Böse Onkels im Klassenkampf

Böse Onkels im Klassenkampf

[su_dropcap]E[/su_dropcap]s wiederholt sich immer wieder: Die, die es damals nicht gemacht haben, erklären jenen, die es ihrer Meinung nach machen sollten, was sie machen sollen. – Es geht um Revolte, Aufstand, Protest, darum sich nichts mehr gefallen zu lassen. Übrig bleiben dann die dummen Kinder, die immer älter werden. Und eine Form von Rechthaberei, die vielleicht in die Jugendgruppe eines Pfarrhofs passt.
Der neueste Jugendgruppenleiter in dieser langen Tradition ist Manfred Klimek – und das in einem Ausmass, dass man ja glauben möchte, sein Facebook-Profil wäre Opfer eines komödiantischen Identitäts-Hijacks. Gesegnet mit den Insignien des zeitgenössischen Alterns (Weinfaible, Steuerschulden) erklärt er, wie Protest richtig funktioniert. Oder eigentlich: Was in Wien (im Vergleich zu Berlin) an Protestformen und Haltung fehlt.

Das hat irgendwo Methode. Mich erinnert das daran, als Josef Haslinger (es war irgendwann in den späten Neunzigern) Wiener Rappern vorwarf, in ihren Texten zu wenig systemkritisch zu sein. Oder daran, als die Spex bewundernd über Studentendemos in Wien schrieb (es war in den frühern Neunzigern) und diese für so viel lebendiger, politischer und subversiver hielt, als die deutschen Pendants (wer dabei war, wunderte sich). Oder auch an Wolfgang Schüssel und seine Prophezeiung von der Internetgeneration. Oder an die meinungsmutigen Chefredakteure und Herausgeber, die Leserchens dazu ermutigen, eine Meinung zu haben – aber bitte die richtige, nämlich die, die man in ihren Zeitungen liest, und dabei auch bitte immer schön höflich bleiben.
[su_pullquote align=”right”]Diskussionen werden so zum intellektuellen Wet-T-Shirt-Contest: Es geht nur noch darum, gut dazustehen und besser auszusehen als der andere.[/su_pullquote]In allen Fällen werden Formen anstelle von Positionen kritisiert. Politik- und Meinungsfragen werden zu Fragen des guten Geschmacks und des richtigen Benehmens. Das hat manchmal eben traditionell gestriegelt zu sein, manchmal angemessen rotzig und althergebracht aufmüpfig – damit die Seiten immer schön klar sind und jeder auch bei der reinen Reduktion auf die Form und beim Verzicht auf die Inhalte immer gut erkennen kann, was da gerade läuft. Diskussionen werden so zum intellektuellen Wet-T-Shirt-Contest: Es geht nur noch darum, gut dazustehen und besser auszusehen als der andere; unspannende Details können gerne vernachlässigt werden.

Ich halte gar nichts von einem Fatalismus, der alles für total komplex hält und den Spielraum des Einzelnen als eingeschränkt betrachtet. Auch das ist nur Selbstdisziplinierung. Aber ich halte auch nichts davon, Feindbilder auf das leicht Greifbare zu reduzieren, das uns auf der Strasse begegnet. Polizei und Justiz befolgen und exekutieren Gesetze – manchmal schlauer, manchmal weniger schlau. Beide Institutionen sind die falschen Adressaten, um das Ergebnis von Verfahren und Exekutivmassnahmen zu kritisieren.
Für deren Arbeit gibt es Regeln. Für die Institutionen, die die Rahmenbedingungen schaffen, auf die sich diese Regeln beziehen sollten, gibt es weit weniger Regeln.
[su_pullquote align=”right”]Das Recht bevorzugt immer den, der es sich leisten kann, die Rechtsprechung auszusitzen.[/su_pullquote]Dabei habe ich vor allem wirtschaftliche und die diesen zu Grunde liegenden finanzwirtschaftlichen Entwicklungen im Sinn. – Diese schaffen das Umfeld, auf das Politik reagieren zu müssen meint.
Wirtschaft heisst heute vor allem sparen. Das funktioniert lustigerweise auf allen Ebenen – sparen, um bessere Profite zu erzielen, um Jobs zu erhalten, um wachsen zu können. Die unternehmerische Sparsamkeit findet ihre Entsprechung in finanzpolitischen Instrumenten: Niedrigzinspolitik und Inflationsvermeidung sind Mittel, um den Status Quo zu erhalten – wer etwas hat, behält es, wer nichts hat, wird auch in absehbarer Zeit zu nichts kommen. So lange Geld teuer ist (also die Inflation niedrig), ist das gut für die, die es besitzen. Niedrige Zinsen wären zwar ein passendes Gegeninstrument, um Geld erschwinglich zu machen, und auch jenen entgegenzukommen, die Geld nur in negativer Form (also als Schulden) kennen, aber die Milchmädchenrechnung geht nicht auf: Niedrige Zinsen bedeuten, dass Schulden für Gläubiger kein gutes Geschäft mehr sind – umso kritischer sind sie natürlich bei der Vergabe neuer Finanzierungen. Vor allem, wenn das Geld, dank niedriger Inflation, ohnehin seinen Wert behält.
[su_pullquote align=”right”]”It’s hard to think of a reason for this other than class war.”[/su_pullquote]Auf der anderen Seite bedeuten niedrige Zinsen: Es wird immer wichtiger, mehr zu besitzen. Kleine Guthaben werden mit lächerlichen Prozentsätzen verzinst; größere Beträge können Konditionen verhandeln. Im Kombination mit langfristigen Bindungen bedeutet das: Wer mehr hat (und es nicht braucht), hat mehr davon und wächst schneller. Noch besser funktioniert das bei Renditen für andere Geschäfte, die nicht an traditionelle Bankprodukte gebunden sind. Thomas Piketty weist in seinem „Capital“ nach, dass das Kapitalwachstum langfristig und auch immer noch, trotz aller Krisenzeiten, bei 4-5 Prozent im europäischen Durchschnitt liegt. Angesichts aktueller Bankkonditionen ist damit klar: Es wächst anderswo schneller; vor allem dort, wo es noch höhere Einstiegshürden gibt – etwa in der Immobilienbranche.

Umgelegt auf das jüngste Polizei- und Proteststück in Wien, die Räumung der Pizzeria Anarchia, heisst das: Die Wertschöpfung diktiert die Möglichkeiten. Wir haben die perfekten Möglichkeiten für derartige Investitionen geschaffen. Die Renditechancen sind so hoch – und unvergleichlich höher als in anderen Feldern -, dass Eigentümer locker Wartezeiten, Leerstände und wahrscheinlich sogar Räumungskosten in Kauf nehmen können. So lange die Kapitalwachstumsraten deutlich über jenen des Wirtschaftswachstums liegen (auch das weist Piketty nach), bleibt das noch immer ein Geschäft. Und das Recht bevorzugt dabei noch immer den, der es sich leisten kann, die Rechtsprechung auszusitzen und währenddessen einfach mal was anderes macht.
Was bringen dann in diesem Zusammenhang das ironische Sich-Mokieren über ein paar hundert gelangweilte Polizisten oder der Aufruf, gefälligst im Widerstand etwas wilder zu sein? – Nicht falsch verstehen: Es ist wichtig, in solchen Fällen Beobachter vor Ort zu haben, über Hintergründe zu informieren und Verhältnismäßigkeiten in Frage zu stellen. Aber Polizei und Justiz schaffen ihre Rahmenbedingungen nicht selbst; fraglich ist, ob es überhaupt noch die Politik ist, die sie schafft.
In der Interviewserie „Power Systems – Conversations on Global Democratic Uprisings“ sagt Noam Chomsky über Sparpolitik, die ihre Grundlagen in der Zins- und Inflationspolitik der Europäischen Zentralpolitik findet: „It’s hard to think of a reason for this other than class war. The effect of the policies is to weaken the welfare-state measures and to reduce the power of labor. That’s class war. It’s fine for the banks, for financial institution, but terrible for the population.“
Deshalb ist die angemessenste Protestform vermutlich, nicht nur auf die Strasse zu gehen und Klischees zu erfüllen, sonder auch rechnen zu lernen und wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen. Und klarzumachen, dass verstehen nicht immer einverstanden sein bedeutet.
Böse Onkels, die Protest und Subversion gern mit Körperflüssigkeiten verbinden, haben da vielleicht, wie wir alle, auch noch ein bisschen was zu lernen.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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