Die Eintagsfliege wird unser Wappentier

Die Eintagsfliege wird unser Wappentier

Das Magazin war eines der wenigen, bei dem sich auch der deutsche Artikel „die“ anstelle des viel österreichischeren „das"in Österreich durchgesetzt hat. Es war ein klarer Fall von Distinktionsgewinn, in den 90er Jahren fachkundig „die Spex“ zu sagen und nicht „das“.
Eigentlich sollte man ja nicht betroffen oder betrübt sein, wenn man ein Magazin schon lange nicht mehr abonniert hat und es dann eingestellt wird. Im Gegensatz zu diversen Eintagsfliegen gab es die Spex aber wirklich lang – und das Magazin war eines der wenigen, bei dem sich auch der deutsche Artikel „die“ anstelle des viel österreichischeren „das” in Österreich durchgesetzt hat. Es war ein klarer Fall von Distinktionsgewinn, in den 90er Jahren fachkundig „die Spex“ zu sagen und nicht „das“.
Und das Heft (um das Artikelproblem zu umschreiben) war schon in den 90er Jahren eher alt. Das liegt zum Teil an der Perspektive meine damals um 25 Jahre jüngeren Egos, aber auch am Problem, das Popjournalismus grundsätzlich hat: Popjournalisten sind anfangs jung und dumm, dann haben sie wenige beste Jahre, und dann sind sie in einem Alter, in dem man sich fragt, ob sie nicht wirklich besser jüngeren Platz machen sollten.
Die Spex-Redaktion schrieb außerdem aus einem Ethos heraus, das sich mit Mühe noch in die 80er Jahre hinüberretten ließ, aber auch in den 90ern schon eher aus historischen Gründen interessant war. Nicht aus aktuellen.
 
Es mag viele Gründe geben, warum das Ende angemessen und würdig ist. Traurig ist es vor allem deshalb, weil es zunehmend weniger Medien gibt, in denen sich kulturelle Inhalte transportieren lassen. Ich meine damit Medien, die auch eine Zielgruppe erreichen, ein gewisses Mindestmaß an Relevanz haben und auch auf Konsistenz setzen. Kraut und Rüben-Kulturseiten in Tageszeitungen sind ganz nett, sie verhelfen aber dem Neuen nicht zum Durchbruch. Zu unklar bleibt dabei, vor welchem Horizont die Kritik stattfindet, welche Sprache, welchen Bedeutungsrahmen der Kritiker bedient. Das gibt einen brauchbaren Überblick – aber damit lässt sich nichts verkaufen.
Gerade aus Produzentensicht sind Kulturmedien, mit denen sich Szenen und bestimmte Erwartungen bedienen lassen, überaus dünn gesät.
Spex weckte da durchaus immer noch ein wenig die Hoffnung, es wäre doch möglich, so einen Kanal aufrechtzuerhalten, eine gewisse Breite zu erreichen und kommerziell nicht ganz irrelevant zu sein. Im Abschiedseditorial wird jetzt nicht mal eine Onlineausgabe angekündigt.
Anscheinend muss es wohl doch noch nischenhafter, konzentrierter und temporärer angelegt sein. Die Eintagsfliege wird das neue Wappentier im Medienmarkt.
Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

Sonst noch neu

Christine Lagorio-Chafkin, We are the Nerds

Reddit ist seit dieser Woche börsenotiert. Die Reddit-Story erzählt, wie die Geschichte vieler Onlineplattformen der letzten 20 Jahre, wie Neugierde und Experimentierfreude Extremen und Radikalisierungen in alle Richtungen weichen müssen.

Ben Smith, Traffic

Die BuzzFeed-Story – eine Kulturgeschichte des Verhältnisses von Medien und Internet in den letzten zwanzig Jahren.

AI und Medien: Zurück in die Zukunft der kleinen LLMs

KI-Strategien der dritten und vierten Generation setzen zunehmend auf eigene, reduzierte und kontrollierbare Modelle. Wer auf generative Multi-Purpose-LLMs wie Chat GPT setzt, hat keine besonders ausgereifte KI-Strategie. Gerade in der Medienbranche ist das gut zu beobachten.

Meine Bücher