Ich habe zum ersten Mal ein Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre gelesen.
Ich kann ja nicht so mit Udo Lindenberg. Ich habs gelegentlich probiert, aber – nein. Wahrscheinlich ist er ein cooler Typ, wohl auch menschlich toll und irgendwann mal künstlerisch wichtig, vielleicht jetzt sogar noch, aber ich kann Udo Lindenberg keine zehn Sekunden lang youtuben, ohne an tausend andere Dinge zu denken, die ich jetzt lieber machen würde.
Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für Benjamin von Stuckrad-Barres neues Buch „Panikherz“, in dem Udo Lichtenberg das wichtigste auf der Welt ist. Neben Koks. Aber Koks ist mittlerweile aus Stuckrad-Barres Leben verschwunden, Udo Lindenberg ist geblieben. Ich habe einen neuen Versuch mit Udo gemacht, weil ich ja auch einen neuen Versuch mit Stuckrad-Barre gemacht habe – „Panikherz“ ist das erste seiner Bücher, das ich gelesen habe. Vielleicht habe ich es früher aus Neid auf den Erfolg nicht gemacht, kann schon sein, aber auch, weil ich den hyper-referenziellen Pop-Kram nicht aushalte.
Meine eigene Karriere als Musikjournalist war kurz. Nicht zuletzt, weil der Rock’n’roll-Journalismus all die Fehler und Langweiligkeiten kopiert, die Kunst- und Literaturjournalismus schon Jahrzehnte vorher zu einer großteils öden Veranstaltung gemacht haben. Dinge im Zusammenhang zu sehen ist wichtig, Kontext, Zitate und Anspielungen als Inhaltsersatz zu vergöttern ist aber das, was dann auch Kunst selbst langweilig macht.
Aber es sollte ja um das Buch gehen. Stuckrad-Barre schreibt seine Autobiografie und konzentriert sich dabei vor allem auf seine Magersucht und seine Kokssucht. Rolling Stone, die Harald Schmidt-Show und diverse Musikmarketingjobs sind dabei Nebenerscheinungen, die irgendwo am Rand vorbeiziehen. Stuckrad-Barre sagt viele Dinge, so wie man es selbst vielleicht für unausgereift und unschlüssig halten würde, und lässt sie so stehen. So entsteht Literatur.
Stuckrad-Barre braucht 600 Seiten, um seine Geschichte zu erzählen. Koks kommt eben immer wieder zurück. Wenn man es einsetzt, weil man Stille und Ruhe nicht ertragen kann, dann umso mehr – Koks an sich hat ja keinen Unterhaltungswert, aber es versetzt den Konsumenten in die Lage, selbst die Unterhaltung zu sein, die er gerne hätte. Damit wird Stuckrad-Barres Buch zur schönen Geschichte über die Unausweichlichkeit der Enttäuschung, die sich bei der Suche nach fast allem erleben lässt. Im konkreten Fall: Die Suche nach der Coolness des Rock’n’Roll-Journalisten springt mitten in das Klischee zwischen Groupie und Gott (der durch seine Kritiken entscheidet), zerstört es durch den Wechsel ins Musikmarketing, das wieder die Illusion jedweder Coolness im Musikbusiness zerstört und mündet die Enttäuschung, die nicht akzeptiert werden kann: Wenn es die Party, die ich immer gesucht habe, nicht gibt, dann muss ich sie eben selber machen.
Irgendwann dämmert einem dann ja, dass man sich ziemlich verrannt hat, wenn man immer öfter ohne Freunde, Plan oder Perspektiven aufwacht, aber dann ist es halt nicht mehr so leicht, aus dem Hamsterrad rauszukommen. Denn nüchtern betrachtet, ist die ewige Party ein ähnliches Hamsterrad wie das Einfamilienhaus mit dem 9-5 Job. (Eine der größten und schönsten und ignoriertesten Erzählungen dazu ist übrigens, wenn auch frauenpolitisch fallweise nicht mehr ganz zeitgemäß, Charles Bukowskis „Women“.)
Stuckrad-Barre jedenfalls wird irgendwann wieder nüchtern und verwandelt sich in den Prototypen deutscher Entertainmentkultur, also in den Helden von Gala- und Bunte-Klischees schlechthin: Selbstfindung im Chateau Marmont am Sunset Boulevard, Quinoa-Grütze-Dinner mit Thomas Gottschalk in Hollywood, Kino mit Bret Easton Ellis – und das alles vor dem Hintergrund einer kritischen Drogenvergangenheit. Wie schön. Ein neues Abziehbild für eine neue Generation auf der Suche nach der Party.
Andererseits: So ist das Leben. Antworten gibt es nicht; zu vielen Möglichkeiten stehen zu wenig begründbare Entscheidungen gegenüber, also ist es halbwegs egal was du machst – Hauptsache du stirbst dabei nicht und machst auch deine Umgebung nicht kaputt. Auch irgendwie unbefriedigend. Aber das kann man wiederum Stuckrad-Barre nicht vorwerfen, das ist nun mal so. Es macht jedenfalls Spaß, das Buch zu lesen und sich selbst und andere auf der Suche nach Relevanz für den eigenen faulenden Knochensack zu beobachten.