Arbeit.net – Organisationen in der Zwickmühle

Arbeit.net – Organisationen in der Zwickmühle

Dienst nach Vorschrift ist der passive Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung durch Unternehmer?

[quote_box_right]Dienst nach Vorschrift ist der passive Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung durch Unternehmer?[/quote_box_right]

[dropcap type=”1″]D[/dropcap]ie Domain arbeit.net ist leider schon von einem Domain-Piraten gekapert; mein großzügiges Angebot, die url für 20 € zu kaufen, wurde bis dato ignoriert.
Schade, wäre ein weiteres nettes Fundstück für meine Domainsammlung geworden – und beschreibt ausserdem sehr treffend eine Einstellung, die sich durch viele Diskussionen rund um Arbeit, Organisationen und Karriere zieht.
Arbeit ist so wichtig, dass dieses soziale Konstrukt auf der einen Seite verklärt und in einen merkwürdigen Sonderzustand gehoben wird, auf der anderen Seite verteufelt, kritisiert und als Sklaverei entlarvt. Die einen suchen ihr Heil in Sinn, Verantwortung und Nachhaltigkeit – Arbeit muss nicht nur Geld bringen, sondern Sinn stiften und ein paar Schritte in Richtung Weltverbesserung machen. Die anderen suchen Unabhängigkeit – Startups sonnen sich im ruhmreichen Heiligenschein des Unternehmertums; was sie genau machen, ist dabei weniger wichtig, als dass sie es unabhängig machen – und Investoren anziehen. Kaum etwas ist unsexier als ein Business, das eigentlich keine Investoren, sondern nur Kunden braucht… Beide Seiten haben ihre Publikationen wie das nachhaltige Wirtschaftsmagazin Enorm zum einen und die Startup-Glorifyer Businesspunk zum anderen.

Arbeit

Aber auch jenseits von Startups und neuen sinnvollen oder nachhaltigen Wirtschaftsformen machen sich Veränderungen rund um den Begriff Arbeit bemerkbar. Studien großer Beratungsunternehmen  zeigen, dass ein Großteil der Mitarbeiter auch traditioneller Unternehmen sich eher einen Dreck darum schert, was das Unternehmen von ihnen möchte. Dienst nach Vorschrift ist der passive Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung durch Unternehmer? Und es ist – vor dem Hintergrund der Sinnsuche, die andere durchlaufen – heute für jeden völlig ok, Dienst nach Vorschrift zu machen. Was vor einigen Jahren noch ein undynamischer Sesselfurzer war, ist heute ein selbstbestimmtes selbstbewusstes Individuum, dass sich nicht von der Organisation vereinnahmen lässt. 
Die übliche Reflexantwort, es handle sich hier um die Symptome eines Generationenwechsels, junge Menschen hätten eben andere Werte als Job und Karriere, wird durch Untersuchungen ebenfalls widerlegt. Die deutlichsten Spuren von Restengagement finden sich bei den jüngsten und bei den ältesten Arbeitnehmern.
Die reale Belastung im Job ist hier ebenfalls ein schwammiges Kriterium. Bullshit-Jobs, das sind nicht so sehr schlecht bezahlte Macjobs, sondern Tätigkeiten, ohne die sich die Welt auch ohne weiteres weiterdrehen würde, und in denen Leistung oder Ergebnisse nur eine untergeordnete Rolle spielen, zeigen naturgemäss einen sehr hohe Affinität zum Pfeif-drauf-Mindset. – Oder zur umgekehrten Einstellung, die konkrete persönliche Belastung wäre so hoch, dass es vollkommen ok ist, immer wieder mal auf die eigene Bremse zu steigen.

Und dann gibt es auf der anderen Seite die, die trotz allem etwas aus sich gemacht haben. Oft auf verschlungenen Pfaden oder in Richtungen, die nur wenig mit Ausbildung und ursprünglicher beruflicher Ausrichtung zu tun haben. Neuartige Karriereportale wie Whatchado und dessen Klone haben die Lüftung dieser Geheimnisse zu ihrem Geschäftsmodell gemacht: Menschen erzählen in kurzen Videos, wie sie zu dem geworden sind, was sie nun beruflich sind, und liefern Einsteigern so Orientierung und Unternehmen eine Möglichkeit, sich als trotz allem interessante Arbeitgeber zu präsentieren.
Ist das ein Schritt in Richtung Offenheit und Chancengleichheit zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer, oder nur eine etwas modernisierte Form von Einführungstagen für neue Mitarbeiter, wie es sie immer schon gab? Jedenfalls tritt der Stellenwert von Kommunikation und Kommunikationsmitteln in den Vordergrund: Es ist wichtig, wie sich Unternehmen präsentieren, wie sie in Kontakt mit ihrer Umwelt treten, und über welche Mittel und Wege sie das tun.
Inhaltlich oder substantiell betrachtet ist das eine geringfügige Demokratisierung bestehender Wege – die Information steht jedem immer und überall offen, nicht nur während Berufsorientierungsmessen oder innerhalb von Unternehmen während Einführungstagen.
Versuche, Klartext zu reden, gibt es aber schon lange. Seit Jahren schreiben gescheiterte – oder über die Zwänge der Organisation transzendierte – Manager Entlarvungsbücher über den Fake- und Poser-Irrsinn innerhalb von Organisationen und kaum noch jemand steht zu den überlieferten Organisationsformen und deren Werten. Aber trotzdem funktionieren sie bestens. Erving Goffmann und Eric Berne lassen grüssen – wir spielen alle nur Theater. Das ist unvermeidlich. Aber wir sollten es wissen. Und wir sollten wissen, dass auch unser Gegenüber nur Theater spielt. Das gilt für den jungdynamischen Trainee, der ja nur mitspielt, um an den Schotter zu kommen, aber in Wahrheit alles ganz anders machen würde, ebenso wie für den toleranten Manager, der ja gern von jungen Mitarbeitern gefordert wäre, das gleichzeitig aber nicht zulässt, ebenso wie für den Verweigerer, der sich eben gern verweigern würde, aber halt doch ein Einkommen braucht.

Das ist alles nicht neu. Neuer ist, dass immer dichtere Kommunikation die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass diese Einstellungen öffentlicher werden. Das gilt innerhalb des Unternehmens – sozialer werdende Intranets lassen Rückmeldungen zu, stellen Information auf die Probe und lassen Mitarbeiterfeedback (ob nur gewollt oder nicht) zu einem internen Stimmungsbarometer werden. Und es gilt ausserhalb des Unternehmens: Anforderungen an Tempo und Qualität der Kommunikation steigen und setzen damit die Unternehmenskommunikation unter Druck.
Das kann zu konkretem Dialog führen. Es kann aber auch dazu führen, dass jeder nur noch sein eigener PR-Agent ist. Und wenn das so ist – wo bleibt dann das Publikum?

Das stellt alle, die Organisationen entwickeln wollen, vor ein Problem. Welchen Stellenwert hat Arbeit als ein Weg, einen Platz in der Welt zu besetzen, und welche Rolle spielt Kommunikation in der scheinbar so wichtigen Sinnstiftung? Zeit für eine neue Posting-Serie

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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