Bubi braucht Beachtung

Bubi braucht Beachtung

Sie betreiben irgendwelche Consulting- und Coaching-Buden und schaffen es manchmal vorübergehend, die Verachtung, die ihnen entgegenschlägt, als Relevanz auszugeben.

Manche Menschen bekommen Aufmerksamkeit. Das ist manchmal schön, kann auch lästig werden. Andere Menschen hätten gern Beachtung, Und hängen sich dann gern an die, die sie haben, und belästigen sie.
Die meiste Zeit im Jahr sind das Paparazzi (sind die nicht eigentlich schon aus der Mode gekommen?), Autogrammjäger und Stalker. Rund um Wahlen sind es dann Leute aus dem politischen Ausgedinge, die mit möglichst dummen und an den Haaren herbeigezogenen Aussagen Aufmerksamkeit suchen.
Deren Profile sind einander oft erstaunlich ähnlich:

  • Sie haben es bei Organisationen praktisch aller politischen Couleurs probiert, aber nichts erreicht.
  • Sie sind überall im Streit geschieden und versuchen, die schlechte Nachrede über ihre ehemaligen (Partei)Freunde als Publicity-Motor zu nutzen.
  • Sie betreiben irgendwelche selbstinitiierten Initiativen zu NoNa-Themen, hinter deren Fassade sie sich zurückziehen, um sich einen Hauch von Relevanz zu retten.
  • Sie verdingen sich im Kloaken-Journalismus und verrohen dort vollends.
  • Sie betreiben irgendwelche Consulting- und Coaching-Buden und schaffen es manchmal vorübergehend, die Verachtung, die ihnen entgegenschlägt, als Beachtung und Bedeutsamkeit auszugeben.
  • Ihre Meinungen wechseln sie wie Fähnchen im Wind.

Das Erstaunliche daran: Solche Leute finden in Österreich lange Zeit immer wieder irgendwo ein Aus- und Unterkommen. Gerad in einem kleinen Land sollte man ja davon ausgehen, dass sich Idiotie und Wadlbeisserei als einzige Referenzen schnell herumsprechen und man zu solchen Leuten auf Distanz geht. Aber wahrscheinlich trägt genau diese Enge auch dazu bei, dass man solche Leute eh ganz gut unter Kontrolle hat und sich über ihre Kapriolen amüsiert, solange man damit auch noch ein paar Cent verdienen kann.

Die ethische Frage, wie man damit lebt, wenn man seine Reputation auf Lügen, Unterstellungen und Untegriffen aufbaut, interessiert mich dabei weniger.
Ich finde die logisch-strukturelle Perspektive interessanter. Ich betrachte dieses Verhalten als beispielhafte Ausprägung einer neuen Kulturtechnik, die im Entstehen ist.
Kulturtechniken sind Methoden, mit denen sich Herausforderungen der Umwelt besser bewältigen lassen. Je na Perspektive kann das etwa Ackerbau sein, es kann aber auch der Umgang mit Reittieren oder Fahrzeugen sein, auch Disziplinen der Informatik lassen sich als relevante Kulturtechniken der Gegenwart interpretieren.
Die Technik, die ich hier im Auge habe, ist das Behaupten. Die These ist: Es ist eine eigene Kulturtechnik, Dinge in den Raum zu stellen, Zusammenhänge zu suggerieren, andere Menschen und deren Handlungen in ein bestimmtes Licht zu rücken, sich selbst Relevanz zu erstreiten – ohne dabei auch nur ein einziges Argument vorzubringen, das diesen Namen auch verdient hätte.
Nichts Neues, könnte man einwenden, die Revolverpresse beherrscht diese Technik im großen Stil schon seit gut 100 Jahren. Dem halte ich entgegen: Der Revolverpresse standen Geschäftsinteressen im Vordergrund; die Behauptungen waren Rufmord, Verleumdungen und Erpressungen, nicht viel anders als klassische Intrigen die sich noch viel weiter zurückverfolgen lassen. Dem Kulturtechniker der Gegenwart dagegen geht es in erster Linie um Aufmerksamkeit, Beachtung und soziales Kapital. Er instrumentalisiert, attackiert und denunziert andere nicht um derentwillen oder um einen Streit auszutragen – er tut es, um sie, um seine Umgebung, um alle anderen Lebenszeichen, die etwas von seinem Lebenselixier, der auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit absaugen könnten, übertönen und kontrollieren zu können. Es darf in dieser Welt keine zweite Meinung geben, Ambivalenzen dürfen nicht toleriert werden. Ambivalenzen stören das Geschäft, damit sind sie Zeitverschwendung.
Diese Form des Behauptens vollzieht sich manchmal explizit, manchmal ist sie den Akteuren gar nicht bewusst. Die Kulturtechnik des Behauptens ist damit Nachfolgerin und Erweiterung der schlichten Ignoranz – wo Ignoranz nur reduzierte, ist stures Behaupten ein expansiver und aggressiver Vorgang, der sich gerne in Harmlosigkeit tarnt. Man sagt ja nix, man redet ja nur, sagen ihre Protagonisten, wenn man sie auf ihre Unsinnigkeiten anspricht.
Im Gegensatz dazu kann Behaupten allerdings auch eine sehr produktive Technik sein – für die vorhin beschriebenen Problemjungs gilt das aber nicht, produktive Beispiele finden sich eher in Kunst und Kultur.

Steile These? Dem widme ich gerade eine etwas größere Arbeit, mehr zu “Das große Behaupten“ gibt es immer wieder auf diesem Kanal.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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