Mein Leben mit Sh*tcoins

Mein Leben mit Sh*tcoins

Wer Bitcoin buchstabieren kann, ist Experte für alles: Viren, Spionage, erfüllenden Sex, Militärstrategie. Das lerne ich täglich auf LinkedIn und Twitter.

Wer Bitcoin buchstabieren kann, ist Experte für alles: Viren, Spionage, erfüllenden Sex, Militärstrategie. Das lerne ich täglich auf LinkedIn und Twitter. 

All dies Insiderwissen ist von großen Versprechen getragen: Bitcoin schafft Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, Sicherheit, Souveränität – das unterscheidet Bitcoiner von altmodischen Münzensammlern. In der Nähe der Bitcoiner sind gern auch Menschen, die Dinge wie „Ich liebe Freiheit“ sagen. Ich verstehe manchmal nicht ganz, wovon und wofür digitale Währungen frei machen, wenn es letzten Endes immer darum geht, dass spicke Digitalwährungen besonders viel wert sind, sich also besonders gut in alte verachtete Papier- und Metallgelder umwechseln lassen. 

Aber es ist ein grobes Missverständnis, rund um Bitcoin und Blockchain mehr verstehen zu wollen als die Informatik dahinter. Das wichtigste am digitalen Finanzexpertentum ist nämlich: Du darfst nie verstanden werden. Sobald du einen verständlichen und noch dazu im schlimmsten Fall eindeutigen Satz von dir gibts, bist du geächtet, musst in der Ecke stehen und wirst angehalten, deinen Mund mit Seife auszuwaschen. 

Bitcoin ist für Insider.

Als Experte auf diesem Gebiet musst du stets mit der gleichen Präzision sprechen wie das Orakel von Delphi, dessen Sprüche großen Interpretationsspielraum lassen und die dann am beliebtesten sind, wenn gar nicht sicher ist, ob das Orakel überhaupt etwas gesagt hat. 

Dabei kann ich mich ja gar nicht beschweren. Ich habe vor zwei Jahren mal eine Reihe von Coins gekauft. Da hatte ich doch mal zufällig etwas verstanden. Was, hatte nämlich ein Bitcoiner gefragt, was sagst du deinen Enkeln, wenn sie dir sagen: „Hättest du damals bloß einen Satoshi gekauft, dann hätten wir jetzt ein Leben in Saus und Braus und könnten zwischen Miami, Sansibar und Berlin hin- und her jetten.“ 

Gute Frage. 

Ich habe ein paar Tage damit verbracht, in jede Coin, derer ich habhaft werden konnte, einen Euro zu investieren. Mein Portfolio ist jetzt ein farbenfrohes Schauspiel, herrlich anzusehen – wenn man ein Faible für Rot hat. 

Ich habe natürlich Terra. Ich mochte den Crash, die kurzfristige Auferstehung und die mythisch-metaphysische Kombination der Kennzahlen „Wertentwicklung: +127,39%“ und „Wert: 0,0000€“. Aus Nostalgie für Pirate Bay-Zeiten habe ich auch BitTorrents gekauft. Nach ein paar Splits und Umreihungen habe ich jetzt über 5 Millionen davon – ohne auch nur einmal nachgekauft zu haben. Das nenne ich eine wundersame Vermehrung. Und ich bin glücklich, wenn mehr als 90 Prozent meines Portfolios weniger als 90% Verlust hingelegt haben. 

Dabei habe ich viel gelernt über diese Freiheit, Souveränität und die Expertise, von der Krypta-Buben schwärmen. Ein paar Coins haben nämlich funktioniert. Die Gewinne habe ich zum Großteil rausgenommen. Ein Teil davon lag in Fondsparplänen und ist dort, gemütlicher als im Kryptowallet aber doch, langsamer geworden. Der Rest liegt auf einem Konto und schmilzt fröhlich mit der Inflationn dahin – aber er ist wenigstens noch da. Das ist auch nicht weniger als 0,0000. 

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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