Ein Jurist und ein Journalist schreiben ein Buch über die Zukunft der Wirtschaft. Und das ist zugleich auch die Schwäche dieses Buches. Akademische Forscher und Medienmenschen sind Beobachter und bei aller gewissenhaften Recherche Außenstehende, gerade was soziale Dynamik oder fehlende Dynamik in Unternehmensorganisationen betrifft. So werden Mercedes und Spotify gleichermaßen als Vorzeigebeispiele flexibler moderner Organisationsformen beschrieben – und alle, die mal in großen Konzernen gearbeitet haben, wissen, wie seltsam es ist, die eigene klägliche Arbeitsrealität in schillernden Worten in Medien beschrieben zu sehen.
Aber worum geht es eigentlich?
Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge denken über die Auswirkungen digitaler Transformation nach. Mit Überwachung, Kontrolle und Manipulation halten sie sich, im Gegensatz zu Shoshanna Zuboff, nicht lange auf. Das lässt den Blick frei für andere Perspektiven. Natürlich stehen Märkte im Mittelpunkt.
Digitale Märkte organisieren schnell, kleinteilig und flexibel, sie koordinieren Wissen. Digitale Märkte sind ähnlich wie das, was man früher Netzwerke nannte. Sie ergänzen, in zunehmendem Maß ersetzen sie auch, große und starre Organisationen. Das sorgt für präzisere und effizientere Koordination, aber es geht zu Lasten von Stabilität und Sicherheit. Beziehungen müssen neu hergestellt werden, Entscheidungen müssen anhand neuer Informationen und Sachlagen nie getroffen werden – sie richten sich nicht nach von Fakten unberührten Regeln oder Glaubenssätzen.
Auf diesem Weg kommt dann doch wieder Kontrolle ins Spiel. Ein Weg, doch zu mehr Sicherheit im Sinn von Kontrollierbarkeit zu kommen, ist überbordende Überwachung, die immer dichtere Daten schafft. – Da darf natürlich das Cybersyn-Experiment der chilenischen Diktatur nicht als düsterer Warnhinweise am Horizont fehlen.
Datenreichtum ist eine Richtung, in der Mayer-Schönberger und Ramge neue Wachstumsperspektiven und auch neue Steuerungsmechanismen für Märkte sehen. Von Geld nämlich gibt es zu viel – und es lässt sich zu leicht vermehren, teilen, aber nicht unbedingt sinnvoll einsetzen. Daten dagegen sind produktiv. Wer sie hat, trifft bessere Entscheidungen, handelt effizienter und gewinnt Vorsprung vor anderen. Die Autoren denken sogar an eine Datensteuer: Unternehmen sollen nicht Geld zahlen, sondern Daten offenlegen, damit Wissen allen zur Verfügung steht.
Dass auch hier die Perspektive wieder ein wenig theoretisch ist, zeigt ihr eigenes Beispiel von Banken. Banken wissen sehr viel, sie haben Daten, sie können aus Daten noch mehr Information ableiten – und sie können dennoch sehr wenig damit anfangen. Neben einem Rest von Unsicherheit bleibt vor allem immer noch Unentschlossenheit, die Banken vom Handeln abhält. Vielleicht werden Geschäftsbanken auch die erste Branche sein, die trotz einer Fülle von Daten verschwindet. Niemand braucht sie mehr. Peer to Peer-Finance, FinTech-Innovationen und Crowdinvesting setzen an, Banken das Wasser abzugraben. Wer dagegen mit Daten und Informationen arbeitet und gut Geschäfte damit machen, sind Investmentbanken – mit all den Schattenseiten, die Investmentbanking mit sich bringt.
Auch in dieser Analyse, selbst wenn sie inhaltlich zu teilen ist, macht sich eine recht deutliche akademische Distanz der Autoren zum ihrem Gegenstand bemerkbar. Sie mischen Crowdfunding und Crowdinvesting und sehen Kickstarter als Finanzierungsplattform für Startups, obwohl dort allerdings eher Produkte finanziert werden. Diese Unschärfe schwächt auch ihr Argument für die Effizienz von Markt-Plattformen wie Kickstarter: Zwar scheitern dort nur 15% der Projekte (diese Zahl führen die Autoren an), es sind aber eben nur Projekte und keine Gründungen, wie die Autoren offenbar meinen. (Und für fertig konzipierte und finanzierte Projekte halte ich eine Scheiterquote von 15% im übrigen für relativ hoch.)
Märkte wie sie Mayer-Schönberger und Ramge beschreiben, sind natürlich trotz aller Koordinationsfähigkeiten keine rosigen Plätze. Gerade in Zeiten praktisch weltweiter Skalierbarkeit von nahezu allem wird die Verhandlung auf Märkten immer mehr zu einem Alles-oder-Nichts-Spiel. Es ist erst entschieden, wenn es einen sehr eindeutigen Sieger gibt. In diesen monopolistischen Tendenzen sehen die Autoren Gefahr für Innovation – und einen Hinweis darauf, dass steigende Unternehmensgewinne diesen Hang zum Monopolismus verstärken. Geld wird weniger in Innovation oder neue Produkte investiert oder verteilt, es wird zunehmend entweder abgeschöpft – oder in Prozesse und Formalismen investiert, die die Marktposition stärken. Wichtiger als neue Funktionen, die neue Kunden anlocken, sind Convenience-Elemente, die Kunden stärker binden – oder ihnen den Ausstieg schwerer machen. Das ist gut fürs Geschäft, aber schlecht für die Sache.
Auch hier argumentieren die Autoren wieder für mehr Drang zur Offenheit und Offenlegung von Daten. Unternehmen, die ihre Steuern über Daten und Offenheit zahlen, können sich weniger gut abschotten und anderen den Weg nicht so leicht erschweren. Was allerdings voraussetzt, dass andere diese Daten zu nützen wissen.
Digitaler Kapitalismus wird oft als Schreckensvision beschrieben. Mayer-Schönberger und Ramge zeigen eine deutlich freundlichere Perspektive. Allerdings eine, die sehr mündige, zielstrebige und technisch versierte BürgerInnen und PolitikerInnen voraussetzt.