Was denken Sie eigentlich? – Teil 1: Neandertaler, Logik und Zeitreisende

Was denken Sie eigentlich? – Teil 1: Neandertaler, Logik und Zeitreisende

Wir arbeiten an Prototypen einer neuen Serie: Was sagen manche Menschen eigentlich, wenn sie reden? Heute legt Robert Lugars jüngste Rede nahe, dass manche Parlamentarier geheime Informationen von Zeitreisenden empfangen.

Wir arbeiten an Prototypen einer neuen Serie: Was sagen manche Menschen eigentlich, wenn sie reden? Heute legt, logisch analysiert, Robert Lugars jüngste Rede nahe, dass manche Parlamentarier geheime Informationen von Zeitreisenden empfangen. 

“Was denken Sie eigentlich?“ wird gemeinhin mit einem eher vorwurfsvollen Unterton gefragt. Umgangssprachlich ist auch „Was glauben Sie eigentlich?” geläufiger. Ich bleibe trotzdem beim Denken, weil ich damit an Lesarten von Texten anknüpfen möchte, die versuchen, einen Schlüssel zum Weltbild des Schreibenden oder Sprechenden zu finden. Das kann ein Weltbild sein, das der Sprechende beschreiben möchte, eines, das durch seine Aussagen konkreter wird, oder eines, in dem seine Aussagen besondere Wirkung entfalten. 
Ich hatte bis jetzt ein paar Notizen zu dieser Idee. Die Notizen drohten, wie so vieles, mitsamt der Idee auf einer langen Bank in weite Ferne zu verschwinden, aber dann kam diese Rede von Team Stronach-Klubobmann Robert Lugar. An der kann man einfach nicht vorbeigehen und muss sie zumindest in Ansätzen zu verstehen versuchen.

Lugar (TS): „Weltbild wie die Neandertaler“„Jetzt holen sie genau solche Neandertaler herein, die wir bei uns Gott sei Dank ausgerottet haben, die die Frauenrechte mit Füßen treten.“ – Robert Lugar vom Team Stronach sorgt bei der heutigen Nationalratsdebatte zur Flüchtlingspolitik für Aufregung.

Posted by Zeit im Bild on Wednesday, March 16, 2016

Wenden wir einfach mal ein paar Grundregeln der Argumentation und der Logik an. Logik hat nämlich ihre Tücken: Wenn man unterstellt, dass sich Argumente im Grundrahmen der Logik bewegen, dann schließen sie nämlich auch einiges mit ein.
Das Gute vorweg: Man könnte Lugars Argumentation als genialen Schachzug sehen, um eventuelle Rassismus-Vorwürfe ins Leere laufen zu lassen. Rassen gibt es innerhalb eine Spezies; nachdem Lugar aber (manchen) Flüchtlingen nicht den Status der Spezies Mensch zuerkennt, sondern sie zu den Neandertalern zählt, kann er also kein Rassist sein. Oder?
Die Grundlage, auf der er diese Unterscheidung einführt, erschließt sich allerdings nicht ganz so leicht. Wie er am Tag danach selber sagte, weiß er ja gar nicht, wie das Weltbild von Neandertalern ausgesehen hat. Das wäre wahrscheinlich auch insofern schwierig, als man sich bis heute nicht sicher ist, ob Neandertaler Sprache hatten.

“Neandertaler (…), die wir Gott sei Dank ausgerottet haben”

Wird auch schwierig, das festzustellen, denn wie Robert Lugar richtig vermuten lässt: Neandertaler leben nicht mehr. Der gängigen Lehre zufolge sind sie ausgestorben, Lugar formuliert es etwas anders: „Wir haben sie Gott sei Dank ausgerottet.“*
Da stecken zwei Implikationen drin:
Erstens: Wer sich bei seinem Gott bedankt, findet das, wofür er sich bedankt, in der Regel gut. „Jemanden ausrotten“ ist eine aktiv besetzte Wendung; sie bedeutet nicht unbedingt, jemanden mit eigenen Händen zu erwürgen. Im weitesten Sinn kann ausrotten auch das Vernichten der Lebensgrundlagen der ausgerotteten Art bedeuten. Jedenfalls sind Tod und Töten notwendige Voraussetzungen des Ausrottens.
Logisch aufgegliedert bedeutet „Gott sei Dank haben wir x ausgerottet” also:
1) Ich finde es gut, dass wir x ausgerottet haben.
2) eingeschlossene Prämisse: Ausrotten bedeutet Töten.
3) Konsequenz: Ich finde Töten gut.
Ob und unter welchen Umständen man das Töten befürworten darf oder sollte, ist eine häufige Fragestellung moralphilosophischer Dilemmata. Meist werden dabei aber vergleichbar schwerwiegende Konsequenzen einander gegenübergestellt: Darf man den dicken Mann von der Brücke werfen, um den Zug zu stoppen, der fünf Menschen zu überrollen droht? Oder darf man die Weiche umstellen , sodass auf dem anderen Gleis nur ein Mensch (statt fünf auf dem anderen Gleis) überrollt würde?
Diese Konsequenz fehlt mir in dem Neandertaler-Ausrottungs-Dilemma. Welche schwerwiegende Folge wäre gegenüber der Entscheidung, die Neandertaler auszurotten, so viel gravierender? Ist es nur das gesunkene subjektive Sicherheitsgefühl?
Zweitens: Die zweite Implikation des Ausrottungssagers macht verständlich, warum diese letzte Frage so schwer zu beantworten ist. „Wir haben ausgerottet“ ist wie bereits festgestellt eine aktive Formulierung. Sie setzt den Sprechenden in Bezug zur Handlung. Das Aussterben der Neandertaler liegt nun allerdings bereits rund 40.000 Jahre zurück. Wie kann jemand, der gestern noch am Rednerpult des Parlaments stand, ein Ereignis von vor 40.000 Jahren auf sich verbuchen?
Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten:
1) Lugar fasst das „wir“ in seiner Formulierung sehr weit und schließt dabei sich, seine WählerInnen, seine NichtwählerInnen und die gesamte Menschheit der letzten 40.000 bis 45.000 Jahre ein. Schließlich haben Menschen und Neandertaler eine Zeit lang den Planeten gemeinsam bewohnt. Damit gäbe es ein globales und die Jahrtausende überdauerndes  „Wir“, das das Subjekt in dieser Aussage spielen kann. Damit wäre diese Aussage logisch möglich, sie wäre allerdings höchstwahrscheinlich immer noch historisch falsch. Das Aussterben der Neandertaler wird je nach Theorie auf Umwelteinflüsse, zu kleine Gehirne, mangelnde Sozialkompetenz oder darauf, dass sie vielleicht keinen Spaß an Sex hatten, zurückgeführt.
2) Die zweite Möglichkeit: Wer der Meinung ist, die Neandertaler ausgerottet zu haben, glaubt auch an Zeitreisen. Eine andere mögliche Voraussetzung, um die Aussage „Wir haben die Neandertaler ausgerottet“ richtig sein zu lassen, wäre die Annahme, dass sich ein geheimes Kommando 40.000 Jahre weit in die Vergangenheit beamen ließ, dort den Neandertalern den Garaus machte, und dann vermutlich wieder zurückkehrte, um Grenzzäune aufzuziehen. Wobei der letzte Teil der Geschichte nur Spekulation ist – vielleicht sind sie ja auch bei den Neandertalern geblieben und damit beschäftigt, ihre Spuren zu verwischen, weshalb es Forschern auch so schwer fällt, Details über das Ende der Neandertaler festzustellen. Oder sie sind seither in einer vernichtenden Raum-Zeit-Spirale gefangen, aus der sie nur alle paar Jahre rechtzeitig vor Ostern mit ausgewählten Parlamentariern kommunizieren können. Wir sollten hier nichts voreilig ausschließen
Man könnte jetzt sagen: Passt gut zu einer Zeit, in der Bundespräsidentschaftskandidaten aus einer Republik einen Gottesstaat machen möchten oder Lokalpolitiker auf die voodoo-ähnlich beschwörende Magie von Werteformeln oder deutscher Poesie setzen.
Oder man könnte sich die Frage stellen, was es bedeutet, Menschen die Menschlichkeit abzuerkennen.
Das ist dann aber keine reine Logikfrage mehr. Historiker oder Kolonialismusforscher (“Wir sind alle Neger”) wissen darüber mehr und Konkreteres.
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* wörtlich heisst es: „Jetzt holen Sie genau solche Neandertaler herein, die wir bei uns Gott sei Dank ausgerottet haben.“
Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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