“Rhinestone Cowboy” – der Posterboy für politische Visionen der Gegenwart

Manchmal drängen sich uns ja komische Dinge auf. Bei mir war es heute morgen „Rhinestone Cowboy“, Glen Campbells traurige Ballade über einen erfolglosen Außenseiter, der so gern ins glitzernde Rampenlicht möchte. Eine Perle der 70er Jahre, die vor allem alternde Reitstallbesitzer immer gern ausgegraben haben

Auf den ersten Blick merkwürdiger Ohrwurm, auf den zweiten Blick aber die perfekte Allegorie von Politik in Corona-Zeiten, vor allem wenn man die großteils elendigen Budgetdebatten dieser Tage verfolgt hat: Menschen wünschen sich bessere Zeiten – gut, das war praktisch schon immer so.

Was sie sich vorstellen, ist aber gar nicht so toll und fern von allem, was funktionieren würde; möglicherweise haben sie gar keine Ahnung, was sie sich eigentlich vorstellen können: Campbell reitet in seiner Phantasie erbärmlich schlecht auf einem verlassenen Krautacker und winkt einem imaginären Publikum zu. So wird das nichts mit dem Glitzerstein-Kostüm und den jubelnden Mengen. Zu allem Überfluss: Sein Pferd ist weiß – Quarterhorses, also die überwiegend im Westernreitsport eingesetzte Pferdeasse, sind sehr selten weiß. Natürlich kann man auch andere Rassen oder der Farbe nach ausgesuchte Pferde reiten – aber man wird nicht gewinnen. Man wäre dann eher eine Art Eddy the Eagle der Arena.  Aber noch weit schwerwiegender: Rhinestone Cowboy zu sein, also erfolgreicher und bewunderter Rodeo- oder Reining-Reiter, ist ein elendiger Knochenjob mit Arbeitszeiten und Unsicherheitsfaktoren, die jedem Gewerkschafter die Grausbirnen aufsteigen lassen würden.

Aber in etwa diesem Stil und mit ähnlicher Treffschärfe bewegen sich politische Visionen der Gegenwart. PolitikerInnen streiten um Pensionszulagen, ohne die Finanzierbarkeit eines Worts zu würdigen. Gewerkschafter fordern Coronatausender für Handelsangestellte – von einer Handelsbranche im Lockdown. Wirtschaftskämmerer wollen mit Sonntagsöffnungen Handeslumsätze ankurbeln – obwohl Menschen ohne Perspektive sparen und sinnvollerweise einen Teufel tun, Handeslumsätze retten zu wollen. Finanzminister versprechen Milliardenhilfen und zahlen sie dann nicht aus. Ein Bundeskanzler wird von Licht am Ende des Tunnels geblendet – aber es sind dann auch nur Glitzersteine und leider nicht die Laserpointer der Sturmgewehre von Wega-Polizisten, denen er dann wieder Verdienstabzeichen anheften könnte.

Dabei haben wir noch keinen Gedanken an Schulschließungen veschwendet, an Watschen androhende Ex-Nationalratspräsidenten, an kulturtümelnde ÖVP-Provinzler oder an Grüne Abgeordnete, die übers Dritte Reich witzeln. Aber so etwas würde der Rhinestone Cowboy auch nicht tun.

Und wenn wir dann aufwachen, finden wir uns noch immer auf diesem Krautacker wieder.

Hier ist das Prachtstück: