Aber die Aufklärung …!

Aber die Aufklärung …!

"Wissen wir es denn nicht besser?", würden wir alle, die gegen die Vernunft anrennen, gern fragen. Aber diese Frage ist kurzsichtig.

Aufklärer sind nun viele: Corona-Leugner belächeln Schlafschafe, Qs Vertraute kennen geheime Wahrheiten, für deren Erkenntnis andere noch nicht reif sind. Impfgegner wünschen sich verlässliche und vertrauenerweckende Empirie, die wir bei weit riskanteren und alltäglicheren Dingen auch nicht haben. Kriegs-Experten und Militärstrategen sind ebenfalls gut informiert und sendebewusst.

Erklärer und Rationalisten dagegen wundern sich: Wie kann man trotz aller Fortschritte nur solchem Unsinn nachhängen? Wissen wir es nicht besser? Hat uns die Aufklärung nicht gelehrt, Fragwürdiges mit unserem Verstand zu prüfen und Logik und Fakten gelten zu lassen?

Superlativmänner lassen keinen Widerspruch gelten, können alles erklären und wissen alles besser – wie “Affen auf dem Rücken des Bärs”. Superlativmänner – diese schöne Wortkreation und das Bild des bärenreitenden Affen entstammen der Feder von Leopold Alois Hoffmann, der im späten 18. Jahrhundert in seiner “Wiener Zeitschrift” erbost gegen die Unsitten der Aufklärung ausritt. Anhänger der Aufklärung seien von Dämonen begleitet, der ihnen einrede, dass nichts zähle – außer dem Urteil ihrer eigenen Vernunft. Aufklärung sei allwissende Nichtwisserei, die Würden und Titel als Kindertand betrachte und die Jugend mit sich reiße, damit “Knaben und Mädchen Geheimnisse und Abscheulichkeiten der Onanie und der sinnlichen Wollust erfahren”. Aufklärung schließlich vermittle auch unangemessenes Selbstbewusstsein: “Seid stolz und übermüthig gegen Groß und Klein, denn dadurch erwirbst du Ansehen und Gewalt. Niemand ist ohnehin mehr als du, und weil du aufgeklärt bist, so darfst du mit Recht fordern, daß jedermann deine Einsichten respektire, und dir überall zugestehe, du seist klüger und weiser, als die ganze übrige Welt.”

Hoffmann selbst war allerdings auch nicht kleinlich, was die Einschätzung seiner eigenen Fähigkeiten betraf. Der Aufsatz, aus dem diese Zitate stammen, nennt sich stolz “Definitiv-Urtheil der gesunden Vernunft über Aufklärung und Aufklärerei” und erschien 1793.

Hängt hier ein Konservativer besseren Zeiten nach, kann jemand nicht mehr Schritt halten und neuen rasanten Entwicklungen rund um ihn  nicht mehr folgen? Hoffmanns Geschichte dürfte Abwechslungsreicher gewesen sein. Er zog als junger Dichter von Böhmen nach Wien gab ein eigenes Wochenblatt für Predigten-Kritik heraus und war einer der jüngsten Freimaurer seiner Zeit – er wurde schon als nicht einmal 24jähriger in eine Loge aufgenommen.

In seinen “Wöchentlichen Wahrheiten für und über die Prediger in WIen”, legte Hoffmann aufklärerische Maßstäbe an Kirchenpredigten an und ritt damit eine Welle seiner Zeit, die ihn 1785 mit gerade mal 25 Jahren zum Professor für deutsche Sprache machte, 1790 wurde er als Professor für “Deutsche Sprache, den Geschäftsstil und die praktische Beredsamkeit” nach Wien berufen.

Für diesen Aufstieg mochten allerdings andere als wissenschaftliche und philosophische Fähigkeiten ausschlaggebend gewesen sein. Hoffmann, der mit Verlegern und Kollegen immer schon Kleinkriege um Honorare und nicht eingehaltene Versprechen geführt haben soll, hatte Kontakte zur Polizei geknüpft und sich als Spion, Konfident und Denunziant betätigt. Von Kaiser Leopold II, den Hoffmann in seiner WIener Zeitschrift über alle Maßen als gerechten und umsichtigen Weisen lobte,  ist eine wenig schmeichelhafte Einschätzung überliefert: „Der Kerl ist ein Esel, ich weiß es; aber er leistet mir als Spion sehr gute Dienste.“

Hoffmann arbeitete auch nach dem Tod Leopolds weiter für die Polizei, verlor ohne mächtigen Vertrauten aber schnell an Einfluss und Ansehen, wurde als nur 33jähriger bei halbiertem Gehalt pensioniert und zog sich ins intellektuelle Exil nach Wiener Neustadt zurück.

Vom Aufklärer zum Denunzianten, vom Freigeist zum Reaktionär – das mag eine persönliche Wendung gewesen sein. Aber wen verfolgte Hoffmann mit seinem Zorn, gegen welche Eigenschaften richteten sich seine Argumente?

Die Feindbilder sind vielfältig.

Freizügigkeit, Verkommenheit und Zügellosigkeit sin ein großer Streitpunkt. Menschen leben nicht mehr nach traditionellen, bekannten, vorhersehbaren und kontrollierbaren Wertvorstellungen. Sie unterwerfen sich nicht mehr dem, was sich gehört. Das macht sie mitunter zu einer Bedrohung – vor allem für jene, die sich von Tradition und ihren Regeln beschützt gesehen haben.

Selbstüberschätzung, Rechthaberei und Egoismus sind andere Kritikpunkte. Die kritisierten Aufklärungsschwärmer sind von sich selbst überzeugt, kennen wenig Zweifel, haben ihre eigenen Interessen im Blick, vertrauen nur auf sich selbst, respektieren nur ihre eigenen Meinungen. Sie erfinden jeden Tag die Welt neu und erzählen anderen davon – ohne einen Blick darauf zu verschwenden, was die Welt schon über ihre Erkenntnisse weiß. Vielleicht ist ja nicht alles neu, aufregend und revolutionär, aber die Schwärmer kümmert das nicht.

Das Vertrauen, dass sie sich selbst entgegenbringen, lassen sie anderen nicht zuteil werden. Hoffmann wendet sich mit Zorn gegen ihren Skeptizismus, gegen sie Unsitte, alles zu hinterfragen, alles wissen zu wollen, sich mit Fragen zu beschäftigen, die andere schon geklärt  und gelehrt haben. Wissensdurst ist ein Problem.

Ganz am Anfang seiner Polemik schließlich steht die Kritik des Widerspruchsgeists. Müssen sie denn immer zurückreden? Können diese Aufgeklärten denn die Dinge nicht einfach gelten lassen, so wie die Gelehrten und Herrschenden sie festgelegt haben?

Stattdessen wollen sie einfach und direkt ihre Meinung setzen – ihre Meinung gegen das erprobte und bewährte Wissen von Experten der vergangenen Jahrhunderte.

Der Reaktionär geißelt also jene, die Gewohntes und Bewährtes in Frage stellen, die Unterwerfung und Einordnung nicht akzeptieren wollen und sie selbst, mit eigenen Sinnen und eigenen Argumenten verstehen und diskutieren wollen. Sie misstrauen der üblichen Ordnung, sie haben anderes im Sinn.

Und was halten verschwörerisch Aufgeklärte und humanistisch Aufgeklärte einander vor?

Ihr gebt euch zufrieden, sagen die Verschwörungstheoretiker. Ihr schwimmt mit dem Mainstream, gebt euch mit allem zufrieden was man euch sagt. Ihr hinterfragt nicht, denkt nicht selber und lasst euch belügen.  

Die humanistisch Aufgeklärten bremsen. Es gibt Tatsachen, sagen sie, gesichertes Wissen, Spielregeln der Demokratie. Nicht alle können gleichberechtigt überall mitreden, Expertise und  Spezialistentum machen Sinn. Es kann nicht bei allen Entscheidungen um Meinung gehen.

Klingen Rationalisten, die sich auf Vernunft, Wissen, und Argumente berufen, heute wie die zornigen Anti-Aufklärer vor 250 Jahren? Sind die Argumente, mit denen man sich gegen Esoteriker und Verschwörungstheoretiker wendet, die gleichen, mit denen sich enttäuschte Nicht-mehr-Aufklärer gegen die Radikalen des 18. Jahrhunderts wandten?

Natürlich wissen wir heute viel mehr. Wir müssen weit weniger ungeklärte Voraussetzungen wie Traditionen oder Religionen beanspruchen, um Wissensansprüche zu untermauern.

Trotzdem finden sich jene, die nur auf Vernunft pochen, immer wieder in der schwächeren Position. Auf der anderen Seite gibt es immer weitere Verlockungen …

Eine mögliche Schwachstelle: Der Glaube an die Vernunft ist das auf verschlungenen Wegen erreichte Ergebnis spekulativer Philosophie. Die Beweisführung der führenden Köpfe ihrer Zeit wäre uns heute, begegnete sie uns in modernem Gewand und ohne den Charme des lang vergangenen, allenfalls hochgezogene Augenbrauen wert, gerunzelte Stirnen; wird würden über die Wortführer solcher Argumentationen hinter ihrem Rücken kichern.

Vernunft setzt sich durch, weil sie sich über Widersprüche hinweg ihren Weg bahnt? Dank der “List der Vernunft” funktioniert das auch dann, wenn Menschen ganz und gar unvernünftig und egoistisch handeln? Der Weltgeist bei der Arbeit ordnet alles im Sinn der Vernunft? Stehen wir kurz vor der Lösung, gibt es immer nur noch eine letzte Hürde, die auf dem Weg zum Sieg der Vernunft überwunden werden muss? – Das sind alles Versatzstücke aus Hegels Schriften, der Galionsfigur der spekulativen Philosophie.

“Hegel”, “Dialektik”, sagen heute viele Zitatedropper-PhilosophInnen auf Twitter, wenn etwas anders kommt, als manche glauben möchten. Die twitterphilosophische Interpretation dieses Schlachtrufs bedeutet dann allerdings oft, frei übersetzt: “Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.” Manchmal auch: “Wie man in den Wald ruft, so kommt es zurück.” Oder gar: “Auge um Auge, Zahn um Zahn.” Oder wienerisch: “Ana hot immer des Bummerl.”

Dialektik wird zum tröstlichen Ausgleich, demzufolge mal der eine, mal die andere oben ist, nichts ist für immer, und es kommt oft anders, als man glaubt. Das wäre eine sehr ausgleichende Vorstellung, in der irgendeine ausgleichende Macht als treibende Kraft dafür sorgt, dass nichts je zur Ruhe kommt.

Woher kommt denn der Widerspruch, der sich immer wieder gegen einmal formulierte Thesen stellt?

In einer naiv-brutalistischen Interpretation aufklärerischer Dialektik ist die Realität selbst im eklatanten Widerspruch zu dem, was sein soll. Widersprüche – das ist der Treibstoff marxistischer Utopisten, die Geschichte als Entwicklung hin zu einem kommunistischen Endstadium sehen. Was nicht kommunistisch ist, ist falsch, es widerspricht Vernunft und Freiheit, also ist es ein Widerspruch, den es zu überwinden gilt.

Fraglich ist aber, wie Widersprüche überwunden werden, was die revolutionäre Dialektik in Gang setzt. Ist es die Notwendigkeit des kommunistischen Endstadiums, das, als einzig vernünftiges Ergebnis der Weltgeschichte mal eintreten muss? Oder muss der Notwendigkeit doch mithilfe revolutionärer Subjekte nachgeholfen werden? Das Dilemma der Revolution – Wer soll revoltieren? Wann? Mit welchem Ziel? Oder bleibt die Revolution ein Dauerzustand? – ist also eine zutiefst aufklärerische Angelegenheit, eine, das durch die angenommene Entwicklung hin zu Vernunft befeuert und zugleich auch gebremst wird.

Vielleicht hatten die aufklärerischen Erfinder etwas anderes im Sinn: Hegels Dialektik beschreibt vielmehr die Gewissheit, dass nichts der Weisheit letzter Schluss sein kann. Wir lernen etwas, erklären es uns, verstehen es, bilden eine These, können etwas über die Welt sagen – und lernen im gleichen Moment, dass es auch anders sein könnte. Das Spiel wiederholt sich, das gleiche gilt auch für die nächste These. Und damit ist dafür gesorgt, dass nichts zum Stillstand kommt – denn auch die neueste These ist dem gleichen Schicksal ausgesetzt.

Der Glaube an die sich durchsetzende Vernunft ist eine Art globale Midlifecrisis, die alles Erreichte immer wieder mit quälend nagenden Zweifeln infrage stellt. War es das schon? Ist das wirklich alles? Das kann es doch noch nicht gewesen sein … Alles Erreichte wird, verglichen mit einem Ideal, ein vorläufiger Murks.

Das beschwört aber nur ein weiteres Ideal: Wenn wir der Vernunft nachhängen, die alles klären wird, dann gehen wir davon aus, dass Fehler auf Einflüsse und Abweichungen zurückzuführen sind, auf unvernünftige Störfaktoren, die die Klarheit der Vernunft vernebeln. Die vernünftige Wahrheit tritt dort ans Licht, wo Fehler und Einflüsse ausgeschlossen wurden. Schwebt die vernünftige Wahrheit also voraussetzungslos im luftleeren Raum, wo sie keiner Verschmutzung durch Umstände, Vorlieben oder Vorurteile ausgesetzt ist? Was für eine Wahrheit ist das dann, wessen Wahrheit ist keinen sozialen, historischen oder technischen Einflüssen ausgesetzt?

Bahnt sich die leuchtende Vernunft der Aufklärung ganz allein ihren Weg durch ein verlassenes Universum, in dem sie von uns Menschen nicht mehr gestört wird?

Zornigen Alt-Aufklärern wäre das vielleicht gar nicht so unrecht. Ratlose Welterklärer können sich ebenfalls damit anfreunden, sich in einer leeren Welt nicht mehr mit unsinnigen Einwürfen auseinandersetzen zu müssen.

Leider liegt beidem der gleiche Irrtum zugrunde: Es gibt keinen unverstellten Blick auf die Dinge und keine unverfälschte Rationalität, die “der Wahrheit” zum Durchbruch verhelfen wird. Das können wir erkenntnistheoretisch untermauern, wissenschaftstheoretisch bei David Bloor nachlesen, mit Cognitive Sciences und Neurophysiologie argumentieren oder auch mit den Methoden von Mathematik und Informatik argumentieren. Aber natürlich kann man auch die Augen schließen und sich von all dem nicht stören lassen und weiter einfach behaupten, recht zu haben.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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