Abschied vom Beistrich

Ich bin jetzt offenbar wirklich alt. So alt, dass es bestimmte Formfehler gibt, die mich in der Sekunde dazu bringen, eine Zeitung zuzuschlagen, ein Magazin fallenzulassen, eine Webseite wegzuklicken oder einem Social Media Account zu entfolgen. Ich will mich nicht über diese Fehler ärgern müssen, ich empfinde es als Unverschämtheit, dass jemand, der oder die mir etwas erzählen oder erklären möchte, nicht einmal simple Grundregeln seines oder ihres Handwerks versteht.
Der Beistrich ist so ein Reizobjekt. Beistrichsetzung, die diese kleinen Zeichen als Dekorationsobjekte missbraucht, die sie willkürlich anstelle von Gedanken- oder Atempausen platziert, ist so ein KO-Kriterium in der Kommunikation.
Idiotenapostrophe, Deppenleerzeichen und andere Minimalia haben es bereits zu großer Berühmtheit gebracht. Idiotenbeistriche, die willkürlich in Satzfragmenten platziert werden, haben noch viel zu wenig Beachtung gefunden. Sie finden sich in Onlinezeitungen, deren Ergüsse offensichtlich von niemandem auch nur ein halbes Mal gelesen wurden, bevor sie veröffentlicht wurden, in Unternehmensfoldern und Imagebroschüren, die von Marketingabteilungen erstellt wurden, die anhand der Zahl der Beistriche wohl ausdrücken wollen, wie schwer es ihnen gefallen ist, diesen Text zusammenzustoppeln. Und sie haben eine besonders freundliche und sie willkommen heißende Heimat gefunden: politische Kommunikation.

Für Menschen mit einem Funken von Sprachgefühl sind vor allem die Social Media Accounts politischer Parteien ein beistrichtechnisches Drama. Politische Shareables sind ein entsetzliches Katastrophengebiet, in dem willkürlich gedroppte Beistriche für Unordnung sorgen wie quer über Straßen liegende Baumstämme nach dem Sturm, wie Treibholz, das sich in Brückenpfeilern verfangen hat, wie Elektroscooter, die achtlos auf engen Gehsteigen platziert werden.
Vielleicht simulieren die chaotischen Beistriche auch einen eigenartigen Sprechduktus des Kandidaten oder der Kandidatin, die hier beworben werden sollen, vielleicht sind sie auch das Ergebnis der von vielen Seiten auf den Text einprasselnden Kürzungs-, Änderungs- und Präzisierungswünsche. Oder sie sind ein Zeichen dafür, dass kurze Texte eben um ein Vielfaches schwerer zu verfassen sind als ausführliche Langversionen.
Sie sind jedenfalls auch ein Zeichen dafür, dass Texte und Inhalte von den Beistrichmissachtern kaum beachtet werden. Sinnlose Beistrichsetzung ist ein Zeichen dafür, dass Text und Inhalt achtlos eingestreutes Beiwerk einer Kommunikationsstrategie sind, die Geräusche erzeugen möchte, und dabei vergessen hat, dass dieser notwendige Lärm auch irgendwo entschlüsselt werden müsste. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Mission bereits für erfüllt gehalten wird, sobald ein paar vorgegebene Muster bunt ausgemalt sind.

Der Abschied vom sinnvoll eingesetzten Beistrich ist so auch ein Abschied vom Sinn in der Kommunikation, von verständlicher Sprache und von dem Respekt, den Kommunizierende ihrem Publikum erweisen sollten. Der Abschied vom Beistrich ist die Kapitulation vor Klickzahlen und anderen KPIs, denen Vorrang gegenüber Verständnis, Gespräch und Dialog eingeräumt wird. Und wer keine Kontrolle über seine Beistriche mehr hat, hat auch zum Teil die Kontrolle über sein Leben verloren.

Killerkasperl Dönmez

Efgani Dönmez ist Nationalratsabgeordneter, hat Ärger auf der Straße und zieht ein Messer. Ein paar Tage danach stellt sich heraus, dass er auch eine Pistole hatte und anscheinend öfter unterwegs bewaffnet unterwegs ist. Die Pistole wurde ihm in Urlaub geklaut – sie ist jetzt sicher in guten Händen bei einem anderen besorgten Bürger, der auch nur auf Recht und Ordnung achtet; vielen Dank für diesen Beitrag zu sehr Sicherheit in Europa.
Jetzt kann man natürlich mal die Nerven verlieren, gerade wenn man Kinder bedroht sieht. Es ist aber nicht besonders schlau, in deren Gegenwart eine bewaffnete Auseinandersetzung zu beginnen, vor allem, wenn man als erster eine Waffe zieht.
Ich weiß nicht, in welcher Welt Dönmez lebt. Das ist eher eine rhetorische Frage, die sich ein wenig auch auf seinen geistigen Zustand bezieht. Es ist eine Welt, in der es offenbar viele Bedrohungen gibt, eine Welt, in der erfolgreiche Frauen ihren Weg nach oben auf den Knien zurückgelegt haben, eine Welt, die ihm offensichtlich Angst macht.
Manchmal ist es verständlich, dass man sich nicht wohl fühlt, wenn die Umgebung ungewohnt ist. Manchen Menschen fehlen auch die Sensibilität und die Flexibilität, auf die Signale zu achten, die ihre Umgebung aussendet. Sie gehen nur von ihrem eigenen Bild aus. Das ist ein Zeichen von Unreife und ein persönliches Problem. Wenn solche Menschen zuviel Gehör bekommen, ist es auch ein soziales Problem.
Deshalb möchte ich dem Herrn Dönmez ein oder zwei Geschichten erzählen.

Mein Büro ist in Ottakring und ich habe gute Aussicht auf die Straße. Direkt vor meinen Fenstern gibt es ein paar Bäume und Bänke, dort sitzen oft Jugendliche und junge Männer, trinken manchmal was, glotzen im Sommer Frauen nach und reden oft zu laut.
In der Straßenbahnhaltestelle daneben saß vor einigen Tagen ein streitendes Pärchen. Ich habe sie nicht gesehen, nur gehört. Sie stritten ziemlich laut. Plötzlich wurde beide deutlich lauter, er dürfte auch ausgeholt und sie angegriffen haben. Die Jungs sind von ihrer Bank aufgesprungen und haben ein paar Schritte auf die beiden zu gemacht. Sie sind nicht weit gekommen, der Maurer von der Baustelle gegenüber war schneller. Er hatte passenderweise ein paar Minuten vorher das T-Shirt ausgezogen und ziemlich beeindruckende Schultern. Und er war auch bewaffnet nämlich mit einem Plastikkübel und einer kleinen Spachtel. Es war genug, dass er auf halbem Weg über die Straße kam.

Das streitende Pärchen trennte sich, die Frau konnte ihrer Wege gehen, er blieb zurück. Niemand musste ins Spital, nichts kam in die Zeitung.

Die zweite Geschichte hat mit meiner Frau zu tun. Die ist derzeit Bezirksrätin und (noch) keine Nationalratsabgeordnete, einen Kopf kleiner als ich und hat ungefähr 25 Kilo weniger. Auf dem Weg nach Hause hatte sie vor einigen Wochen auch Ärger: Vier Jungs habe einen auf dem Boden liegenden Junkie verprügelt. Sie hat ihnen freundlich erklärt, dass sie das nicht tun sollen, weil sie sonst die Polizei rufen muss. Nachdem die vier ihr gesagt haben, dass sie gerne auch verprügelt werden kann und weiter auf ihr Opfer eingedroschen haben, hat sie eben die Polizei gerufen.
Das bringt dann nur Auftritte bei der Polizei als Zeugin, nicht in Zeitungen. Killerkasperl Dönmez und sein Klappmesser hätten ja wahrscheinlich das Meidlinger Taschenfeitl-Massaker veranstaltet, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Vielleicht hätten sie sich aber auch im nächsten Bunker versteckt, und von dort aus die Kavallerie angefordert – denn hey, es ist gefährlich da draußen.
Es ist vor allem dann gefährlich, wenn Menschen jegliche Sensibilität dafür abgeht, was eigentlich rund um die passiert, was das bedeutet und wie man darauf reagieren sollte.

Da fällt mir noch eine dritte Geschichte ein, die uns wieder zurück nach Ottakring führt. Dort war ich vor über 25 Jahren eine Zeit lang Kickboxen. Damals gab es noch nicht so viele Tschetschenen in Wien, also hat man sich vor den serbischen Kids gefürchtet. Wenn die im Training darüber debattiert haben, wie sie sich gegenüber anderen, die sie blöd anschauen, am besten Respekt verschaffen können, hatte der Trainer einen Tipp für sie. „Wenn du glaubst, dass du Ärger kriegst, dann machst du das ganz einfach so: Du stellst deine Sporttasche ab und steckst deinen Zahnschutz in den Mund. Dann wird sich das der andere gut überlegen …“
Natürlich steckt da auch ein bisschen zu viel Drohung drin. Aber es ist wesentlich smarter als Nationalratsabgeordnete, die mit Waffen durch die Gegend laufen, wo sie eigentlich eine Angsttherapie machen sollten. Was sie schon gar nicht tun sollten, ist anderen zu erzählen, wie schlecht und gefährlich diese Welt ist.