Ryu Murakami: In Liebe, dein Vaterland

Ich finde japanische Literatur sehr schwer verdaulich. Egal ob Kenzaburo Oe, Osamu Danzai, Kazuki Kaneshiro – es sind immer ultradepressive Storys, die in Schwermut und Schande enden. E gibt nicht mal dramatische Enden oder Heldentode, es geht einfach immer direkt auf den worst case zu und unterbietet diesen dann noch. Meist gibt es keine Auflösung, kein Drama, einfach nur schleichende Depression, alles ist mies, Leiden und Elend.

Ryu Murakamis 1000-Seiten Epos “In Liebe, dein Vaterland” lässt erst mal ähnliches vermuten: Nordkorea setzt zur Invasion in Japan an, ein gewinkelter Plan tarnt Soldaten als abtrünnige Rebellen, die eine Insel in Japan besetzen, um von dort aus angeblich Nordkorea zu stürzen. Das hemmt die internationale Gemeinschaft, die Nordkorea gerne fallen sehen möchte, und das nimmt auch ganz Japan selbst im doppelten Sinn in Geiselhaft: Man kann nicht hart durchgreifen, um die eigenen Leute nicht zu gefährden, und außerdem würde man ja auch gern gegen Nordkorea vorgehen.

Die nordkoreanischen Soldaten sind keine guten; sie verhaften Volksfeinde, beschlagnahmen deren Vermögen, um ihre Operation zu finanzieren, foltern und töten.  Was nach einem klassischen Worst case-Setup klingt, wird eine aufregende, vielschichtige und packende Erzählung, cool wie Thomas Pynchon (als der noch cool war – Pynchon Vineland habe ich mit Begeisterung gelesen, ein paar weitere seiner Bücher mit Hoffnung; Mason & Dixon ist eines der wenigen Bücher die ich halbfertig gelesen weggelegt habe), mysteriös wie Roberto Bolano und gnadenlos wie Sibylle Berg in ihren besten Zeiten.

Die Story mischt Erzählebenen aus der Perspektive der Nordkoreaner, der Japaner in den besetzten Gebieten, japanischer Regierungsbeamten in Tokio und einer geheimnisvollen Gang schwererziehbarer japanischer Jugendlicher, die im Lauf der Geschichte eine immer wichtigere Rolle bekommen.

Viel mehr kann man über die Handlung gar nicht verraten, ohne massiv zu spoilern.

Das Setting ist ein krisengebeuteltes Japan in der Post-Finanzkrisenzeit, in dem sich Armut und Obdachlosigkeit ausbreiten und das auch international ins Hintertreffen gerät. Dem stehen die Kummer gewöhnten Nordkoreaner gegenüber, die trotz all der Brutalität, die sie auf ihrem Feldzug mitbringen, in Japan dezente Freuden der Freiheit entdecken – wie etwa eigene persönliche Unterwäsche.  In Summe ergibt das eine unbedingte Leseempfehlung.

Erwähnenswert ist dabei auch noch, dass es mit dem Septime-Verlag ein recht kleiner unabhängiger Verlag ist, der sich an Übersetzung und Veröffentlichung gewagt hat. – Ein Grund mehr, das Buch zu kaufen.