Martin Andree, Big Tech muss weg

Martin Andree, Big Tech muss weg

Pläne zur Plattformregulierung werfen stets die Frage auf: Wer soll das wie durchsetzen? Andree appelliert an die Politik, lässt dabei aber außer Acht, dass Medien und User selbst daran arbeiten müssen, die notwendige Distanz zu den großen Plattformen wiederherzustellen.

Es ist eine einfache und kaum zu ignorierende oder widerlegende These: Big Tech schadet Medien und Demokratie. Die Vorherrschaft von Suchmaschinen und Social Networks, die Traffic technisch beherrschen und auch inhaltlich steuern, drückt Medien an die Wand und entfernt Öffentlichkeit von demokratischen Prinzipien. Es haben nur noch einige wenige das Sagen. Konkurrenz kann kaum entstehen; digital herrscht das Alles-oder-nichts-Prinzip.

Das lässt sich klar sagen und belegen; Andree verpackt es in dramatisierte Sprache, in der vieles „tödlich“ ist, illustriert sein Buch mit verzerrenden Grafiken und tut damit der Klarheit und Relevanz seiner eigenen Thesen keinen Gefallen. 

Das ist schade, denn über weite Strecken gibt es nichts gegen seine Aussagen einzuwenden. Ein paar Schwachstellen sind seine Ignoranz der Tatsache, dass sich viele Menschen längst schon wieder von Social Media wegbewegen (auch wenn Social Networks wichtige Nachrichtenquelle bleiben) oder seine Darstellung von Google, Facebook und Amazon als durchgängiger Funnel in der Produktrecherche (also ob nicht alle Unternehmen jeweils eigene Interessen verfolgen würden). Der ideologische Überbau von Big Tech ist in Adrian Daubs „What Tech Calls Thinking“ besser ausgearbeitet.

Mir fehlt auch die Rolle der vielen kleinen, ohne Förderungen nur als Privatveranstaltung lebensfähigen Mini-Medien, die mithelfen, die Relevanz von Nachrichtenmedien zu untergraben, die den Begriff von Qualitätsjournalismus aufweichen, indem sie ihn nicht mehr an Checks und Mehraugenprinzipien binden, sondern inhaltliche Kriterien dafür identifizieren und mit ihren – bescheidenen – Reichweitenkonzepten Plattformen unterstützen.

Andree muss sich auch die Frage stellen lassen, ob die Unterstellung der Kapitulation von Regierungen und Medien nicht etwas dünn belegt ist, wenn Google als Monopolist verurteilt wird, zahlreiche weitere Verfahren gegen Techriesen laufen, und TikTok ein umstrittenes weil potenziell Abhängigkeiten erzeugendes Treueprogramm für User zumindest in Europa nicht auf den Markt bringen wird.

Neben diesen Schwachpunkten bringt Andree aber einige sehr klare, machbare und überzeugende Argumente dafür, dass und wie Big Tech reguliert werden kann.

Die Frage der Inhaltsregulierung – sollen Plattformen als Medien betrachtet und so wie andere Medien auch für Inhalte haftbar gemacht werden – war lange schwer zu beantworten. Das Versprechen, nur Kanäle zur Verfügung zu stellen und die Inhalte der Verantwortung der User zu überlassen, erweckte lang den Eindruck, Plattformen könnten nicht haftbar gemacht werden. Diese Neutralität existiert allerdings schon länger nicht mehr. Plattformen haben sich entschieden, bei Inhalten mitzumischen. Nachrichtenmedien und andere Inhalte, die Links nach draußen enthalten, werden auf allen Plattformen niedriger priorisiert. Accounts, die öfters auf Substack verweisen, sind im Twitterfeed kaum noch für andere sichtbar. Video- und Podcastplattformen bieten unterschiedlichen Publishern unterschiedliche Konditionen und kaufen teilweise auch gezielt konkrete Inhalte ein. Das sind Entwicklungen, die das Spielfeld deutlich verändern und eher dafür sprechen, Social Networks auch als Inhalteanbieter zu behandeln.

Offen bleibt dabei aber die ganz praktische Frage, nach welchem Recht diese Regulierungen getroffen werden sollten und auch welcher Grundlage Plattformen veranlasst werden können, sich daran zu halten. Andree wundert sich, warum deutsches Recht nicht auch für deutsche Plattformen gelten sollte. Ich bin nicht überzeugt, dass diese Vereinfachung ganz zu Ende gedacht ist. Denn in letzter Konsequenz bedeutet das einseitige Beharren auf der Durchsetzung nationalen Rechts für internationale Plattformen Internetsperren, wie wir sie aus China kennen. Ich nehme an, dass das nicht das erste Mittel der Wahl ist.

Andree versucht denn auch, in seinen Regulierungsvorschlägen konkreter zu werden – mit wechselnder Überzeugungskraft. 

  • Eine erste Forderung: User sollen beim Wechsel von Plattformen Follower mitnehmen können. Die Entscheidung sollte erstens den Followern überlassen bleiben, zweitens waren solche Ansätze einer der größten Kritikpunkte an Whatsapp. Die App verlangte den Zugriff auf Kontakte – und erzwang so Zugriff auf Daten von Usern, die nichts davon wussten.
  • Outlink-Freiheit dagegen ist ein sehr relevanter Punkt. Es soll möglich sein, Traffic von Plattformen zu anderen Seiten zu lenken, ohne dass Plattformen hier steuernd eingreifen, indem etwa Medien oder Konkurrenzplattformen benachteiligt werden.
  • Datentransparenz ist interessant und wird auch in anderen Konzepten gefordert, allerdings dienen solche Erhebungen oft – und auch bei Andree – als erste Schritte auf dem Weg zu Kontrolle und Besteuerung.
  • Steuern sind denn auch Andrees nächster Punkt.
  • Offenlegungs- und weitere Transparenzpflichten können nützlich sein, auch Entflechtungs- und vielleicht sogar Marktanteilsobergrenzen.
  • Skeptischer bin ich bei der Forderung nach neutralen Algorithmen. Es gibt keine Neutralität in Daten und Algorithmen. Es gibt allenfalls Transparenz darüber, nach welchen Kriterien und mit welchen Zielen Gewichtungen und andere Entscheidungen vorgenommen wurden.

Anregend ist Andrees letzte Forderung nach einer wie ein Aufsichtsrat funktionierenden Community-Instanz pro Plattformen, die etwa in AGB-Fragen das letzte Wort haben soll. An diesem Vorschlag lassen sich auch alle Risiken und Schwierigkeiten der Regulierungsideen für Plattformen festmachen: Wer soll wie welche rechtlichen Grundlagen dafür schaffen? Wie sollen User in die Lage versetzt werden, in solchen komplexen Fragestellungen urteilen zu können? Interessiert das überhaupt eine ausreichende Menge an Usern, um relevante Dynamik aufbauen zu können? Und, nachdem Andrees Prämisse die Rettung von (mehr oder weniger) klassischen Medien ist: Interessiert diese Rettung User überhaupt und würden User, die durch ihre Verhalten mitgeholfen haben, die aktuell problematische Situation herbeizuführen, Regelungen treffen, die diese Situation verändern? Oder würden sie diese eher einzementieren und so etwas wie einen Social Media-Brexit herbeiführen?

Viele Diagnosen in Andrees Buch stimmen. Ich habe allerdings Zweifel ob der Konsequenzen. Was heute wie ein perfider Plan auf dem Weg zur Medienvorherrschaft erscheint, ist das Ergebnis langfristiger und unterschiedlicher Entwicklungen und des Verhaltens von Usern und Medien. Manche lange Zeit auf Social Networks erfolgreichen und von anderen bewunderten Medien wie Vice oder Ozy haben sich in ihrer Dauerpräsenz überflüssig gemacht und sind völlig vom Markt verschwunden. Amazon-Händler haben allesamt die Erfahrung gemacht, das Amazon Preise diktiert, Verantwortung und Haftungsfragen auf die Kleinen abwälzt und Prozesse so gestaltet, dass sie für Amazon selbst und für Konsumenten passen – die eigentlichen Anbieter kommen unter die Räder. Im Papiermedien-Zeitalter machte man sich kaum Gedanken darüber, wenn unter 30-Jährige keine Zeitungsabos hatten (außer vielleicht einem mit guten Giveaways verbundenen Studentenabo). Heute sollen sich Nachrichtenmedien Sorgen machen, wenn 15-Jährige sagen, dass im aktuellen Nachrichtenangebot nichts für sie interessantes dabei ist. 

Medien und User, die eine lebendige Medienlandschaft behalten wollen, müssen selbst etwas dazu beitragen. Das wird nicht ausreichen. Eine noch weniger Erfolg versprechende Strategie ist es allerdings – und das habe ich schon einige Male bei eher oberflächenorientierten CEOs beobachtet – politische Lösungen zu verlangen oder gar zu erwarten. Die werden nicht rechtzeitig kommen. Medien und User müssen selbst daran arbeiten, die notwendige Distanz zu Social Networks wiederherzustellen.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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