Contentstrategie begegnet uns manchmal als ein weiteres Content-irgendwas-Buzzword, manchmal als technisierte Handlungsanweisung (“Alles xml!”). Hier ist ein praxisorientiertes und praktisch erprobtes Modell dazu.
Onlineprojekte starten nach wie vor in der Regel sehr vage. „Wir sollten irgendetwas tun“, ist meistens das erste Briefing. Und auch wenn schnelle Lösungen gesucht werden, verlaufen die meisten Gespräche mit unten nach dem gleichen Muster. Sinnfragen tauchen auf, grundlegende Ziele werden hinterfragt, und sobald sich Kunde und Berater einig sind, dass es schnell und günstig nicht immer die beste Lösung ist, dräut das nächste Killerkriterium am Horizont: Grundlegende Ziele die zur Unternehmensstrategie passen schön und gut – aber wir können doch nicht immer das Management befragen.
Nein, aber gerade in Situationen, in denen sich vieles im Umbruch befindet, hilft der Überblick, den eine solide Contentrategie bietet, Optionen zu erkennen und Entscheidungen zu treffen.
Contentstrategie ist Teil einer digitalen Strategie und damit wichtiger Bestandteil einer gesamten Strategie. Eine solide Contentstrategie ist die Ausgangsbasis, um digitale Aktivitäten planen zu können, und kommt durch mehrere Fragen zustande:
- Wozu haben wir überhaupt Inhalte? Auch diese Frage muss gestellt werden. Ist der Geschäftsbereich erklärungsbedürftig? Bieten Inhalte eine gute Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen? Gibt es Themen, über die wir informieren müssen? Wollen wir eigentlich Information, oder eher Interaktion oder Transaktion? Ist Reichweite die Herausforderung, oder müssen wir vor allem Ordnung in eine Fülle bestehender Inhalte bringen?
- Welche Ziele können mit Inhalten verfolgt werden? Geht es um Imagepflege, Themenführerschaft, Unterhaltung? Geht es um Effizienz oder Prozessoptimierung? Oder stehen Kontakte und Kundendaten im Vordergrund? Content kann vieles sein – redaktionelle Inhalte werfen im Rahmen des Content Marketing-Hypes einen großen Schatten, simple Inhalte wie Produktbeschreibungen oder Servicekontakte sind aber nicht weniger wichtig.
- Woher bekommen wir Inhalte? Wer in der Organisation weiss, was wichtig ist? Wer kann Inhalte erstellen (dabei geht es um Zeit, Kompetenz und Qualität)? Wie können Wissensträger vernetzt und in einen produktiven Prozess gebracht werden, um Doppelgleisigkeiten oder aufwendige Umbauarbeiten zu vermeiden? Und, wenn wir schon bei der Organisation sind: Wer entscheidet letztlich, was wichtig ist und wie kommuniziert werden soll? Oder, um personelle Engpässe und zugleich Machtfragen zu vermeiden: Nach welchen Kriterien entscheiden wir?
- Wen wollen wir erreichen? Geht es um bestehende oder mögliche Kunden, um Investoren, Spender, (aktuelle oder zukünftige) Mitarbeiter, Medien? – Für diese unterschiedlichen Gruppen gibt es unterschiedliche Kommunkationsdisziplinen, ist dagegen einzuwenden. Das stimmt in gewisser Weise – aber das Internet macht in ebenso gewisser Weise alle gleich: Auch Journalisten googlen erst mal, und sogar Investoren können das schon. Und daran schliesst sich die letztlich wohl wichtigste Frage an: Was soll die Zielgruppe dann machen?
Hat der User wirklich einen Grund etwas zu tun, ist der Inhalt wichtig, spannend oder unterhaltsam genug, um irgendetwas zu bewirken? Diese letzte Frage führt dann meistens zurück an den Start. Gibt es Inhalte, die Usern ein Anknüpfen in der gewünschten Art ermöglichen, unterstützen diese die richtigen Ziele, und wer in der Organisation kann nicht nur Inhalte erstellen, sondern auch sicherstellen, dass Userreaktionen angemessen behandelt werden? Dabei denke ich weniger an Diskussionen rund um Communitymanagement und Kommentarmoderation. Wichtiger ist: Hat der User wirklich einen Grund etwas zu tun, ist der Inhalt wichtig, spannend oder unterhaltsam genug, um irgendetwas zu bewirken? Und ist es für den User auch leicht möglich, dieser Wirkung nachzugehen – also etwa mehr Information zu suchen, zu bestellen, oder vielleicht gar den Inhalt weiterzuverbreiten?
Die vier Eckpunkte lassen sich damit auch in zwei wesentliche Bereiche zusammenfassen: Wo es um interne Organisation und Zielgruppen geht, steht der Beziehungsaspekt im Vordergrund. Initiativen wie Enterprise 2.0, Open Business oder Social Enterprise, die neue Kommunikationsformen, Interaktion, Vernetzung und Flexibilität in den Vordergrund stellen, lassen sich nicht isoliert betrachten. Sie brauchen Content und eine Contentstrategie.
Auf der Seite der Inhaltsebene feiert dagegen mit der Disziplin der Informationsarchitektur ein alter Bekannter ein fröhliches Comeback: Wie sortieren wir Inhalte, wie führen wir den User, wie gestalten wir Interaktions- und Navigationsformen?
Das Modell vom Content Strategie-Kreislauf sehe ich als einen ersten Schritt zur Formulierung einer digitalen Strategie. Es berührt die Unternehmensorganisation, die Produkte, und die (potentiellen) Kunden, und es ermöglicht eine mehrdimensionale Sicht auf die zu planenden Medien: Wen wollen wir wie womit erreichen? – Diese Fragestellung sollte klar machen, dass es nicht die eine Antwort geben kann.
Während sich die Strategiebildung eher als Kreislauf darstellt, sehe ich Medienkonzepte immer mehrdimensional würfelförmig: gewählte Kanäle, Zielgruppen und Inhalte sind die Flächen, die zueinander in eine Beziehung gebracht werden müssen. – Und dann ist es wieder beim Würfelpoker: Die einzelnen Würfel müssen so ausgespielt werden, dass sie ein sinnvolles Ergebnis liefern. Nur haben wir im Gegensatz zum Pokern bei der Medienplanung den Vorteil, dass wir die Regeln selbst planen können.
Wie wird dieses Vier-Punkte-Modell zur Entwicklung einer Contentstrategie jetzt praktisch eingesetzt?
- Schritt 1 ist die Abklärung der Ziele. Irgendwann in einer mehr oder weniger belebten Diskussion, auch wenn bereits konkrete Ideen entwickelt werden, muss einmal die Bremse gezogen und die Frage gestellt werden: „Wozu machen wir das eigentlich?“ – Dabei sollte geklärt werden, wer und welche Wirkung erreicht werden sollen.
- Schritt 2 geht dann von dieser zukunftsgerichteten Perspektive wieder ganz erdig zurück zum bestehenden: “Welche Inhalte haben wir und wozu haben wir die?“ Die hier anschliessenden Evaluierungs- oder Auditmassnahmen können langwierig sein – jeder Inhalt sollte bewertet und in Beziehung zu einem Ziel gebracht werden.
- Deshalb empfiehlt es sich, Schritt 3 vorzuziehen und auch die Zielgruppen zu analysieren. Inhalte können in ihrem Beitrag dazu, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, nur im Hinblick auf eine bestimmte Zielgruppe eingeschätzt werden. Wir müssen also wissen, von wem wir was wollen, bevor wir die geeigneten Mittel dafür finden oder beurteilen können. Und hier sind dann auch bereits die ersten Abstriche notwendig: Es kann kein Contentplan für jede erdenkliche Zielgruppe erstellt werden; Priorisierungen (Wo sind wir gut und wollen es bleiben? Wo sind wir schlecht und wollen etwas dagegen tun? Wo sind wir schlecht und nehmen das (vorübergehend) in Kauf?) helfen, die Aufwände des Content-Audits (Schritt 2) im Rahmen zu halten.
- Trotzdem taucht spätestens dann die Frage auf, bei deren Beantwortung Schritt 4 helfen soll: „Wer soll das alles machen?“ Ein Blick in die Organisation wird zeigen, dass Inhalte in unterschiedlichsten Bereichen für unterschiedlichste Zwecke erstellt werden. Die Inhalte mögen ein paar Schritte von herzeigbar entfernt sein, aber sie bilden auf jeden Fall Ausgangsmaterial – seien es Dokumentationen, Ratgeber, Ablaufbeschreibungen, Dienstanweisungen, irgendwo ist beschrieben, wie das Unternehmen und seine Produkte funktionieren. Mit dem Wissen über Ziele, Zielgruppen und Inhalte kann die Produktion gesteuert werden – es geht nicht in erster Linie um zusätzliche Aufwände, sondern darum, schon bestehende Aufwände besser für die eigentlichen Ziele einzusetzen. Personalberater beschreiben das in ihren Stelleninseraten für solche Koordinationsjobs (die oft dem Online- oder Digitalverantwortlichen zugeschrieben werden) mit „360-Grad-Position“.
Damit wird auch klar, worin der Sinn solcher erst theoretisch anmutenden Planungs- und Analyseübungen liegt: Zielgerichtete Planung spart bares Geld.
Was sind weitere Vorteile, die eine klar ausgearbeitete Contentstrategie für die Kommunikationsplanung bringt:
- Contentstrategie verschafft den Überblick: Welche Inhalte gibt es, welche werden genutzt, welche nutzen dem Unternehmen, welche Inhalte werden vielleicht irgendwo produziert, ohne das Licht der Öffentlichkeit erblickt zu haben, und wie können Organisation und Prozesse optimiert werden, um solche Leerläufe zu vermeiden?
- Analysen sind der ideale Zeitpunkt zum Ausmisten: Doppelgleisigkeiten, veraltete Inhalte, unnötige oder kontraproduktive Inhalte – in noch jedem Evaluierungsprojekt haben sich die Anfangs geschätzten Aufwände und Contentmengen dann drastisch reduziert.
- Contentstrategie ermöglicht zielgerichtete Produktion: Nur wenn wir wissen, was wir erreichen wollen, wissen wir auch, ob unsere Arbeit Sinn macht.
- Contentstrategie macht das Inhaltschaos steuerbar: Unternehmen haben meistens mehr Inhalte und mehr Medien, als sie auf den ersten Blick selbst wissen. Die passende Strategie hilft, diese Menge in den Griff zu bekommen, und Grundsätze für neue Projekte und neue Inhalte abzuleiten. Das gilt auch für abgeleitete Regeln wie Social Media Strategien oder Social Media Guidelines für Mitarbeiter. Mit einer zielgerichteten Strategie kommen wir hier weg von Verboten hin zu einer produktiven Governance.
- Und schliesslich: Contentstrategie macht Inhalts- und Kommunikationsaufwände messbar. Über eine klare Beziehung zu Zielen lässt sich Kommunikation direkt als Beitrag zum Unternehmenserfolg messen – und Budgets lassen sich leichter argumentieren.