Nicht alles, was eine Seite füllt, ist eine Story. Nicht alles, was wie ein Magazin aussieht, ist lesenswert. Und nicht alles, was Millionen Menschen erreichen kann, ist es auch wert, sich eine Minute damit zu beschäftigen.
Am Wochenende habe ich die eineinhalb Stunden investiert und “Press Pause Play” angesehen. Die Dokumentation geht der Frage nach, wie weit die digitale Allgegenwart von Produktionsmitteln Kunst positiv oder negativ beeinflusst, oder ob es hier überhaupt irgendeine Art von Auswirkungen gibt.
Digitalenthusiasten und Skeptiker argumentieren in “Press Pause Play” gleichermassen überzeugend. Der Film schafft es, erstaunlich viele intellektuelle Schwergewichte – unter anderem Seth Godin, Moby, Andrew Keene – vor die Kamera zu bringen. Eine reflektierte Analyse zu den Quantität-Euphorie-Brainwashern im “Did you know…” und Socialnomics-Stil. Eine Konsequenz oder Quintessenz im engeren Sinn gibt es nicht. Viele Sichtweisen sind möglich, viele sind argumentierbar; auf beiden Seiten gibt es gute und schlechte Argumente.
- Demokratisierung auf allen Ebenen ist wichtig, sagen die einen. Kunst ist “per definition an elitist business”, sagt Andrew Keene.
- Wir haben unendliche viele Möglichkeiten, neues zu entdecken, sagen die einen. Qualität wird nicht häufiger, sagen sie anderen, nur der Schrott, der sie übertönt. “It’s gonna be a bit embarrasing, we are gonna be a bit ashamed of ourselves”, meint Musik-Journalist Christopher Weingarten auf die Frage, wie wir die aktuellen Entwicklungen wohl in 20 oder 30 Jahren beurteilen werden. – Vielleicht hätte nicht jede Idee sofort umgesetzt, nicht jedes Ergebnis sofort geteilt und verbreitet werden müssen.
- Moby (der im ganzen Film sehr viel Hörens- und Bedenkenswertes sagt) glaubt auch nicht an die ganz große Revolution – oder zumindest nicht daran, dass sie heute, morgen, oder an irgendeinem definierbaren Termin stattfindet. “It’s gonna be like mobile phones from 25 years ago- they are big, they are clumsy, and they only worked in one place of the world…” – Die digitale Revolution wird in wenigen Jahren ein nostalgisch belächelter Sturm im Wasserglas? Warum nicht – wir glauben ja auch jetzt immer wieder, so viel schlauer zu sein als alles bisher Dagewesene.
- Neben der Wertefrage, die eloquent besprochen, aber natürlich so wie nie gelöst wird (Was ist Kunst? – Das mit dem runden Zimmer und der Ecke ist noch immer eine eingängige Antwort), ist die Frage nach Ausbildung und Training für kreative Prozesse eine weit ergiebigere. “There is no training for what’s going on in the professional world right now”, sagt Tracy Chandler von der Motion Graphics-Agentur Shilo. “We can teach students some tools, but not miuch about the values you need to have”.
- Norman Hollyn von der University of Southern California Film School sieht das noch offener. Ausbildungsziel könne es heute nur sein, Studenten und Young Professionals daran zu gewöhnen, dass sich einfach immer alles ändern wird. Tools, Techniken, Erzählweisen, – alles kann hinfällig sein. Wichtig sei schlicht das Gespür dabei, wie sich Bilder und Geschichten entwickeln…
Profis und Lehrenden fällt es immer schwerer zu beschreiben, was sie eigentlich machen und wie sie es machen. – Die Rückkehr des romantischen Kreativen, der als natural born Genie einfach macht? Europa, hat man ja manchmal den Eindruck, hat dieses Stadium noch nie verlassen. – Ich schlage mich eher auf die Seite jener, die, was die Qualitätsfrage betrifft, dem digitalen Boom skeptisch gegenüberstehen. Aber ich halte es trotzdem für begrüssenswert, Produktionsmittel zu verbilligen vervielfachen, und jedermann zur Verfügung zu stellen. Kreativität lebt schliesslich nicht nur vom Handwerk, sondern auch von der Idee. Und die lebt wieder von ihrer Umsetzung. Den Anspruch, heute Kunst zu machen, sehe ich weniger in handwerklicher Perfektion erfüllt, sondern in einer Idee, die vielfältig umgesetzt ist. Je mehr Kanäle zur Umsetzung einer Idee zur Verfügung stehen, desto höher sind die Chancen auf eine passende Umsetzung.
Vielleicht kann man sagen: Es ist notwendig, zwischen Substanz und Potential zu entscheiden. Franz Schuh lamentiert im aktuellen Datum (Mai 2012) über Medien und das Internet als Verdummungsmaschinerie: ergoogletes Halbwissen und die für Suchmaschinen fatale Ähnlichkeit von Plato und Plateauschuhen sind seine Anklagepunkte. Das kommt vor. Genauso wie in gedruckten Best-of-Sammelbänden versammeltes Halbwissen, von schlecht ausgebildeten Lehrern falsch wiedergegebene Irrtümer der Geistesgeschichte und die generell mangelnde Bereitschaft, Dingen auf den Grund zu gehen.
Medien an sich verändern radikal; die Art von Medien eher nur marginal: Es ist auch ein Unterschied, ob Musik auf Vinyl oder auf dem iPhone gespeichert ist, aber es ist ein weit größerer Unterschied, ob sie gespeichert ist oder live gespielt wird (auch ein Punkt, den viele Protagonisten in Press Pause Play machen). – Die Verbindung zum Publikum herzustellen, die Langeweile von Perfektion zu durchbrechen, Dinge so zu machen, wie sie sinnvoll sind, aber anders, als es sich gehört – das sind für mich Momente, in denen sich relativ diskussionslos akzeptieren lässt, dass Kunst auch etwas mit Können zu tun hat.
Andererseits: Es muss nicht immer Kunst sein. Wenn Kunst Alltag wird, was spricht dagegen, den Alltag zur Kunst zu machen? Das ist keine digitale Neuigkeit, und es ist nicht als Verlängerung der gern praktizierten Verklärungs- und Rechtfertigungsstrategien von Banalitäten gemeint.
Kunst als handwerkliche und ideengetriebene Perfektion im Alltag bedeutet, in allem, was wir tun, auch das Hirn einschalten, den Dingen auf den Grund gehen, nicht nur reproduzieren, Klischees erfüllen, Erwartbares abarbeiten. Warum tun wir das oder haben wir das Gefühl, das manchmal zu tun?
Manchmal wirkt es geradezu lächerlich, sich selbst so ernst zu nehmen, dass jeder Handgriff gut, jeder Satz eine Performance sein muss. Aber: Bei anderen, vielleicht nicht bei uns selbst, schätzen wir das – wer mir etwas erklären/verkaufen/präsentieren möchte, und dabei nicht erkennbar und souverän das Beste aus der Lade holt, verschwendet meine Zeit und macht es sich selbst doppelt so schwer.
Dabei bin ich selbst nicht wirklich ein Freund der allgegenwärtigen Performance. Wozu Show, wenn es nichts zu sagen gibt? Andererseits: Wozu etwas sagen, wenn keine zuhört (und es keine Ausreden und Hindernisse auf dem Weg zum Publikum gibt)? – Darin sehe ich eine der größten Auswirkungen digitaler Medien im kreativen, kommunikativen und sozialen Bereich: Inhalt und Verpackung, Form und Funktion, Technik und Content sind eines und müssen gemeinsam behandelt werden. Wer nur eines drauf hat, hat zu wenig. Aber auch wer beide Seiten perfektioniert, steht noch immer mit leeren Händen da: Denn beides sind nur gut etablierte Werkzeuge, die bereitstehen, um sie einzusetzen.
Nichts ist langweiliger, als digitale technische Perfektion, sagt Moby in Press Pause Play. Eines vielleicht schon: eine ewig nicht umgesetzte Idee, deren vermeintlicher Erfinder sie vor allem deshalb für einzigartig hält, weil der unfähig ist, sie umzusetzen. – Passiert im im engeren Sinn kreativen Umfeld vielleicht weniger, in der Corporate-Umgebung permanent dilettierender Generalisten dagegen ist es praktisch die Regel.
Was verändern digitale Produktionsmittel hier? – Sie ermöglichen es, leichter etwas zu schaffen, das so aussieht, als wäre es das Werk, die Idee, oder deren Umsetzung, von der die Rede ist.
Was bedeutet es dann, auch in finanziell dominierten Jobs Hirn und Herz einzuschalten? Vor allem einen Schritt aus der geflügelten selbstverschuldeten Unmündigkeit. Auch wenns manchmal quält – die Mittel dazu hätten wir, wir müssen sie nur wirklich einsetzen. Man kann nicht ewig Müll fressen. Das ist schlecht für die Figur. Und fürs Karma. Blöderweise kommt man zu oft auch ohne das aus…