Mitteleuropäische Arbeitstage: Bukarest

Mitteleuropäische Arbeitstage: Bukarest


Was in Bukarest auffaellt: Der Audi Q5 verdraengt langsam den Porsche Cayenne aus dem Stadtbild. Und wenn es dunkel wird, ist es stellenweise finster – richtig finster. Die beeindruckenden Kabelinstallationen, die zu den unverkennbaren Bukarester Wahrzeichen gehoeren, scheinen gelegentlich Schwaechen zu haben. Die an sich schon spaerliche Strassenbeleuchtung verzichtet auch manchmal mitten in der Stadt darauf, ihren Dienst zu tun. Eine europaeische Hauptstadt strassenweise in voelliger Finsternis – das hat Seltenheitswert. Hausbesitzer wissen damit umzugehen und beleuchten ihre Vorgaerten mit eigenen Spots – was auch fertigen und gepflegten Haeusern einen gewissen Baustellencharme verleiht.






Bukarest wirkt wie eine orientalische Stadt, die im vorvorigen Jahrhundert auf Paris- oder London-Style umgebaut wurde. Dazu kommen ein paar kommunistische bis mediterrane Plattenbauten und der eine oder andere klassizistische oder ebenfalls kommunistische Protzpalast.
Zwischen all dem ist die Stadt bedrueckend schoen – und so verfallen, dass kaum zu glauben ist, dass Ceausescus Hinrichtung schon 20 Jahre her ist. Auch das Denkmal fuer die ueber 500 Toten des 21. Dezember 1989 ist ein windschiefes Eisenkreuz.
Ich hab ja eine Schwaeche dafuer; jedermanns Sache ist das vielleicht nicht.
Die Lipscani Zona, das Viertel um die ehemalige Leipziger Strasse direkt neben dem Finanz- und Kulturzentrum bietet ein paar Antiquitaetenlaeden, einen ueberteuerten Carhartt-Shop, Hippie-Laeden – und alte rumaenische Troedler. Designershops sind recht lieblos die Calea Victoriei entlang gefaedelt – so unauffaellig, dass man sie im Vorbeigehen praktisch uebersieht, vielleicht auch weil man auch als Fussgaenger auf den Gehsteigen immer wieder auf Schlagloecher achten muss…
Bukarest ist weniger eine Einkaufsstadt, aber – in Reichweite – ein Tor zu einer sich aendernden Welt: Nicht ganz unbekannt, aber schon deutlich anders.

Und dann sind da natuerlich noch die Hunde: Sie schlafen in Buswartehuetten, unter Autos, in Parks. Anscheinend werden sie gefuettert und versorgt, viele sind mit gelben Ohrmarken gekennzeichnet und immer wieder liegen Futterreste auf der Strasse. Und sie sind durchaus liebenswert.

Was blieb haengen:

  • Zona Lipscani: Eine der schoensten Kombinationen von Aufbau und Verfall in Europas Staedten.
  • Piata Romana: Ein ueberdimensionaler Cola-Becher mit Strohhalm leuchtet an der Fassade eines Hauses an der Suedwestseite. Das macht Freude. (War allerdings an diesem einen Abend auch ohne Strom…)
  • Kabelrollen und Schlagloecher: Die wahren Wahrzeichen dieser Stadt.
  • Unscheinbares Shopping: Designerlaeden sind da, aber ohne Raum zu greifen oder den Platz zu besetzen. Das liegt vielleicht auch daran, dass noch offen ist, welcher Platz besetzt werden soll, was das zukueftige Zentrum werden soll. Bukarest hat mehrere gleichwertige Zentren – und das ist einer der groessten Hoffnungswerte fuer die Stadtentwicklung…
Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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