Sophia Fritz: Toxische Weiblichkeit

Sophia Fritz: Toxische Weiblichkeit

Wir sind ja alle mit uns unzufrieden. Aber noch haben nicht alle ihr Buch dazu geschrieben.

Spätestens nachdem ich Houellebeqcs “Serotonin” gelesen hatte, hatte ich für längere Zeit mal genug von männlicher Erweckungsliteratur. Houellebeqc kann gar nicht viel dafür, das war einfach eine Frage der Zeit. Männer erleben irgendwas, haben eine Einsicht, eine Idee – und von dort aus spinnt sich ein Plot, meist Roadmovie-ähnlich, der sonst völlig haltlos wäre. Mit der Erweckung als Rahmenhandlung fällt dann vielleicht nicht ganz so auf, wie haltlos der Plot ist.
Mittlerweile haben Frauen nachgezogen und fabrizieren ähnliche Erweckungstexte. Es sind dann quasi symbolische Roadmovies, die von Druck, Erwartungen und Erkenntnissen handeln.
Der Unterschied: Während männliche Erweckungsprosa Einzeltäter stilisiert, wollen weibliche Gegenstücke oft mitnehmen. Das funktioniert auch nicht immer. Googelt man AutorInnen, die schon länger in diesem Geschäft sind, Sophie Passmann etwa, findet man eine Reihe von Distanzierungen, Entschuldigungen oder Zurücknahmen misslungen ironischer Unterstellungen.
Männer machen sich im übrigen mittlerweile kaum weniger selbstdestruktive Gedanken. Wobei vermutlich zwei wesentliche Unterschiede bestehen: Männer profitieren eher von Nachdenklichkeit – es kann ein Profilierungsmerkmal sein, dass wiederum hilft, Einzeltäter zu stilisieren (womit wir wieder am Anfang sind). Der zweite Unterschied: Männer betrachten diese Art der Selbstverunsicherung eher als destruktiv als Frauen. Wobei Männer weniger ein Problem mit (Selbst)Destruktivität haben; das äußert sich auch in Saufen, Rasen und Extremsport. Damit verstärken neue Verhaltensweisen (wie Selbstreflexivität) alte.
Was hat das mit diesem Buch zu tun? Es ist ein Versuch, Verbindungen herzustellen zu einer Welt, in der die Autorin eine Vielzahl von Therapie- und Massagetechniken erlernt (um sich kennenzulernen), zwei bis drei neue Theorien und AutorInnen pro Seite anreißt und deren Zitate aneinanderreiht und damit Breite und Tiefe herstellt, die nicht wirklich greifbar wird.
Wir alle sind doch mit uns unzufrieden, denke ich mir nach dem Lesen solcher Erweckungstexte immer. Aber wir haben noch nicht alle unser Buch dazu geschrieben.

Michael Hafner

Michael Hafner

Daten- und Digitalisierungsexperte, Wissenschafts- und Technologiehistoriker, Informatiker und Journalist

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