Es ist ein beliebtes Spiel berühmter Bühnenphilosophen: “Stellen Sie sich vor, Sie müssen die Intelligenz selbstfahrender Autos programmieren, die im Krisenfall entscheidet, welchen Unfall sie in Kauf nimmt. Soll das Kind überfahren werden oder der alte Mensch?” Man lässt das Publikum rätseln, Argumente finden, Lösungen entwickeln, die die Verantwortung anders wohin schieben, in volkswirtschaftliche Überlegungen oder Krankheitskosten.
Bis dann der Animateur auf der Bühne smart lächelnd auflöst: Man kann es nicht entscheiden, man muss und sollte es auch nicht tun.
Das ist recht einfach zu erklären: Stellt euch nur vor, ihr wärt selbst als Autofahrer in der Situation, habt jemanden verletzt und sagt nachher: “Ja, also ich hab mir das schnell durchüberlegt, das Kind oder die alte Frau, vielleicht hätte das Kind ja bessere Überlebenschancen, aber die alte Frau hätte wahrscheinlich ohnehin bald aus anderen Gründen ins Spital müssen und wer weiß, wie lang lebt sie überhaupt noch, also klar, ja, ich hab dann auf sie zugesteuert.” Man würde euch zurecht für einen Psycho halten. Wenn ihr sagen würdet: „Ja, nein, ich weiß nicht, alles ging so schnell und dann plötzlich …“ – ihr hättet inhaltlich genau nichts gesagt, aber alle würden es verstehen.
Einige Tiroler Landespolitiker haben sich offenbar für den Psycho-Weg entschieden. In einer Situation, die niemand überblickt hat, die so neu, anders und schwierig war, dass alle verstehen würden, dass es hier nicht einfach richtige Entscheidungen gab, beharren sie darauf, alles richtig gemacht zu haben.
Das ist argumentationstechnisch herausfordernd. Was ist in einer neuartigen schwierigen Situation richtig? Und was bedeutet es, zu sagen “ich habe alles richtig gemacht“?
Zuerst ist es eine Variante, Verantwortung zu übernehmen. In „Ich habe alles richtig gemacht“ ist ich ein selbstbestimmter Akteur, der Entscheidungen getroffen hat.
Paradoxerweise soll die Aussage aber gemeinhin genau das nicht bedeuten. Sie ist eine Art, auszudrücken, dass man Regeln befolgt und sich an Anordnungen gehalten habe. Das Handelnde Ich in diesem Satz hat entsprochen, es hat getan, was verlangt wurde. Damit schiebt es die Verantwortung weg an eine Instanz, die gesagt und entschieden haben soll, was richtig ist. Und das bedeutet dann wieder, dass der Lokalpolitiker nicht dafür verantwortlich sein kann. Im Politspeak heißt das dann: Er kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden.
Das stimmt ja auch in gewisser Weise.
Trotzdem fragen sich jetzt alle, mit was für Vögeln man es hie zu tun hat. Hätten sie gesagt: „Ja, nein, ich weiß auch nicht, es war eine sehr unübersichtliche Situation, es war nicht ganz klar, wie Entscheidungen getroffen wurden und wir machen das jetzt so, und zwar folgendermaßen …“, dann gäbe es natürlich immer noch einige notorische Besserwisser und Journalisten, die immer schon genau gewusst hätten, was zu tun gewesen wäre (am besten hätten sie es gewusst, als sie noch gar nicht wussten, was zu entscheiden war), aber alle anderen hätten es verstanden.
Aber das verträgt sich halt nicht mit dem Bild des entschlossen handelnden Politikers. So wie die Bundesregierung auch in ihrer Entschlossenheit Planlosigkeit demonstriert und alle halben Tage nachbessern muss (was immerhin teilweise Lernfähigkeit zeigt), mussten eben auch Lokalpolitiker entschlossen sein.
Und den Versuch, alles in Ja/Nein-Entscheidungen zu übersetzen, könnte man tatsächlich künstlicher Intelligenz überlassen. Die braucht auch jemanden, der ihr neue Vorgaben macht und ihr Umfeld mit ganz klaren Anweisungen aufbereitet, damit sie sich anders entscheiden kann.
Aber die künstliche Intelligenz sagt dann auch nicht „Ich habe alles richtig gemacht.“ Das überlässt sie anderen. Insofern könnte dieser Schlag von Lokalpolitikern da noch etwa lernen.