EU-House of Cards: Robert Menasse, “Die Hauptstadt”

 

Es gibt einen Mord, ein paar Bürokratenintrigen und -dramen, aufwendig miteinander verwobene Nebenstorys und eine mysteriöse Schweineerscheinung, sie sich durch das ganze Buch zieht.

Ich habe noch nie ein Buch von Robert Menasse so gern und schnell gelesen. Menasse schafft es, das Brüsseler Bürokratengewirr als spektakulär spannende Kulisse hinzustellen, die große Ereignisse erwarten lässt. Die kommen dann zwar nicht unbedingt (also, ein wenig schon – aber das wäre spoilerverdächtig. Und wer hätte gedacht, dass ein Buch von Robert Menasse jemals spoilerbare Storyelemente enthalten könnte …), aber die Idee, die Brüsseler Bürokratie zugleich als menschenfeindliches Labyrinth und als Schauplatz für Schicksale zu inszenieren, ist schön und sehr kunstvoll gemacht.

Nach den ersten Seiten wirkt „Die Hauptstadt“ wie ein Thriller, in dem sich bald Ereignisse überschlagen werden. Dann aber schlägt doch die Bürokratie zu. Brüsseler Beamten stehen vor der Herausforderung, irgendeinen Anlass zu finden, das Image der EU aufzupolieren. Sie erfinden Events, entwickeln Konzepte, kämpfen sich durch einfallslose Kritik. Parallel dazu entwickelt ein Think Tank Zukunftsperspektiven; die Rolle des zerstörerisch-konstruktiven Visionärs fällt dabei der Figur eines emeritierten österreichischen Volkswirtschaftsprofessors zu. Diese Passagen bieten dann auch viel Platz für politisch-historisch-bürokratische EU-Kritik und -Analyse.

Hier hat jemand ein Buch geschrieben, das es so eigentlich nicht geben sollte: Es enthält belehrende Passagen, konstruiert eine Welt, die nur durch bürokratische Formalitäten zusammengehalten wird und beschränkt sich künstlich auf deren Grenzen, spannt einen sehr großen Bogen, dessen einzelne Elemente Überhaut nichts miteinander zu tun haben und ebenso als haarsträubende Willkür gelten könnten – aber es funktioniert.

„Die Hauptstadt“ ist ein durchweg rundes Buch, das zu lesen durchweg lohnend ist. Das Verdienst des Buches – über die Tatsache hinaus, ein guter Roman zu sein – ist es auch, „der EU“ als abstrakte, angreifbare und nicht unbedingt spannende Organisation ein Denkmal zu setzen. Eines mit dem man sich gern beschäftigt. Klingt banal, ist aber angesichts der quälenden Konstruiertheit und Ungeschicklichkeit so zahlloser EU-Werbekampagnen, -Förderprogramme, -Informationsoffensiven und -Vernetzungsversuche (vor allem in Kulturangelegenheit) ein sehr großes Verdienst.