Die Praxis kennt keinen Glamour. Das ist oft so, in Alfred Pfabigans Philosophischer Praxis Märzstrasse ganz besonders. Hier stapeln sich Bücher in einer kleinen Wohnung im fünfzehnten Bezirk; Besucher werden durch ein enges Vorzimmer in ein kleines Büro mit schwarzer Ledercouch geführt – das ist alles.
Philosophische Praxis ist seit bald dreißig Jahren ein Begriff, seit Roland Düringer mit dem philosophischen Praktiker Eugen Schulak Bücher schreibt, bekommt die Branche auch ein wenig mehr Aufmerksamkeit.
Das Institut für Philosophie der Universität Wien überlegt die Einrichtung eines eigenen Lehrgangs für Philosophische Praxis, und eben Alfred Pfabigan kündigt mit seiner Praxis auch an, die Branche ein wenig zu institutionalisieren. Ab Herbst soll es auch hier einen Ausbildungslehrgang zum Leiter einer Philosophischen Praxis geben.
„Der Philosoph leistet Formulierungshilfe und macht aus sozialen Problemen textuelle Probleme. Er gibt ihnen sprachliche Form.“
Philosophie ist in vielen Fällen ein missbrauchter Lifestyle-Begriff, den sich Gastronomen, Designer oder Unternehmensberater gleichermassen auf die Fahnen heften. Populäre Philosophen wie Richard David Precht schaffen es, Philosophie-Happen mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen, praktisch orientierte Denker wie Mark Rowlands verbinden populäre Themen und Formate mit philosophischer Methode. Und was macht der philosophische Praktiker?
„Alle haben Jobs“, relativiert Pfabigan gleich einmal. „Ich bin durch meine Pensionen ja ebenfalls subventioniert.“ Neue Geschäftsfelder ergeben sich auch für Philosophen mit Praxis nur spärlich. Pfabigan bezeichnet seine Tätigkeit als „teilnehmende Wirtschaftsethik. Oft ist das auch Sozialarbeit – wenig oder gar nicht bezahlte.“ Die Kunden reichen von sozialen Initiativen im Bezirk über große Institutionen bis zu Konzernen.
In vielen Fällen sind die Themen ethischer Natur: „Manche Kunden brauchen einen Freispruch, weil sie etwas getan haben, das gesetzlich nicht verboten ist. Wir sind aber keine Weisswäscher.“
Der Philosoph beschäftigt sich auch nicht damit, Entscheidungen zu treffen oder Urteile zu fällen, sondern mit der Klärung von Identitäten und Begriffen. Ein Beispiel, das Pfabigan zitiert, betrifft Spitalsapotheker und teure Medikamente: Ein nur wenige Wochen lebensverlängernd wirkendes, aber sehr teures Krebsmittel ist in Österreich zugelassen. „Spitalsapothekern war die Entscheidung überlassen, ob sie den Einsatz in ihrem Bereich unterstützen oder nicht. Im Kodex des Berufsstandes steht nun an einer Stelle sinngemäss ‚Du sollst dem Patienten die Behandlung ermöglichen, die er will‘, gleich ein paar Zeilen weiter heisst es aber, Spitalsapotheker sollen im Sinn des Allgemeinwohls handeln. Und die Kosten für dieses Medikament verursachen Löcher im Budget, die unter Umständen die Finanzierung von anderen Therapien gefährden.“ – Praktisch eine Situation, in der viele Perspektiven und moralische Standpunkte eingebracht werden können, aus philosophischer Sicht das Problem zweier sehr unterschiedlicher, in einem Text vermischter Denkweisen: Der kategorische Imperativ “Du sollst dem Patienten die Behandlung ermöglichen, die er will“ lässt keine Ausnahmen zu, der Appell an das Allgemeinwohl dagegen bringt eine utilitaristische Position ein – damit kommt die Frage der Nützlichkeit ins Spiel, die vor allem in diesem Beispiel auch ganz andere Rahmenbedingungen berücksichtigen muss, als die Wünsche des Patienten. Eine Situation, aus der es grundsätzlich einmal keinen Ausweg gibt.
Andere Beratungsfälle sind weit einfacher – „Oft steckt jemand nur in einer Situation, die es ihm gerade unmöglich macht, seine eigene Klugheit für sich selbst zu nutzen. Da kann schon ein kurzes Gespräch viel helfen.”
In komplexeren Angelegenheiten das eigentliche Problem zu formulieren, sieht Pfabigan als die Aufgabe des philosophischen Praktikers. „Der Philosoph leistet Formulierungshilfe und macht aus sozialen Problemen textuelle Probleme. Er gibt ihnen sprachliche Form.“ Darin stecken keine Entscheidungen – das schafft nur die Möglichkeit, über Probleme reden zu können.
Das erfordert vor allem genauen Umgang mit der Sprache – eine Fähigkeit, die Pfabigan für sich auch im Rechtsstudium entdeckt hat: „Das Studium der römischen Digesten, die das eigentliche Problem erst mitten im Text verstecken, war eine sehr hilfreiche Übung.“
Genauigkeit und Nachdenklichkeit sind auch die Eigenschaften, die Pfabigan in seinen Ausbildungskandidaten sucht. Philosophische Ausbildung ist eine Voraussetzung, dazu die Fähigkeit, Autoren wie Hegel und Kant verstehen zu können, und sie verständlich zu erklären – allerdings ohne zu vereinfachen. „Wir sind uns einig, dass wir keine Frischlinge aufnehmen wollen.“ Grund dafür ist weniger die gefragte philosophische Erfahrung, sondern der Stellenwert der Ausbildung. „Philosophie ist auch in der Praxis kein geschütztes Gewerbe, es ist kein Grund, jemanden auszuschliessen. Auch der philosophische Praktiker ist kein Berufsbild im klassischen Sinn – als Praktiker bleiben Sie ein Strassensänger, der wie viele andere auch seine Dienste anbietet. Deshalb muss ich mich fragen, was ich mit der Ausbildung verantworten kann.“ Erfahrung und die Fähigkeit zur Empathie sind demnach zwei weitere wichtige Kriterien in der Auswahl der Ausbildungskandidaten: „Die Selbstwahl als Philosoph ist gerade am Anfang oft eine narzisstische.“ – Was in der philosophischen Praxis eher ein Hindernis ist.
Darauf ist auch der Ausbildungsweg zur philosophischen Praxis ausgerichtet. Neben philosophischen Grundlagen werden vor allem wirtschaftliche Kompetenzen vermittelt. Geschäftsmodelle für philosophische Praxen, Steuerliches, Subventionen und Kooperationen sollen Praktikern helfen, die wirtschaftliche Seite ihres Unternehmens in den Griff zu bekommen.
Der dritte große Bereich in der Ausbildung liegt in der Selbsterfahrung. „Selbsterfahrung wird ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Ich habe selber in den achtziger Jahren als Berater gruppendynamisch schlimme Dinge angerichtet und ganze Gruppen von Managern in die kollektive Depression geschickt. Eine destruktive Kundenbeziehung ist ein großes Problem für beide Seiten.“
Offen ist noch die genaue Preisgestaltung der Ausbildung. „Vor allem Selbsterfahrung ist nicht billig – aber wir wissen von unseren bisherigen Veranstaltungen recht genau, wo die Schmerzgrenze beim Preis liegt. Und der Preis soll auch in Relation zu dem wirtschaftlichen Nutzen stehen, den Absolventen aus der Ausbildung ziehen können.“
Die Bandbreite der philosophischen Praxis ist zwar groß, aber das Berufsfeld hat sich noch nicht etabliert. „So weit mir bekannt, gibt es auch noch keine Evaluierung, wie philosophische Beratung wirkt, wie sie von den Klienten erlebt wird.“ – Die griffigen Erfolgsstories lassen noch auf sich warten…
Einen Entwurf für das Curriculum des Ausbildungslehrgangs an der Universität gibt es hier; Pfabigan möchte sein Programm in Kürze ankündigen.
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