Konsum-Elitarismus: Warum wir so pleite sind

Konsum-Elitarismus: Warum wir so pleite sind

Wir tun so, als könnten wir entscheiden, wofür wir Geld ausgeben. Das ist ein Spiel auf dünnem Eis und in sehr begrenztem Rahmen.
Wir tun so, als könnten wir entscheiden, wofür wir Geld ausgeben. Das ist ein Spiel auf dünnem Eis und in sehr begrenztem Rahmen. 
Für den Staat bin ich reich. Ich zahle für einen recht spürbaren Teil meines Einkommens 50 Prozent Steuern, zahle seit vielen Jahren Höchstbeiträge in der Sozialversicherung und bei der Abschreibung von Sonderausgaben stehen mir nur noch die jährlichen 60 Euro Grundbetrag dazu – der Rest fällt unter Selbstbehalt.
Das sind die gleichen Rahmenbedingungen, die auch einen Vorstandsvorsitzenden oder eine Generaldirektorin eines internationalen Konzerns mit mehreren Milliarden Euro Bilanzsumme betreffen. Eigentlich sollte ich mir also alles leisten können – dennoch finde ich vieles absurd teuer, bin weit davon entfernt, sparen zu können und froh, wenn ich nicht immer den ganzen Überziehungsrahmen meines Kontos ausnützen muss.
Wohin fließt dann das Geld, und warum ist man, wenn man bei allen Pflichtabgaben das Maximum zahlt, nicht so reich wie Pablo Escobar?
Steuern sind nur ein Teil der Geschichte. Ein ziemlich fetter Teil zwar, aber lassen wir das mal beiseite. Es geht ja genau um die Frage, warum man steuerlich gesehen steinreich ist, im realen Leben aber ganz und gar nicht.

“Das ist halt Qualität”

Historisch orientierte Ökonomen gehen solchen Fragen gern mit der Analyse von Preisen und Preisvergleichen nach: Wofür wird Geld ausgegeben, welchen Anteil am verfügbaren Geld machen welche Waren aus? – Und es mussten übrigens beruhigende Zeiten gewesen sein, in denen verarmte Leute eben ins Hotel gezogen sind, in denen die tägliche abendliche Party mit Drei-Gänge-Menü und zwei Flaschen Wein dazu auch für mittellose Künstler kein Problem war und, später, in denen massenhafte Langzeitarbeitslosigkeit schlicht kein Thema war. Ok, echte Armut war damals (bis vor rund 150 Jahren) großteils schlicht außerhalb des Radars.
Trotzdem frage ich mich schon länger, ob es nicht genau solche Kleinigkeiten sind, die langsam aber sicher Budgets auffressen. Lebensmittelpreise sind in den letzten Jahren rasant gestiegen; Fett&Zucker-Junkfood aus dem Supermarkt, das mal verlässlich billiger Kalorien-Lieferant war, hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Parallel dazu treiben auch Qualitätsoffensiven die Preise: Beim Fleisch aus einer des Lebens würdigen Tierhaltung geht das vielleicht noch zu langsam, bei handgemachten Keksen, mit Liebe produzierten Kaffee-Spezialitäten oder Weinen entwickelt sich das dafür rasant. Qualität, Handarbeit, Nachhaltigkeit sind Preistreiber, die den Boden auch für andere Entwicklungen bereiten. Von vier oder sechs Euro für Kaffee, der nicht mehr nach Kaffee schmeckt, ist es nicht mehr weit zu zweihundert Euro für eine Nacht in einem Hotel mitten in der langweiligsten Prärie mit vielleicht Aussicht auf ein paar Berge. Hier ist es nicht Nachfrage, die den Preis gestaltet, es ist das Angebot – eines, das auf Langweile und Überdruß abzielt. Was teuer ist, muss gut sein, eben vielleicht im Sinne von Nachhaltigkeit auch noch gut für andere. – Noch besser wäre es aber vielleicht, der Hotelier, der sein Haus in die Ruhe versprechende Landschaft gebaut, es beruhigend designt und ausgestattet hat, hätte es gar nicht gebaut. Der Ruhe wegen.
Fairness ist sicher ein hochzuhaltender Wert, und Preise zu drücken schlägt schließlich gegen alle zurück. Die Idee, auf diesem Weg Arbeit wieder rentabler zu machen, birgt aber auch ein Risiko: Sie bindet die Möglichkeit von Arbeit an das Vorhandensein von Kapital. Darauf muss ich später noch einmal zurückkommen.

“Das kostet extra”

Während Lebensmittel und Gastronomie augenscheinlich deutlich dazu beitragen, Preise zu steigern, sind andere Produkte auf den ersten Blick billiger geworden – Flugreisen etwa. Wo vor zehn oder zwanzig Jahren eine Flugreise noch eine schwergewichtige finanzielle Entscheidung war, fällt sie jetzt weit weniger ins Gewicht. Das ist einerseits eine Frage der Relationen –  ein Amerika- oder Asien-Flug kostet oft weniger als eine kleine Wiener Mietwohnung im Monat kostet -, andererseits eine Frage der Preisgestaltung. Wo in anderen Branchen Qualität und Service aufgebaut wurden, wurden sie beim Fliegen abgebaut. So weit so fair. Allerdings zeigt sich beim Fliegen eine Entwicklung, die an die Gestaltung von Steuerreformen und die Einführung von neuen Belastungen erinnert. Seit übermaßiges Service an Bord gestrichen wurde, sind die Preise etwa gleichgeblieben – dafür müssen immer mehr frühere Selbstverständlichkeiten  jetzt gegen Bares zugekauft werden. Eine erste Entwicklung betraf das Gepäck – immer öfter ist nur Handgepäck inklusive, Bordgepäck muss extra bezahlt werden. Eine neuere Erfindung ist die Boarding-Reihenfolge: Nach Priority- und First Class-Passagieren können jetzt auch Economy-Class Passagiere gestaffelte Aufpreise zahlen, um früher an Bord des Fliegers zu dürfen. Sinn macht das natürlich in Kombination mit den Gepäcksregelungen: Wer die Grenzen seines Handgepäcks ausreizt und dafür auf extra zu bezahlendes Bordgepäck verzichtet, zahlt eben für die Boarding-Reihenfolge und gewinnt damit Zeit und Platz für sein Handgepäck. Und manche Billig-Airlines verlangen jetzt sogar schon Aufpreise für die Wahl des Sitzplatzes – auch beim Online-Checkin. Wer nicht zahlt, dem bleiben eben nur die undankbaren mittleren Plätze in den Dreier-Sitzreihen.
Auch das ist ein Weg, Werte zu schaffen, die wir früher nicht kannten. In der Wirtschaftsentwicklung geht es schließlich um Mehrwert.

Auch ideeller Mehrwert braucht reales Kapital

Mehrwert wird so zu einer Geschmacksfrage, zu einer persönlichen Entscheidung. Die gute Seite dabei ist: Das gibt mehr Menschen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wofür sie Geld ausgeben wollen. Die schlechte Seite ist: Der so verstandene Mehrwert produziert real betrachtet nicht mehr Wert. Für den Espresso ist es egal, ob er von einem Kellner gemacht wurde, der dabei auf die Uhr geschaut hat und an die letzte Folge seiner Lieblingsfernsehserie gedacht hat, oder von einem Barista, den es glücklich macht, seine Zeit zwischen tollen Espressomaschinen zu verbringen. Für das Ziel, eine andere Stadt zu erreichen, macht es auch keinen Unterschied, ob man während des Flugs aus dem Fenster sehen konnte oder seine Sitznachbarn aufscheuchen musste, um auf die Toilette zu gehen.
Trotzdem, und das ist das Gemeine dabei, muss es wohl einen Unterschied machen, ob Leute fair bezahlte Jobs gern machen, oder ob sie durch Androhung der Kürzung von Arbeitslosengeldern dazu gezwungen werden.
Der so beschaffene Mehrwert als treibender Wirtschaftsfaktor ist auch persönliche Vorlieben angewiesen – und er ist auf dünnem Eis gebaut: Nachdem wir den Wert, der eigentlich keiner ist, nicht wirklich brauchen, ist er auch etwas, auf das wir leicht verzichten können, wenns mal knapper zugeht.
Das ist dann wieder ein Problem, weil der ideelle Mehrwert – fair gehandelter Kaffee, glückliches Personal, gut designte Hotels – nur mit ganz realem Kapital in die Welt gebracht werden kann. Anbieter investieren also (sie brauchen, wie vorhin erwähnt, Kapital, um überhaupt arbeiten zu können) und sind dann darauf angewiesen, dass Kunden dieses Angebot aus ideellen Gründen annehmen. Schließlich kann nicht jeder Mensch jedes Mal frei entscheiden, wofür er oder sie Geld ausgibt: Irgendwann ist es in den meisten Fällen aus. Und auch davor ist es eine Verteilungsfrage: Den einen sind Reisen wichtig, den anderen Mode, manche geben Geld für gutes Essen aus und sind der Meinung, sich keine Urlaube leisten zu können.

Preis-Trittbrettfahrer

So beschrieben sind das Luxusprobleme. Über manche Dinge kann man allerdings nicht entscheiden, wenn man Teil einer Gesellschaft sein will: Wohnung, Essen, einigermaßen saubere Kleidung, Möglichkeiten sich fortzubewegen, Bankkonten oder Kommunikationsmittel gehören zur Grundaustattung, über die kaum frei entschieden werden kann. Kleidung lässt noch am meisten Spielraum – Entscheidungen sind hier aber auch immer mit Distinktionsverlusten verbunden.
Auch hier entwickeln sich die Preise nach ideellen Gesichtspunkten so als hätten wir die Wahl: Wohnungen werden nach Lage und Features bewertet, Handys und Verträge kosten selbstverständlich nicht zu wenig Geld (nachdem sie ein Zeit lang fast gratis sein mussten) und sogar Gebühren für öffentliche Leistungen werden mit dem Argument „Wir wollen doch alle eine tolle gut funktionierende Stadt“ laufend erhöht – deren Teuerung liegt sogar beim doppelten der Inflationsrate und ist damit ein ganz wesentlicher Preistreiber, dem niemand auskommt.
Wir zahlen also, weil es Teil unseres Selbstverständnisses geworden ist, dass zahlen zu können gut ist. Zahlen können ist eine Form von Freiheit; wer mehr zahlen kann (oder sich aussuchen kann, wofür er oder sie zahlt), hat also mehr Freiheit. Tatsächlich ist diese Entscheidung aber nur in sehr kleinen Spielräumen möglich. Wir zahlen trotzdem – in der Hoffnung, dass sich das erstens gut anfühlt, dass zweitens ein Teil davon zu uns zurückkommt, und dass drittens irgendwann alles gut wird. So lange wir nur zahlen.
Es ist eben ein bisschen paradox, dass gerade eine Form von Konsumkritik, die Wert auf ideellen Mehrwert legt, dazu beiträgt, dass Konsum nach wie vor ein zentrales Element bleibt. Manchen Betroffenen würde es vermutlcih auch gar nicht einfallen, sich als konsumkritisch zu betrachten – Der Begriff Konsum-Elitarismus beschreibt die Sachlage besser.
Aber auch das ist nur eine Seite der Geschichte.
Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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