Rainer Mühlhoff: Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus

Treibt uns Technik in den Faschismus? Rainer Mühlhoffs Essay ist eine gute Bestandsaufnahme diverser mehr oder weniger intellektueller Strömungen rund um Technologie und Politik, seine Schlussfolgerungen sind dann allerdings etwas überstürzt gezogen – und teilweise schon durch die Fragestellung bedingt. 

Technik fragt anders als beispielsweise Literatur- oder Geschichtswissenschaft. Für Technik ist in erster Linie richtig, was funktioniert. Funktionieren ist dabei oft ein erfolgsorientiertes Konzept: Wenn etwas Erfolg bringt, Menschen wohlhabender macht oder bestimmte Probleme löst, gilt das als Funktionieren. Offen bleibt dabei die Frage, wessen Probleme gelöst werden und wer reicher wird – das muss nicht unbedingt demokratischen Prinzipien entsprechen. Technischer Erfolg kann mitunter auch recht engstirnig auf kleine Gruppen bezogen sein und quasidarwinistische Ausleseideologien promoten. Das ist politische kritisch zu sehen, unterstützt Vorstellungen vom Recht des Stärkeren und macht sich wenig Gedanken über Teilhabe aller, Fairness oder ausgleichende Gerechtigkeit.

Mühlhoff kritisiert auch frühe Fantasien vom Cyberspace als den klassischen politischen Autoritäten entzogener Raum als libertär, undemokratisch und frühfaschistisch; auch John Perry Barlow wird für Mühlhoff seiner Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace wegen zum Proto-Faschisten. Ich denke, diese These ist weder haltbar noch sinnvoll (oder nützlich) und wirft ein eher fragwürdiges Licht auf Mühlhoffs weitere Ausführungen. Diese sind eher Agitation als Schlussfolgerung. Die Diagnose mag über weite Strecken zutreffend sein, wurde aber anderswo, etwa von Adrian Daub, besser und treffender ausgearbeitet. Mühlhoffs Forderungen aber überschätzen die Fähigkeiten von Technikphilosophie oder Digitalpolitik: Technik lässt sich nicht so wirksam regulieren, wie Mühhoff es gern sehen würde. Von Technik geht mehr gestalterische Kraft aus als vom Recht. Aber die Einsatzgebiete von Technik lassen sich regulieren. Hier sind vernünftige Regelungen tatsächlich essenziell für auch weiterhin funktionierende Demokratie. Vernünftig bedeutet allerdings, sich nicht pauschal einer diffusen Technofaschismus-Angst zu verschreiben.