Kaputtalismus oder Zivilkapitalismus?

Kaputtalismus oder Zivilkapitalismus?

Wenn es um die Zukunft des Kapitalismus geht, argumentieren Linke und Liberale manchmal sehr ähnlich – auch wenn die Schlussfolgerungen kaum unterschiedlicher sein könnten.

Wenn es um die Zukunft des Kapitalismus geht, argumentieren Linke und Liberale manchmal sehr ähnlich – auch wenn die Schlussfolgerungen kaum unterschiedlicher sein könnten. 

Yanis Varoufakis unterstellt Robert Misik, den Kapitalismus retten zu wollen. Das sieht Misik selbst nicht so. Tatsächlich aber klingt Robert Misik phasenweise wie Wolf Lotter – für den der Kapitalismus eigentlich gesund ist. Wo ist jetzt also das Problem?
Aber der Reihe nach: Anfang Februar präsentierte Robert Misik sein neues Buch „Kaputtalismus“ im Kreisky-Forum. Mit auf der Bühne als Diskussionspartner waren Erich Fenninger, Sozialarbeiter und Geschäftführer der Volkshilfe Österreich, und Katharina Mader, Ökonomin an der WU.
Karl Marx’ Name fiel ziemlich schnell. Spätestens seit Pikettys „Kapital“ ist das mehr als salonfähig. Spannender an der Diskussion – und an Misiks Buch – ist die Tatsache, dass man phasenweise meinen könnte, es ging um Wolf Lotters Buch „Zivilkapitalismus“.

„Unabhängig“ oder „selbstorganisiert“

Beide Autoren kritisieren die Ausprägungen des Finanzkapitalismus, beide stellen absurd hohe Managergehälter in Frage, beide sind sich einig, dass Kapitalismus als Wirtschaftsordnung durchaus funktioniert hat – und beide entwerfen, wenn auch nur skizzenhaft, Ideen einer möglicherweise folgenden Wirtschaftsordnung.
Der Unterschied: Misik sieht darin die Ablöse des Kapitalismus, Lotter den eigentlich gesunden Kern. Misik führt Beispiele selbstorganisierter Produktion aus Griechenland oder Spanien an; Arbeiter übernehmen nach Pleiten Fabriken, um selbst zu produzieren und sich über Wasser zu halten, junge Arbeitslose machen einfach irgendwas (in seinem Beispiel: Smoking- oder Hipster-Fliegen aus regionalen Stoffen und mit lokaler Handarbeit produzieren), weil es keine klassischen Jobs mehr gibt. Lotter schreibt Sätze wie: „Wir sind alle darauf trainiert, als ‚Verbraucher‘ zu denken, also als jene Gruppe, die das nimmt, was sie kriegt – eben ‚verbraucht, was da ist‘. Wir müssen aber zu Geschäftspartnern werden, zu Menschen, die sagen, was sie wollen. Auch das ist Teil der zivilkapitalistischen Transformation.“
Beide Autoren sehen Transformationsprozesse bereits in Gang, für beide geht es darum, Produktion und Wirtschaft als gesellschaftliche Prozesse für alle darzustellen – nicht als Spielwiese reicher Eliten.

Mehr oder weniger Regeln?

Die politischen Konsequenzen könnten allerdings kaum unterschiedlicher sein: Aus modern sozialdemokratischer Sicht ist hier ein Mehr an Staat notwendig. Misik, Fenninger und Mader diskutierten über Vollbeschäftigung, die Mobilisierung und Politisierung von sozial Schwachen und über staatliche Organisation. Lotter setzt auf Selbsthilfe, Unabhängigkeit und das Interesse am anderen. Und beide Seiten scheinen sich in diesem fiktiven Gespäch einig, dass zeitgemäße Wirtschaft eine Graswurzelbewegung ist: Sie entsteht von unten, von Menschen selbst.
Abgesehen davon, dass in beiden Fällen offensichtlich das Gute im Bild des Menschen überwiegt (auch der rationale Egoisten-Ökonom muss an die anderen denken, wenn er ihnen langfristig etwas verkaufen will), stellt sich jetzt die Frage, welche Voraussetzungen notwendig wären um eine solche Wirtschaft zu ermöglichen.
  • Sind es höhere Staatsausgaben, die die Wirtschaft ankurbeln, indem sie für mehr Konsum sorgen?
  • Sind es Steuerreformen, die Geld – ebenfalls für Konsum – freimachen?
  • Sind es niedrigere Abgabenquoten, die auch kleinen Unternehmer_innen das Überleben erleichtern?
  • Oder reduzierte Auflagen und Bürokratiehürden, die Gründungen erleichtern, auch wenn sie so von der Gewerbeordnung her nicht vorgesehen wären?
  • Braucht es Förderungen und einen geschützten Raum?
  • Oder braucht es grundlegende Mentalitätsveränderungen, die Menschen vom Anspruchsdenken zur Lösungsorientierung bewegt?
Antworten lassen sich am ehesten in Beispielen finden. Selbstorganisierte Produktion muss dabei nicht immer revolutionäre Wurzeln haben. Jede Zusammenarbeit von Selbstständigen funktioniert nach diesem Prinzip. Menschen stehen einander als Geschäftspartner_innen gegenüber; die Rollenverteilung zwischen Auftraggeber_in und Auftragnehmer_in, Ausbeuter_in und Ausgebeutetem oder Ausgebeuteter kann dabei schneller wechseln als man feststellen kann, wer jetzt eigentlich was war.

Grundsatzfragen

Wie weit sich solche Wirtschaftsformen dann von ihrer ursprünglichen Einfachheit entfernen, den Versuchungen der Finanzmärkte erliegen und geschlossene abgeschottete Werte schaffen wollen, hängt nicht zuletzt von ganz einfachen Rahmenbedingungen ab:
  • Können Unternehmer_innen nach ihren Bedürfnissen und nach der realen Geschäftsentwicklung planen, oder bestimmen Steuer- und Sozialversicherungsvorauszahlungen, wann wieviel Umsatz notwendig ist?
  • Kann die Rechtsform nach den Anforderungen des Unternehmens gewählt werden, oder ist das notwendige Stammkapital die eigentlich entscheidende Hürde?
  • Können die Vorteile von Rechtsformen (Haftungsbeschränkungen, Beteiligungen, Reinvestition von nicht entnommenen Gewinnen) von allen genutzt werden – oder wieder nur ab Mindestgrenzen beim Kapital?
  • Können Investitionsfreibeträge für die Investitionen in Anspruch genommen werden, die das Unternehmen braucht – oder nur für die, die der Staat fördern möchte?
  • Werden Realinvestitionen in eben diese Wirtschaftsformen unterstützt – oder bleiben sie weiterhin nicht steuerlich relevantes Privatvergnügen?
Es scheint durchaus so, als könnte man diese Fragen auch ganz praktisch und unabhängig und politischer Ideologie beantworten. Oder als müssten die Antworten, auch unabhängig von Ideologiefragen, vorerst gleich ausfallen. – Wo doch schließlich beide grundsätzlich vom Guten ausgehen, also von Menschen, die auch mit Freiheit umgehen können.
Slavoj Zizek, das nur als Randnotiz, kommt zwar in seinem ebenfalls aktuellen Kapitalismus-Buch „Ärger im Paradies“ zu dem Schluss, dass auch der Kommunismus noch nicht ganz von der Hand zu weisen sei. Ein kooperativer Kapitalismus „verteilt nicht einfach Güter und Dienstleistungen, sondern er respektiert den Sinn des Wortes ‚Markt‘ im Ganzen und in seinem Ursprung: Aus dem Verbraucher wird ein Mit-Gestalter und Mit-Unternehmer, ein Zivilgesellschafter, der seine Wünsche und Vorstellungen einbringt. Menschen auf diesen Märkten sind im Wortsinn Geschäfts-Partner. Sie handeln im gegenseitigen Interesse, sie folgen gemeinsamen Zielen, sie unterstützen sich gegenseitig, weil sie etwas voneinander wollen.“ – Dieses letzte gemeinschaftsorientierte Szenario stammt allerdings wieder vom kommunismusunverdächtigen Wolf Lotter.
Praktisch scheint also einigermaßen klar zu sein, wo die Kapitalismus-Reise hingehen kann. Offen bleibt die Frage nach den politischen Rahmenbedingungen – und die Frage, ob wir mehr oder weniger davon brauchen, und ob sich Rahmenbedingungen auf die Förderung positiver Auswirkungen (Wachstum fördern, Arbeitslosigkeit reduzieren, …) oder auf die Eindämmung möglicher negativer Folgen (Wertschöpfungsabgabe, Bonus-Malus-System, Investitionsbeschränkungen …) konzentrieren sollten …
Michael Hafner

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Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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