Content Marketing halte ich für eine der aktuell spannendsten Disziplinen in der Medienstrategie und -vermarktung. Das war hier schon mal Thema und auch eines der interessantesten Panels beim Werbeplanung.at-Summit. Offen ist vor allem auch: Wer kriegt hier das größte Stück vom Kuchen, und welche Auswirkungen hat intensives Content Marketing auf Werbebudgets und Ausgaben für traditionelle Mediaplanung?
Lukas Kircher, der sich vom Zeitungsdesigner zum Contenmarketer verwandelt hat, Eric Schöffler, Chief Creative Office bei DDB Tribal, und Rolf Dieter Lafrenz von der Beratungsgruppe Schickler referierten zu Content Marketing.
Schöfflers Case, die Move On-Produktion für die Deutsche Telekom, ist ein Grenzfall zwischen Contentmarketing, Brandet Entertainment, Social Marketing und Corporate Publishing, der darin gipfelte, dass der Film – eigentlich ein als Spielfilm getarnter Werbefilm – letztlich von Fernsehsendern als Spielfilm gegen bares Geld gekauft wurde. Wieder ein Beispiel dafür, wie sich die Qualität aufwändiger Produktionen durchsetzt.
Dem ging allerdings eine lange und nervenaufreibende Produktion voraus. Die Idee, statt einer klassischen Kampagne User in die Produktion eines Films zu involvieren, setzte schon vor und während der Produktion massive PR voraus, erforderte eine komplexe eigene Plattform, auf der User Vorschläge machen, sich für kleine Rollen im Film bewerben und am Drehbuch mitarbeiten konnten und brachte auch die Leute im Communitymanagement des Projekts an ihre Grenzen. DDB nennt die Arbeitsweise Social Creativity.
Auf der Plattform zum Film (einer Microsite der Deutschen Telekom) und den anderen begleitenden Massnahmen wurden insgesamt über sechs Millionen Kontakte erzielt, der Film selbst wurde dann von drei Millionen Zuschauern gesehen.
Das Marketing war in diesem Fall in die Produktion integriert; wer Sinn für Haarspalterei hat, könnte auch darüber diskutieren, ob das nicht eher Crowdsourcing als Content Marketing war. Ebenso lässt sich wohl ein wenig bezweifeln, ob ausser einer positiven Grundstimmung – “Die Telekom macht da was Cooles” – auch noch andere Inhalte transportiert wurden. – Trotzdem ist das eine ziemlich eindrucksvolle Sache, und allein das positive Grundrauschen an sich ist schon mal Gold wert. Ein Motto, das Schöffler über das Projekt stellte: “Leute lesen, was sie interessant finden. Manchmal ist das eben Werbung” (nach Howard Gossage).
Gold wert vor allem in Zeiten, in denen Werbung zunehmen nervt. Digitale oder mobile Entführungsstrategien, die User wider willen zu irgendwelchen Landingpages hijacken, Unterbrecher oder Überlagerungen sowie einfach schlecht gemachte Werbung sorgen dafür, dass bald schon die Hälfte aller Werbemassnahmen negative ROI-Zahlen erzeugen. – Das waren einige Zahlen, mit denen Lukas Kircher seine Präsentation eröffnete.
Während Werbung eben nervt, wenig Neuigkeiten bietet, Glaubwürdigkeitsprobleme hat und damit zunehmend auch vor der Sinnfrage steht, werden gute Geschichten immer noch gern gelesen. Das alte Social Media-Mantra “Rede mit Leuten so, wie du auf einer Party mit ihnen reden würdest – nicht wie in einem Werbespot” gilt auch umso mehr im Corporate Publishing und Contentmarketing. Legendäre Beispiele sind die Coca Cola Content 2020 Strategie unter dem Schlagwort “Liquid Content”: Content passt sich seiner Verwendung an, ist flexibel einsetzbar und bietet viele Anknüpfungspunkte, die dann gemeinsam mit User weiterentwickelt werden können. Deutlichstes Anzeichen ist die Startseite des Cola Corporate Webseite, die zur Gänze auf Produkte, Gewinnspiele und ähnliche Klassiker verzichtet und nur noch Content bietet. Das Liquidity-Motiv tauchte übrigens schon lang vor den Coca Cola-Initiativen in den Schriften des Medienphilosophen Charles Ess auf, der “fluidity of information” als einen der wesentlichen Unterschiede zwischen digitalen und traditionellen Medien beschreibt: Content wandert, mit mehr oder weniger Kontext, größerer oder kleinerer Reichweite – das bedeutet, wir können nie sicher sein, was wo in welcher Form ankommt. In dieser Tatsache stecken Freiheit und Chancen ebenso wie steigende Verantwortung: Selbst wenn wir es nicht so meinen – ein paar Shares oder Retweets später kann unser ursprünglicher Content eine vollkommen andere Bedeutung haben.
Ein weiterer Punkt aus Kirchers Ausführungen: Unternehmen brauchen keine (Nachrichten)Medien mehr. Sie produzieren ihre Medien selbst, erzeugen, kaufen oder recyceln ihre eigenen Contents und schaffen ihre eigenen Kommunikationsimperien. “Ich brauche Sie eigentlich nicht mehr” soll auch Dietrich Mateschitz schon nach einigen wenigen Jahren Red Bull Media House den großen deutschen Zeitungsverlagen erklärt haben. – Das ist wohl auch ein Aspekt, der in der Diskussion um schwindende Werbebudgets für Medienhäuser eine Rolle spielen sollte; Werbung und Marketing sind heute um einiges mehr als Anzeigen. Oder andersrum: Zur sinnvollen Kommunikation für Unternehmen gehört mehr als Marketing. – Kircher: “Wer Wertvolles will (die Aufmerksamkeit der Kunden) muss etwas Wertvolles geben.”
Die Dinge anders und besser zu machen stellt aber auch einige neue Anforderungen an Unternehmen. Die Grenzen zwischen Kommunikations- und Organisationsberatung sind zusehends fliessend. Auf diesen Punkt ging vor allem Rolf Dieter Lafrenz ein. Kommunikation muss anders geplant werden – und Reaktionen müssen laufend beobachtet werden können. Kommunikation fängt dann erst mal richtig an, wenn die Botschaft draussen ist – dort wo klassische Werbung endet -, und Interaktion kann rund um die Uhr stattfinden. Shitstorms brechen mit Vorliebe am Wochenende los und sollten dann keine böse Überraschung am Montagmorgen darstellen.
Contentmarketing, Digital und Interaktion sieht Lafrenz als die großen Trends in der Unternehmenskommunikation. Und das braucht eben auch neue Formen der Organisation in der Kommunikation und manchmal darüber hinaus. Das gilt einerseits für die Zeit, vor allem aber auch für die Recherche und Produktion der Inhalte. Ein Kommunikationsverantwortlicher, der alles abdeckt – das funktioniert bestenfalls für die Reaktionsseite. Medienanfragen können beantwortet werden, Geschäftsberichte und andere Standardaussendungen können produziert werden. Interessanter Content braucht mehr. So wie Redaktionen nicht pauschal alle Themen abdecken sondern in verschiedenen Ressorts mit spezialisiertem Knowhow und unterschiedlichen Kontakten ein Produkt erstellen, liegt auch die Zukunft der Unternehmenskommunikation in Content-Desks, die in Zusammenarbeit mit Fachbereichen des Unternehmens Themen aufspüren, auf die Kommunikationsstrategie hin abstimmen und . auch in Zusammenarbeit mit Partnern – anziehenden Content produzieren. Wie diese Zusammenarbeit organisiert werden kann und ob der Content-Desk in Form einer Abteilung, als Netzwerk von Spezialisten in verschiedenen Abteilungen, unter der Führung der Kommunikationsabteilung oder als eigener Bereich angesiedelt werden kann – mit diesen Fragen beschäftigt sich auch ein aktueller Report der Altimeter Group (“Content Marketing – Feed the Beast”).
Eine spannende Frage ist für mich auch, welche Art von Dienstleistern sich den größten Anteil des hier entstehenden neuen Kuchens sichern wird. Werden es PR-Agenturen sein, die oft nah an Unternehmen und den Kommunikationsabteilungen arbeiten, aber oft erstaunlich wenig Sinn für Content haben? Werden es Werbeagenturen sein, die der Meinung sind, mit Digital und Interaktion am besten umgehen zu können? Oder Social Media Agenturen, die sich Interaktion auf die Fahnen schreiben? – Mein persönlicher Favorit sind Corporate Publisher: Sie haben Sinn für Content, kennen Unternehmen und sind es gewohnt, Themen aufzuspüren, und sie können mit Content Marketing zwei Fliegen auf einen Schlag erwischen: Es entstehen neue Geschäftsfelder – und auch die bisher erbrachten Leistungen werden noch einmal mit mehr Wert für den Kunden aufgeladen. Jetzt muss sich Corporate Publishing nur noch aus der bisher oft überwiegenden Print-Ecke in Richtung neuer Kanäle bewegen…