Die Wurstsemmel und der Superbeamte

Die Wurstsemmel und der Superbeamte

Der ehemalige Superbeamte mit der Wurstsemmel-Phobie demonstrierte mit seinem Wurstsemmel-Sager eindrucksvoll das Aufstreben der Kulturtechnik des Behauptens: Sag einfach irgendwas – es wird sie beschäftigen.

Ausweichende PolitikerInnen sind wir gewohnt: JournalistInnen stellen ihnen Fragen, oft Fragen, denen das ausdrückliche Bemühen spezifisch, konkret und informiert zu sein, unmittelbar anzumerken ist – und anstelle von Antworten folgen Exkurse über beliebige Themen.

Beamtinnen können das noch besser – schließlich sind sie die wahren Experten, KennerInnen der Materie, diejenigen, die Knöpfe und Tasten drücken. Sie wissen viel mehr, von dem sie nichts erzählen wollen, mehr noch – von dem JournalistInnen gar nicht wissen, dass sie danach fragen könnten.

Und dann saß eines Tages ein ehemaliger Superbeamter einer sogenannten Supersektion im Nachrichtenstudio und hatte keine Lust, Auskünfte zu geben. JournalistInnen und Zuseherinnen sorgte sich um Korruption, Skandale und Machenschaften politischer Eliten, die in einem laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden sollten – und der Superbeamte erzählte etwas von Wurstsemmeln.

Jemand habe, als er, der Superbeamte, befragt wurde, eine Wurstsemmel gegessen.  Das sei, so die Botschaft, ein klares Zeichen dafür, dass die Befragenden schlecht vorbereitet, nicht an echter Aufklärung interessiert sowie respektlos und voreingenommen seien.

Das ist Kunst. Das ist große Kunst.

Der Unwille, sich mit Antworten, Argumenten und anderen Lästigkeiten zivilisierter Unterhaltung aufzuhalten, entlädt sich in einem Scheinargument als Gipfel des Absurden: „Jemand hat eine Wurstsemmel gegessen.“

Wo Wurstsemmeln gegessen werden, wird nicht gearbeitet, dort sind Menschen nicht bei der Sache. Vielleicht fühlt man sich dort auch zu wohl oder ist sich seiner Sache zu sicher. Oder man ist unter Freunden, jedenfalls schon après, und man rechnet nicht damit, in nächster Zeit in relevanter Form aktiv werden zu müssen.

All das mag im Bild einer Wurstsemmel, in der Tätigkeit des Wurstsemmelessens mitvermittelt werden. Aber es ist vollkommen irrelevant.

Deshalb ist es ja große Kunst: Der Superbeamte behauptet irgendetwas, stellt irgendein Ding in den Raum, etwas völlig Zusammenhangloses, nachdem niemand gefragt hat. Und alle anderen sind beschäftigt. Medien greifen den Sager auf, andere JournalistInnen fragen am nächsten Tag noch mal nach. Das eigentliche Thema gerät in Vergessenheit. Es rückt noch einen Schritt weiter zurück, es muss noch eine Hürde mehr überwunden werden, bevor wir wieder darüber reden können.

Der Superbeamte demonstriert hier besonders schön die aufstrebende Kulturtechnik des Behauptens. Wir verzichten auf Argumente, Logik, Verantwortung. Wir befreien uns von unangenehmen Zusammenhängen, die an uns lasten und uns vielleicht noch Verpflichtungen auferlegen, in diesem Fall die, Antworten zu geben.

Stattdessen behaupten wir einfach irgendetwas. Das schwebt dann unmittelbar und voraussetzungslos im Raum.

Das ist ungemein befreiend – und macht auch insofern frei, als es die anderen beschäftigt. Wer behauptet, hat den anderen eine Hürde in den Weg gestellt. Während die noch rätseln, wo diese jetzt herkommt, was sie genau soll und die man sie überwinden kann, können sich die fröhlich Behauptenden indessen ungehindert neuen Feldern widmen. Und man schaut auf sie, etwas verwundert, aber ihre Behauptung hat unsere Aufmerksamkeit.

Das ist heute Macht, das ist Kapital. Beneidenswert. 

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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