einer, der zeitgenössische wissenschaftliche Massstände ansetzt? 

Hier schließt sich noch ein anderer Fragenkomplex an: Was ist Afrika? Als geografischer Kontinent hat Afrika klar umrissene Grenzen. In der Betrachtung als Kulturraum fällt die Abgrenzung deutlich schwerer. Im Nordosten finden sich starke arabische Einflüsse, die Sahara hat über lange Perioden als Kultur- und Handelsbarriere zwischen Norden und Süden gewirkt und auch gemeinsame Züge wie die Ausbreitung des Islam haben sich in verschiedenen Regionen zu verschiedenen Zeiten und unter unterschiedlichen Gesichtspunkten vollzogen. 

Graneß entscheidet sich naheliegenderweise für den geografischen Afrikabegriff, der Ägypten einschließt – eine Entscheidung, die in deutlich rassistischer geprägten Perioden nicht immer so getroffen wurde. Mit dieser Entscheidung lassen sich Schriften finden, die deutlich vor die Zeit der Vorsokratiker in Griechenland zurückgehen. Die These, dass Philosophie also in Afrika ihren Ursprung findet, lässt sich allerdings nur sehr bedingt untermauern. Denn die Textdokumente sind entweder stark religiös geprägt oder sie beschreiben sich mit pragmatischen Lebensweisheiten. Den abstrakten, über Erfahrung und das direkte Lebensumfeld hinausgehenden metaphysischen Bezug der Vorsokratiker haben sie selten. 

In ihrer Suche nach afrikanischer Philosophie diskutiert Graneß alte Texte aus verschiedenen Regionen – viele von ihnen sind religiös geprägt. Manche von ihnen, wie jene der Kirchenväter rund um Augustinus, werden seit jeher ohne eine Spur des Zögerns europäischen Philosophietraditionen zugerechnet. Auch daraus ließen sich Argumente konstruieren, die den Ursprung der Philosophie (oder zumindest starke Einflüsse auf europäische Philosophie) in Afrika verorten. Augustinus geht zwar in vielen Fällen (etwa in seiner Diskussion der Zeit) über religiöse Argumentation hinaus, allerdings ist sein Einfluss in der Kirche ungleich größer als in der Philosophie. 

Andere frühe Schriften finden sich im früh christianisierten Äthiopien und natürlich im Nordwesten  im algerisch-marokkanisch-spanischen Kulturraum, dort mit starken griechischen Einflüssen. Auf diesem Weg kam Aristoteles zurück nach Europa. 

Die nächsten konkreten Anknüpfungspunkte an die Philoosphiegeschichte findet Graneß ab dem 16. Jahrhundert, vorrangig bei islamischen Gelehrten, worunter auch einige Frauen Berühmtheit erlangt haben. Dazwischen findet sich ähnlich wie im europäischen Mittelalter eine mehrere Jahrhunderte umspannende Lücke. Allerdings finden sich auf dem Kontinent Bibliotheken und Schriftsammlungen, die noch nicht annähernd ausgewertet wurden. Die berühmtesten sind die Schriften von Timbuktu, die seit Jahrhunderten in Privatbesitz sind und in den letzten Jahrzehnten massiv durch islamische Fundamentalisten bedroht waren. Auch in Äthiopien beispielsweise finden sich aber immer wieder kleine unscheinbare lokale Museen mit kleinen, aber weit zurückreichenden Bibliotheken.

Graneß zieht sich immer wieder auf den Punkt der neue Rahmen absteckenden Historikerin zurück, die mehr Fragen stellt als Antworten sucht. Querweise auf postkoloniale Ausgrenzungsdiskurse sind ebenfalls eher wenig produktiv. Ausgrenzung kann festgestellt werden, es gibt also weit mehr im philosophischen Forschungsgebiet, als eine Begriffsbestimmung aus den sechziger Jahren ergeben hätte. Das ist wenig überraschen, kann zur Kenntnis genommen werden und bereitet den Boden für neue Forschungen auf.  Graneß erliegt allerdings der Versuchung, in diese Marginalisierungsschleife zu bleiben und flicht immer wieder eigene Kapitel über Frauen in der Philosophiegeschichte ein. Das trägt allerdings ebenso wenig zu einer afrikanischen Philosophiegeschichte bei wie die Auseinandersetzung mit Schwarzen, die als Kinder nach Europa verkauft wurden und später an europäischen Universitäten studierten. 

Die 600 Seiten sind eine solide historische Darstellung einiger früher Schriften aus dem afrikanischen Kontinent. Die punktuellen Analysen bleiben allerdings isoliert, erzählen keine Geschichte und stellen eigentlich nicht einmal Thesen auf. Es stimmt nicht, dass Afrika ein schriftloser Kontinent wäre – das wussten wir aber auch schon so. Es stimmt nicht, dass Afrika intellektuell und wirtschaftlich von der Welt isoliert gewesen wäre – auch das wussten wir aber. Es muss nicht jeder Wissenschafts-, Politik- oder Philosophiegeschichte in Europa beginnen – auch hier kämpft Graneß ein wenig gegen Windmühlen. Die Klagen über das vermeintliche Fehlen von Kontextualisierung in Philosophie und Philosophiegeschichte lässt sich angesichts von spezialisierten Forschungsgebieten wie History and Philosophy of Science und Science and Technology Studies oder Methoden wie Standpoint Theory oder Intesektionalität kaum nachvollziehen. 

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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