Das Kapital, die Unternehmensgröße und das lebenslange Lernen

Das Kapital, die Unternehmensgröße und das lebenslange Lernen

Neue Arbeitsformen werden skeptisch beäugt. Kein Wunder: Sie zeigen, worauf sich auch traditionelle Unternehmen, Personalabteilungen und Standesvertretungen einstellen müssen. Und wie sagte schon Spinoza: Veränderung ist sch…. (aber der sass auch lang im Knast). Oder: Warum Tagelöhner Verwaltern überlegen sind.

Das Problem am Kapital, so einfach können wir das meiner Meinung nach durchaus sehen, ist meistens, dass wir es einfach nicht haben. Diese Tatsache als Problem zu sehen, muss nicht zwangsläufig mit Neid zu tun haben (das ist ein vereinfachender Reflex, der einen an sich neutralen Zustand negativ klassifiziert und damit denjenigen, der ihn beschreibt, in die Defensive drängt). Es beschreibt eher Möglichkeiten oder fehlende Möglichkeiten, und die müssen nicht immer mit anderen zu tun haben: Das Problem ist nicht, dass andere es haben, sondern dass es jetzt nicht hier ist.

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Aber der Reihe nach:

Das setzt gewisse Grundkenntnisse in Wirtschaft und Mathematik voraus, es sei denn, man vertraut blind seinem Finanzberater, aber das ist schon lange vor der Finanzkrise weder Al Capone noch Rocky wirklich gut bekommen.

Kapital ist etwas sehr praktisches, das auf unterschiedlichste Arten eingesetzt werden kann. Wir können es ausgeben, anlegen, spenden, praktisch investieren – und es macht vieles leichter. Eine der Voraussetzungen dafür ist, dass wir damit umgehen können. Das setzt gewisse Grundkenntnisse in Wirtschaft und Mathematik voraus, es sei denn, man vertraut blind seinem Finanzberater, aber das ist schon lange vor der Finanzkrise weder Al Capone noch Rocky wirklich gut bekommen. Es schafft Freiräume, die aber an bestimmte Bedingungen geknüpft sind. Gesetze, Steuern und Märkte geben vor, wie wir uns mit unseren Mitteln bewegen können. Abgesehen davon, dass manche eben von Haus aus mehr haben, geht es allen dabei gleich.
Über die Frage, ob und wie diese Gleichheit perfektioniert werden kann, sind sich jetzt Marx und Bakunin in die Haare gekommen. Marx setzt auf Aufklärung, Schulungen und Kollektivismus, Bakunin auf radikale Freiheit, die keine Einschränkungen duldet. Der Einzelne soll keine Regeln dulden, nichts, das die persönliche Freiheit auch nur annähernd einschränkt, ist zu akzeptieren. Und er soll auch nicht erzogen oder gebildet werden – wenn es nicht aus eigenem Antrieb passiert.
Freiheit macht einsam. Wer nur nach seinen eigenen Regeln lebt, ist vielleicht ein charismatischer Glücksfall, der Anhänger um sich schart, ohne deren Freiheit gezielt einzuschränken. Gemeinsamkeit hat aber immer auch mit einem gewissen Mass an Regeln zu tun, und seien es nur so flexibel definierbare Werte wie Vertrauen. Vertrauen setzt, wenn es auf Freiheit beruht, Nachvollziehbarkeit voraus – ich glaube zu wissen, was ich vom anderen erwarten kann, weil er sich (zumindest in der Beziehung zu mir) konsistent verhält. Andere Formen des Vertrauens beruhen auf Macht und Unterdrückung: Die romantischen Vertragsphantasien zur Konstituierung menschlicher Gesellschaften verschleiern das sehr schön. Während Hobbes den Vertrag noch als Gegenmittel gegen beidseitige Bedrohung und Brutalität darstellt, ist Rousseau, auch wenn er oft als Urvater von natürlicher Romantik gesehen wird, der Gottvater der modernen Sklaventreiber. Wir geben ein Stück Freiheit auf, um bequemer zu leben – und ordnen uns damit dem Staat und der Religion unter. Sein Kumpel Voltaire meinte schliesslich auch: “Wenn es Gott nicht gäbe, dann müsste man ihn erfinden.” – Klar, so ein praktisches Ordnungsprinzip gibt es sonst nicht oft so billig.
Diese Art von Vertrauen braucht nur der Schwächere, der auf irgendeine Regelung angewiesen ist, die seine Existenz sichert. Der Vertragsgedanke, so demokratisch er sich auch gibt, setzt Ungleichheit als selbstverständlich voraus. Ungleichheit bedeutet dabei weitgehend Unfähigkeit – für sich selbst zu sorgen, eigene Interessen zu vertreten, oder sich durchzusetzen. Praktisch gibt es diese Unfähigkeit. Aber sie vorauszusetzen, ist infam.

Der Experte, der dem Anarchisten nach gründlicher Prüfung am glaubwürdigsten erscheint, hat Autorität. Und nur der: Autorität aus anderen Gründen zieht für Bakunin nicht.

So weit kann man mit Bakunin gehen. Aber was macht der freie Mensch? Wirtschaftlich gesehen kann auch der freieste Mensch nicht allein leben. Nach welchen Regeln organisiert sich dann das Zusammenleben freier Menschen? Auf den ersten Blick mag es verwundern: Bakunin als Galionsfigur der Anarchie hat kein Problem mit Autorität. Sein Autoritätskonzept ist praktisch orientiert und immer auf ein Fachgebiet bezogen: Die Autorität eines Experten (z.B. eines Handwerkers) ist unumstritten, gilt aber nur auf dessen Gebiet, und muss sich im Vergleich mit anderen Experten behaupten. Der Experte, der dem Anarchisten nach gründlicher Prüfung am glaubwürdigsten erscheint, hat Autorität. Und nur der: Autorität aus anderen Gründen zieht für Bakunin nicht.
Das bedeutet, dass Wissen wichtig ist. Wissen hat paradoxerweise mit Regeln zu tun, damit, Gesetzmässigkeiten erkennen zu können und auf Grund dessen (vergangene) Zusammenhänge erklären oder zukünftige Abläufe planen zu können. – Regeln, die der Anarchist eigentlich nicht haben möchte. Alle Regeln zu ignorieren, ist aber grundsätzlich erst einmal dumm. Das hat zwei Gründe: Gegen manche Regeln lässt sich wenig einwenden – einfache Naturgesetze scheinen wirklich so zu sein, wie sie sind. Zweitens: Regeln zu kennen, bedeutet noch lange nicht, sie zu akzeptieren; Wissen liefert oft einmal auch die Basis, auf der gegen Regeln gearbeitet werden kann. Regeln, die sich nicht klar oder nur metaphysisch argumentieren lassen, sind davon ausgenommen. Im Gegenteil: Sie bringen das für ihre Ablehnung notwendige Werkzeug bereits mit. „Wann immer ein Führer von Gott spricht (…), seid sicher, dass er gleich dazu ansetzt, einmal mehr seine Volksherde zu scheren.“

Nicht jeder, der auf eigene Rechnung arbeitet, verfolgt ein großes Ideal von Freiheit.

Wozu dieser Anarchie-Exkurs? Mit nur wenig gutem Willen lässt sich auch in Bakunin lesen, dass Freiheit nicht notwendigerweise mit Einsamkeit und Ignoranz gleichzusetzen ist. Es geht vielmehr um einen Zugang zur Welt auf eigene Rechnung.
Und damit kommen wir zu den Tagelöhnern. Nicht jeder, der auf eigene Rechnung arbeitet, verfolgt ein großes Ideal von Freiheit; nicht jeder ist davon überzeugt, die absolut einmalige Geschäftsidee zu haben oder das unnachahmliche Dienstleistungsportfolio zu bieten. Nicht jeder macht das, weil er keinen anderen Job findet oder zu wenig erfolgreich ist, um sein Unternehmen auszubauen.
Sowohl hochspezialsierte als auch generalistisch aufgestellte Unternehmen (also eben alle, die kein klassischer Handwerksbetrieb sind oder keine Miniatur-Me-too-Kopie handelsüblicher Dienstleister oder Agenturen) spiegeln einen ganz anderen Trend wider: Wir brauchen immer weniger handelsübliche Unternehmen – zumindest dann, wenn wir unsere Interessen verfolgen und sie, in einer Kombination die eben gerade Sinn macht, auf dem Markt anbieten wollen.

Selbst wenn ich mir heute zwei Mitarbeiter suchen könnte – ich wüsste nicht, wofür mich mich entscheiden sollte.

Agilität und Flexibilität sind die üblichen Zauberworte. Selbst wenn ich mir heute zwei Mitarbeiter suchen könnte – ich wüsste nicht, wofür mich mich entscheiden sollte. Die Job Description wäre vermutlich so etwas wie „Universal Warrior“ (und auch der ist unlängst unter nicht ganz geklärten Umständen ums Leben gekommen): Im einen Monat wären journalistische Kompetenzen gefragt, im nächsten Filmproduktions-Skills, zugleich wahrscheinlich Programmier-Knowhow, und es sollten sich selbst antreibende Nerds sein, die gerne selbst Hand anlegen, Projektmanagement nicht nur als Schlagwort kennen, aber auch mit Kunden gut können, strategische Perspektiven verstehen, unternehmerisch denken und sich trotzdem sagen lassen, was zu tun ist.  Dabei mache ich eigentlich immer das gleiche: Medienkonzepte in unterschiedlichen Größenordnungen, Medienformaten und Zielgruppenszenarien entwickeln und umsetzen.
Ich würde jetzt glatt darüber nachdenken, ob ich zu hohe Ansprüche hätte, wenn nicht die Stellenanzeigen etablierter Unternehmen noch mehr von potentiellen Bewerbern verlangen würden; rein anhand der Jobdescription lässt sich ja heute nur noch selten sagen, ob das ein 7000- oder ein 1.500-€-Job ist, ob einer für interessierte Absolventen oder für erfahrene Spezialisten. (Randbemerkung: Besonders gern habe ich die Management- oder Leitungsjobs, von denen „als Teil unseres Teams“ Teamgeist erwartet wird.)

Nach drei bis fünf Jahren im Unternehmen gehörst du zum schwer vermittelbaren alten Eisen, egal ob du Birkenstockschlapfen trägst und mit Kollegen in der Kaffeeküche quatschst, oder ob du mit der Magnumflasche in der Hand auf der Dachterrasse feierst.

Deshalb gehe ich lieber das Risiko ein, Teams für neue Projekte immer wieder neu zusammenzustellen (zum Glück gibts ja so viele Single-Unternehmer…) und mit den Leuten zu arbeiten, die mir im Moment gerade eben am besten geeignet erscheinen. Und dabei erwarte ich mir dann auch von jedem, dass er sein eigener Experte ist, seine Autorität einsetzt und innerhalb des vorgegebenen Rahmens (Budget, Deadline, Zielsetzung) den Job als sein eigenes Projekt betrachtet.
Und manchmal ist das umgekehrt. Manchmal bin ich eben Tagelöhner, und manchmal erpresserisches Kapitalistenschwein. Relativ einfach; und ich habe keine Identitätsprobleme dabei.
Noch funktionieren Organisationen. Die wenigsten in unserer Breitengraden haben allerdings eine Größe erreicht, in der Spezialistenjobs auf Dauer interessant bleiben. Deutlich wird das in Kommunikations- oder Kreationsjobs, weniger deutlich vielleicht in Forschungs- und Entwicklungsjobs; Menschen, die sich in reinen Dienstleistungs- oder Abwicklungsjobs wohlfühlen, stellen sich diese Frage vielleicht gar nicht. Nach kurzen in Projektform organisierten Phasen der Abwechslung tritt Business as usual ein. Wer sehr formal karriereorientiert ist, tröstet sich dann mit dem Management der nächsten Abteilung, von der er fachlich keine Ahnung hat (Hauptsache, die Mitarbeiterzahl ist größer), wer sich und seinen Kenntnissen und Fähigkeiten offen gegenübersteht, stellt fest: Nach drei bis fünf Jahren im Unternehmen gehörst du zum schwer vermittelbaren alten Eisen, egal ob du Birkenstockschlapfen trägst und mit Kollegen in der Kaffeeküche quatschst, oder ob du mit der Magnumflasche in der Hand auf der Dachterrasse feierst. Ausserhalb der geschützten Werkstatt zählt dein Knowhow nichts mehr.

Wenn wir kurz die Seiten wechseln: Was heisst das für den nicht alleinstehenden Unternehmer? Erstens – deine Mitarbeiter wollen sich nichts von dir sagen lassen. Zweitens – du hast (hoffentlich) keine Ahnung, was sie genau machen und wie sie das tun, sonst bräuchtest du sie nicht. Und drittens: Auch mit Mitarbeitern solltest du keine geschlossenen Werkstätten bauen, sondern Netzwerke bilden, Perspektiven suchen und vor allem auch bieten.
Und als Mitarbeiter? Die Entscheidung für einen Job bedeutet heute vor allem auch die Auseinandersetzung mit der Frage, welches Mass an Abhängigkeit und Verantwortung jedem persönlich wichtig ist. Unternehmen treffen Entscheidungen, fordern und schlagen Wege ein – und dabei heisst es mitmachen, wenn die Voraussetzungen nicht grundlegend geschaffen sind. Deshalb ist es keine Frage eines Generationenkonflikts oder eines vagen Freiheitsdrangs, wie Arbeitsorganisationen heute aussehen sollen, es ist eine ganz nüchterne Frage des Realitätssinns.
Aus Unternehmersicht: Biete ich etwas, das Leuten auch nur irgendeinen Grund liefert, für mich zu arbeiten?
Und aus Mitarbeitersicht: Mache ich etwas, von dem ich in zwei Jahren und unter anderen Umständen auch noch leben kann?

Der Unterschied liegt nicht in der Freiheit. Sondern der Unterschied liegt, um nur einen Punkt herauszugreifen,  im Bewusstsein, Organisationskram um des eigenen Überlebens willen zu erledigen – und nicht um demjenigen, der eigentlich an meiner Arbeit verdient, das Budget für einen Teilzeit-Assistenzposten zu ersparen. Und was hat das mit Kapital zu tun? Eigentlich nichts. Es macht keinen Unterschied, wenn das eigentliche Ziel ist, die Wellen plätschern hören zu können – das geht von der Yacht aus, oder auch auf dem Ruderboot. 
Kapital wird dann ein wichtiger Unterschied wenn es nicht mehr selbst arbeitet, sondern Menschen und Ideen besser arbeiten lässt. 

Und noch ein Disclaimer: Ich weiss, die Überlegungen treffen nicht auf alle Branchen und auch nicht auf alle Menschen zu. Für manche wird es immer wichtig bleiben, in klar strukturierten Umgebungen klar strukturierte  Tasks abzuarbeiten. Dafür sind Unternehmen da, und das zu bieten ist eine der Hauptaufgaben großer Unternehmen. Was meiner Meinung nach dann auch viel über deren Zukunft voraussagt. 

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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