Es hat ein Weilchen gedauert.
Trust Exchange Research startete als praxisorientiertes Forschungsvorhaben mit einer Interviewserie und einigen Gastpostings von Bloggern, Forschern und anderen Experten.
Dann herrschte zugegebenermassen ein wenig Funkstille.
Was mich vor allem stutzig gemacht hat, war die Tatsache, dass alle Befragten immer wieder grosse Namen und Marken als vertrauenswuerdig angefuehrt haben; zusaetzlich waren Analogien und Ueberleitungen aus der Offline-Welt sehr haeufige Mittel, um Vertrauen zu begruenden. – Und das, wo das Sample doch sehr onlinelastig gewaehlt war.
Das unterschwellige Fazit: Am effizientesten sind Medien als Ueberzeugungswerkzeuge (wenn wir das einmal als einen der Zwecke von Vertrauen voraussetzen) dort, wo sie nicht weiter auffallen. Das gilt nun fuer viele praktische Innovationen: Die erfolgreichsten sind die, die man nicht merkt, weil sie sich scheinbar von selbst ergeben und einfach eine Luecke schliessen, ein verbreitetes Problem loesen.
Auch Vertrauen ist dort am umfassendsten gegeben, wo es gar kein Thema ist: Wo sich die Frage nicht stellt, wird sie auch nicht mit Nein beantwortet.
Ja- oder Nein-Entscheidungen waren den meisten leicht moeglich; eine Begruendung oder ein nachvollziehbarer Plan zur Konstruktion weit weniger.
Nachdem die meisten Entscheidungen aber nicht auf online-spezifischen Kriterien beruhten, draengte sich die Frage auf: Warum ist gerade im Zusammenhang mit Onlinemedien Vertrauen so wichtig?
Die veraenderte Fragestellung (nicht: Warum und worauf vertrauen wir online?, sondern: Warum halten wir Vertrauen im Zusammenhang mit Onlinemedien fuer wichtig?) bringt einige Aenderungen in Methode und Arbeitsschritten mit sich.
Abweichend vom ursprueglichen Plan sind Gegenstand und Methode der Untersuchung von Vertrauen jetzt philosophischer Natur. Warum? Genau das ist die Frage, die sich nach den Schritten gestellt hat: Warum ist gerade im Zusammenhang mit Onlinemedien Vertrauen ein so wichtiges Thema? Die Frage ist nicht: Warum halten wir Vertrauen fuer wichtig?, sondern: Warum setzen wir im Streben nach Vertrauen so grosse Hoffnung in Onlinemedien?
Wo ist der Unterschied zu klassischen Medien, zum direkten Gespraech und zu anderen Kommunikations- und Organisationsformen?
In dieser Frage enthaltene Fragen sind:
- Was sind in diesem Zusammenhang relevante Arten von Vertrauen?
- Welche Lebensbereiche sind von dieser Thematik betroffen? – Es geht um Erkenntnis, um Ethik, um politische und wirtschaftliche Werte – was noch?
- Welche Eigenschaften welcher Medien sind hier relevant?
- Wer sagt ueberhaupt, dass wir 1.) Vertrauen wollen und 2.) dabei Hoffnungen auf Onlinemedien setzen?
Die Frage nach dem Warum fragt hier also sowohl nach Eigenschaften von Onlinemedien als auch nach mit Onlinemedien verbundenen Formen des Vertrauens.
Diese Fragestellung habe ich nun etwas konkreter formuliert, und sie wird mich die naechsten Monate begleiten.
Trust Ex-Fragestellung revisited
Medien sind eine kommerzielle Veranstaltung. Produkte – gestaltete Information redaktioneller oder werblicher Natur – werden an Konsumenten gebracht. Weder fuer die Gestaltung noch fuer den Konsum ist grundsaetzlich Vertrauen erforderlich. Es ist ein geschaeftlicher Austausch; fuer den Moment betrachtet, ist hier nicht viel Vertrauen erforderlich. Geschaeftliche Vorteile schlagen sich auch auf anderen Gebieten nieder.
Der Produzent bekommt Geld, der Konsument Unterhaltung, Information oder anderen Mehrwert.
Vertrauen wird dort wichtiger, wo Beziehungen langfristiger organisiert werden sollen, wo die Auswahl so gross ist, dass Preisentscheidungen oder andere rationale Kriterien nur schwer genutzt werden koennen um als Anbieter hervorzustechen, oder wo die direkten Reaktionen der jeweils anderen Seite deutlich spuerbar sind.
Die Betonung von Vertrauen bedeutet also
- die Suche nach einer Abkzuerzung auf dem Weg zu einem Verkaufsabschluss
- Anzeichen von Besorgnis bei den Maechtigen
- die Suche nach Sicherheit von beiden Seiten aus – dabei ist Vertrauenswuerdigkeit sowohl eine Eigenschaft des Gegenuebers als auch des Mediums
Hypothese
Die grundlegende Hypothese dabei ist, dass sowohl Vertrauen als auch der digitale Raum, in dem Onlinekommunikation stattfindet, negativ definierte Begriffe sind.
Beide werden oft ueber Abgrenzungen und Verneinungen definiert: Digtale Information hat keinen Koerper, ist nicht an einen Ort gebunden; Vertrauen bedeutet, nichts zu befuerchten zu haben, etwas nicht als Bedrohung zu empfinden.
Unterschiedliche Analogien rund um Onlinemedien und andere digitale Medien zeigen, wie Vertrauen (in diversen Auspraegungen – als Hoffnung, Erwartung, Machtdemonstration, Vorleistung etc.) instrumentalisiert wird, um die durch die negative Definition entstehende Luecke zu schliessen.
Das passiert, so die Vermutung, auf zwei scheinbar entgegengesetzten Wegen:
- Dekontextualisierung bedeutet die Nutzung digitaler Medien, um Ballast zu entfernen und mit der Information selbst (die auf Code und Zeichen reduziert wird) zu arbeiten.
- Rekontextualisierung bedeutet die Nutzung einer anderen Eigenschaft digitaler Medien, um Information und Bedeutung ueber vielfaeltig verfuegbare und leicht herzustellende Beziehungen anzureichern und zu analysieren.
Kontext reduzierende Strategien entsprechen der erkenntnistheoretischen Betrachtung des Problems: Koennen wir einen direkten Weg zur Erkenntnis freimachen, zeichnen sich Onlinemedien in dieser Hinsicht durch irgendetwas aus?
Kontext erzeugende Strategien sind ethisch oder aesthetisch fokussierte Strategien. Sie beschaeftigen sich mit Zusammenhaengen, Wertsystemen und ableitbaren Normen und Konsequenzen.
Methode
Fuer die Suche nach philosophischen Antworten auf die Frage warum Vertrauen in dieser Konstellation wichtig ist, ist die Frage in mehrere Detailfragen zu teilen.
Was sind Zweck und Folge von Vertrauen, welche Erwartungen sind damit verknuepft?
Was sind die Voraussetzungen von Vertrauen, unter welchen Umstaenden kann dieser Zustand erreicht werden?
Disziplinen zur Beantwortung dieser Fragen sind Erkenntnistheorie, Ethik und Aesthetik.
Vertrauen in erkenntnistheoretischer Hinsicht befasst sich mit folgenden Themen:
- Vertrauen und Gewissheit – wie weit kann das erkennende Subjekt seinen Sinnen (Werkzeugen) vertrauen? Wie veraendert sich diese Frage durch die Verwendung von Onlinemedien?
- Welche Rolle spielt Vertrauen bei der Entwicklung von Kooperation (Kooperation ist eine der wichtigsten Funktionen von Onlinemedien).
Die letzte Frage leitet ueber zur ethischen Dimension.
- Warum wollen wir Vertrauen, mit welchen Werten sind Vertrauen und dessen positive Bewertung verbunden?
- Was erwarten wir von Vertrauen, wie soll/darf damit umgegangen werden?
- Was sind soziale Konsequenzen von Vertrauen; was haben wir davon?
Am Rande sehe ich noch eine aesthetische Komponente, die sich mit formalen und normativen Aspekten von Onlinemedien und deren Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Vertrauenswuerdigkeit befasst.
Methode – Analyse praktischer Phaenomene
Praktische Phaenomene, die zur Veranschaulichung und Analyse herangezogen werden, sind das Free Software Movement, diverse Zertifizierungs- und Bewertungssysteme in Onlinemedien (Web of Trust, Rap Leaf, Ebay-Ratings etc.), das sich formierende Konzept von Outernet und Augmented Reality und praktische Beispiele aus dem Marketing in und ueber Social Networks.
Zweck
Zweck der Anayse der Frage, warum Vertrauen in Onlinemedien wichtig ist, ist es, Orientierung ueber die in dieser Frage eingeschlossenen Fragen und Konsequenzen zu geben: Welche Annahmen zu Ethik, Positionierung in der und Erfassung der Welt werden im konkreten Zusammenhang vorausgesetzt, wenn Vertrauen gefordert wird, was gilt umgekehrt, wenn Vertrauenswuerdigkeit gefordert wird (Vertrauen entgegen gebracht wird)?