Wissenschaftskommunikation ist ein Missverständnis

Wissenschaftskommunikation ist ein Missverständnis

Wir sind Nobelpreis – und Wissenschaftskommunikation, zeigt sich einmal mehr, beschränkt sich auf zwei Phasen. Erstens: "Großartig!" Zweitens (hinter vorgehaltener Hand): "Wieso eigentlich?"

Wissenschaft und Bildung – so wichtig. Je häufiger und breiter Themen wiederholt werden, desto deutlicher werden in der Regel Indizien, die zu Skepsis raten. Medien wollen Wissenschaft vermitteln, Wissenschaftler wollen besser vermittelt werden, Medienpolitiker sehen Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftler in Redaktionen als Qualitätsindiz – und das Publikum will unterhalten werden.

Aber seien wir ehrlich – es gibt zwei große Problemfelder. 

Erstens: Wissenschaft ist langweilig. Sensationen entstehen im Nachhinein. Im Moment selbst ist es ein bloßes Aneinanderreihen von Fakten, Erbsen- und Fliegenbeinezählen. 

Zweitens: Was erklärt es schon, wenn, oft bemüht lustig, bemüht einfach oder bemüht klar, irgendwelche wissenschaftlichen Abläufe als Comedy auf Bühnen gebracht werden.

Medien und Wissenschaftskommunikationsdarsteller scheitern meist am zweiten Problem. Sie sind unterhaltsam, schaffen aber kein Wissen.
Wissenschaftler verlieren sich im zweiten Problem. Sie haben ihre Vision vor Augen, sehen die Größe des Problems – und die verstellt ihnen die Sicht auf die Kleinheit ihrer Ergebnisse. Das große Ganze wurde immer schon erzählt, die relevanten Unterschiede liegen im Detail – und man erkennt sie nur, wenn man sich schon auskennt. Aber dennoch erwarten sie, dass die Größe ihrer kleinen Ergebnisse erkannt und von Journalisten mit Begeisterung und Verständnis aufgegriffen werden. 

Das ist nicht nur ein Missverständnis von Wissenschaft, sondern auch ein Missverständnis von Journalismus: Statt Fakten zu suchen, Beziehungen herzustellen und Tatsachen zu vermitteln, soll Begeisterung vermittelt werden.

Das Problem ist, dass Wissenschaft und Journalismus streckenweise nach den gleichen Gesetzen funktionieren – und sich damit auch kannibalisieren. In beiden Bereichen sende Brüche, Disruptionen und Neuartiges die stärksten Signale. Allerdings schaffen die Brüche der Wissenschaft Unsicherheit und Unklarheit, Brüche, die für den Journalismus relevant sind, schaffen Klarheit (und wenn es nur die ist, dass es jetzt anders ist). Vorschnelle Klarheit in der Forschung ist eher vorschnelle Überinterpretation. In beiden Bereichen gilt allerdings auch, dass Bedeutung erst im Nachhinein entsteht. Brüche in der wissenschaftlichen Forschung brauchen Zeit, um sich zu etwas Neuem zusammenzusetzen, umso mehr Zeit, je relevanter dieses Neue sein soll. Im Journalismus lassen sich Geschichten mit Abstand besser erzählen und sie verändern sich im Lauf der Zeit. Das ist nachteilig wenn es anderen ein Anliegen ist, Geschichten schnell weiterzuerzählen. 

Beide Seiten – Journalismus und der Wissenschaftsbetrieb – sind auch gut darin, Inkompatibilitäten als Defizite zur interpretieren, die stets anderswo liegen, nicht auf der eigenen Seite. Der Journalismus sagt: Das ist keine Geschichte. Die Wissenschaft sagt: Ihr erkennt die Großartigkeit nicht, ihr beschäftigt euch nicht ausreichend und in gebührlicher Form mit uns, um die Großartigkeit unserer Forschung zu erkennen. 

In dieser Defizitdiagnose ist schließlich auch die Geburtsstunde der Wissenschaftskommunikation begründet. Als englische Universitäten bei Thatchers Budgetkürzungen um Geld fürchten mussten, entdeckten sie die Öffentlichkeit als relevante Zielgruppe. Die Idee war, wenn die Öffentlichkeit Wissenschaft gut findet, dann hat man bessere Karten im Kampf um Budgets – sei es bei der öffentlichen Hand oder bei privaten Förderern. Die vorrangige Aufgabe von Medien und Publikum war es dabei, Wissenschaft toll zu finden. Warum und wofür, das war zweitrangig. Wenn das Publikum dieser Aufgabe nicht nachkam, dann war es dessen Problem – und dessen Schuld. 

Daran hat sich wenig geändert. Auch wenn Wissenschaft in lustigen Kostümen auftritt und die Grenze zur Science Fiction verwischt. 

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

Sonst noch neu

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Wer gern Fakten und Vernunft anruft und damit die Dinge für gelöst ansieht, sollte Schrödinger lesen und sich wundern, wie uneindeutig Physik werden kann.

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Anke Graneß, Philosophie in Afrika

Eine ausführliche Analyse einiger früher afrikanischer Texte, die sich aber etwas zu lange mit vorbereitenden Fragen (Was ist Afrika? Was ist Philosophie) beschäftigt, um die eigentlich gesuchten Antworten zu geben.

Martin Andree, Big Tech muss weg

Pläne zur Plattformregulierung werfen stets die Frage auf: Wer soll das wie durchsetzen? Andree appelliert an die Politik, lässt dabei aber außer Acht, dass Medien und User selbst daran arbeiten müssen, die notwendige Distanz zu den großen Plattformen wiederherzustellen.

David Chalmers, Reality+

David Chalmers ist ein phantasievoller Philosoph mit ausgeprägtem Hang zur Spekulation über Digitales. Seine Thesen zeigen deutlich, wie schnell Digitaldiskurse heute veralten.

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