Wilde Papiertiger setzen dazu an, den ORF zu zerfleischen. Ich habe seit 20 Jahren kein Fernsehgerät mehr, der ORF begegnet mit häufiger auf Twitter als in der Form von Streaming, Video on Demand oder Nachrichtenportalen und der ORF war immer eher etwas wie die Nationalbank für mich: Ein Ort, an den Mitarbeiterkinder Praktika machen, von denen sie nahtlos in gut bezahlte Jobs übergehen. Das ist natürlich ebenso ein Vorurteil wie die Idee, man könnte dem ORF einfach den Finanzstecker ziehen und weitermachen wie bisher, halt mit ein paar kleinen Einschränkungen und mehr Orientierung am Publikum.
Man kann ihn zusperren. Das ist eine realistische Option, über deren Konsequenzen man sich unterhalten müsste. Aber man kann nur als dogmatischer Papiertiger sagen: „Die anderen schaffen es doch auch.“ Die anderen haben private Financiers in Hintergrund, gehören zu Konzernen, die im Medien-Dauerentwicklungsland Österreich Platz besetzen, oder sie sind gut geförderte Testballons anderer Medienhäuser.
In knapp 30 Jahren habe ich verschiedene Medien aller Größenordnungen und Formate kennengelernt. Ich kenne Auflage und Einnahmen von „Subkultur und Untergrund“ (besser bekannt als Skug, damals, als es noch eine Printausgabe gab), von Indie-Comicverlagen in Ö und D. Ich weiss, was solide Corporate Publishing-Projekte kosten und was sie bewegen können und ich kenne die Zahlen, die die Kronen Zeitung täglich in Internet bewegt ebenso detailliert wie Click- und Conversionrates der Kampagnen großer ECommerce-Betreiber.
Und ich kann rechnen.
Das ist offenbar ein großes Handicap gegenüber all jenen, die selektiv ein wenig ~liberale~ Ökonomie gelesen haben, mal ein Zeitungsabo gekündigt, einen Fernseher abgemeldet oder einen Streaming Account bezahlt haben, und mit dieser Erfahrung jetzt solide Medienexperten mit felsenfester Meinung sind.
Sie werden die Medienlandschaft bekommen, die ihnen gerecht wird. Im schlimmsten Fall eine, in der sich wenig verändert.
Aber woher sollen sie es denn auch wissen. Medien, allen voran gewisse Fernsehsender, laden ja mit Vorliebe 80jährige ein, um über die Journalismuszukunft zu referieren und diskutieren. Die dann im besten Fall sagen, dass die Jungen es schon irgendwann richten werden.