Corona, die Kultur und die Kleinunternehmen: zurück in die Ungewissheit

Corona, die Kultur und die Kleinunternehmen: zurück in die Ungewissheit

Für ein paar Wochen durfte man als Unternehmer glauben, man könnte wieder vorsichtig planen. War wohl ein Irrtum.

Zugegeben, es war ein etwas seltsames Gefühl: Mehrere tausend Menschen in einer großen Halle, die Maskendisziplin war in den ersten Stunden noch sehr hoch, im Verlauf des Wochenendes wurden die Masken dann weniger, und Menschen, die anfangs noch streng hinter Plexiglasbarrieren standen, unterhielten sich später an diesen Wänden vorbei miteinander.

Vergangenes Wochenende ging die Austria Comic Con über die Bühne – die erste Veranstaltung dieser Art 2020 in Österreich, alle anderen Events sind bislang dem Virus zum Opfer gefallen.  Und mit neuen Ampelspielen sieht es danach aus, als wäre es vielleicht auch schon wieder das letzte große Event gewesen.

Das ist ein Problem.

Wir haben jetzt ein halbes Jahr mit Corona hinter uns. Die im März angekündigten Hilfen waren ursprünglich mit Juni befristet. Dann wurden sie schrittweise verlängert. Ich habe im März schon geschrieben, dass viele die Krise erst im Herbst so richtig zu spüren bekommen werden. Dann, wenn klar ist, dass nichts mehr wie selbstverständlich funktioniert.

Wer als Unternehmer alle Härtefallunterstützungen bisher in Anspruch genommen hat, hat jetzt alles ausgeschöpft. Die Zahl der möglichen Anträge wurde von 3 auf 6 erhöht, der Zeitraum von Juni bis Ende des Jahres ausgeweitet, die ursprünglich ausgezahlten Minibeträge durch Untergrenzen erhöht und der Großteil der Zahlungen kam auch einigermaßen zeitnah an. 
Das hätte Unternehmern helfen können, eine harte Zeit zu überstehen. Nach Lockerungen im Juni schien es auch so, als könnte man für die folgenden Monate wieder planen. Das steht jetzt auf dem Spiel. 

Als Comic-Verleger müsste ich jetzt Produktionen für 2021 planen. Dafür sind Einnahmen aus Veranstaltungen wie der Comic Con vom letzten Wochenende eine wichtige Grundlage: Sie liefern das Budget, sie liefern auch Hinweise darauf, wofür sich LeserInnen interessieren und was zur Zeit nicht so gut läuft, und sie sind wichtige Gelegenheiten, neue Produktionen anzukündigen oder vielleicht gar schon den Vorverkauf zu starten. Bemerkung nebenbei: Viele Veranstaltungen – von der Buchmesse Leipzig über den Comicsalon Erlagen bis zu Manga Convention – sind heuer auf digitale Formate ausgewichen. Auch die Frankfurter Buchmesse kündigt das bereits an. Das klingt gut, bringt aber überhaupt nichts. Kulturell gesehen ist das ehrenwert, kommerziell ist das verschwendete Zeit. 

Risiko ist damit immer verbunden, das ist ganz normal. Wenn die Rahmenbedingungen einigermaßen absehbar sind, kann man sich auch auf alles mögliche einstellen. Um ganz konkret bei den eigenen Produktionen zu bleiben: Für heuer haben wir geplante Produktionen reduziert, Kosten gesenkt, neue Produktionen, die zur Zeit passen, herausgebracht, und sind damit ganz gut über die Runden gekommen. Da geht natürlich ganz großer Dank an alle Leserinnen und Leser, die ihre Sammlungen vervollständigt, neue Sondereditionen gekauft oder unsere Hefte weitergeschenkt haben – das ist toll! 
Jetzt kehrt aber die große Unsicherheit zurück. Wir müssten so tun, als könnten wir planen, organisieren, Budgets verteilen – dabei haben wir keine Ahnung, wofür wir planen sollen.

Als Unternehmen, das zu verteilende Budgets erst mal verdienen muss, ist das doppelt blöd: Nichts tun ist die sicherste Option, um Verluste zu vermeiden, bringt aber auch sicher keine Einnahmen. Und Investitionen lassen sich nicht immer so leicht stoppen; sie fressen das Geld, mit dem man über die nächste Durststrecke hätte kommen können.  Es ist ja jetzt wirklich egal, ob es in den nächsten Monaten ein par Comichefte mehr oder weniger gibt, könnte man einwenden. Aber ist es auch egal, ob zwanzig oder dreißig KünstlerInnen weniger Einnahmen haben, weniger ausgeben können – und so weiter? 

Die erste Durststrecke ist vorbei und überstanden, die Notreserven sind angegriffen. Jetzt rächt sich, dass sämtliche Unterstützungsprogramme für KleinunternehmerInnen und EPUs eher als Almosen konzipiert waren und nicht darauf abzielten, die Unternehmen zu erhalten oder gar zu stärken.  Taschengeld hat verlorene Gewinne ersetzt. Produktion, Innovation sind auf der Strecke geblieben. Besonders kritisch ist es wohl auf für jede, die sich auf Kredite eingelassen haben: Die Hoffnung, damit eine Lücke überbrücken zu können, weicht jetzt dem Entsetzen, dass diese Lücke wachsen wird. Wer einen Kredit für sein Unternehmen brauchte, wird auch in nächster Zeit keine Einnahmen haben, mit denen sich ein Kredit zurückzahlen ließe.

Die Unzulänglichkeit der Hilfsmaßnahmen hat auch zu absurden Konstruktionen geführt. Jetzt können beispielsweise Einnahmen-Ausgabe-Rechner für die Beantragung des Fixkostenzuschusses ihre Einnahmen so aufteilen wie Bilanzieren. Es zählt also nicht mehr der Eingang von Rechnungen, sondern der Leistungszeitraum. Das ist für alle Einnahmen-Ausgaben-Rechner erst mal mühsamer Zusatzaufwand – aber ich sehe das als Hinweis darauf, wie wir in Zukunft mit kleineren Unternehmen umgehen können: 

Auch Kleine brauchen Möglichkeiten Rücklagen zu bilden. Sie können keine nicht entnommenen Gewinne liegen lassen, müssen alles sofort versteuern – und sind dabei noch von der Zahlungsmoral ihrer Kundinnen und Kunden abhängig. Es muss auch für kleine Unternehmen Möglichkeiten geben, die eigenen Finanzen besser zu planen – ohne sofort mit Bilanzierungspflichten erschlagen zu werden. Die Bildung von Rücklagen für Entwicklungs-, Forschungs- oder Weiterbildungszwecke, oder schlicht zum Überdauern von Durststrecken, die dann versteuert werden, wenn sie aufgelöst werden, wäre ein erster Schritt. Schließlich gibt es für Kleinunternehmen auch keine Möglichkeiten der unterstützten oder steuerlich begünstigten Weiterbildung. Sie können Bildungskosten zwar steuerlich absetzen – dazu müssten sie aber in der Zeit, in der sie sich bilden, Einnahmen haben, von denen sie diese Ausgaben absetzen können. 

Ein anderer Grund, warum die aktuelle Situation absurd ist: Steuern fallen sofort an, Abrechnungen der Sozialversicherung erstrecken sich aber über drei Jahre. Warum wird von kleinen Unternehmen verlangt, alles innerhalb eines Jahres abzurechnen, während sich der riesige Sozialversicherungsapparat drei Jahre Zeit lässt, um seine Zahlen in Ordnung zu bringen? Abrechnungen müssen schneller erfolgen – spätestens zugleich mit dem Steuerbescheid. Meinetwegen sollen der Einfachheit halber dafür auch die Fristen für Steuererklärungen verkürzt werden – es nützt ohnehin niemandem, das endlos hinauszuzögern. Die Rechnung kommt sowieso – dann umso größer. 

Ein dritter wichtiger Punkt ist der, der den Fehlkonstruktionen der Corona-Hilfsmaßnahmen überhaupt zugrunde liegt, nämlich das Unwissen darüber, was EPUs sind und wie sie funktionieren. Das zieht sich durch praktisch alle öffentlichen Prozesse – von Formularen, in denen zwischen „Privatperson“ und „juristischer Person“ unterschieden wird, über Förderungen, in deren Anträgen nur zwischen GmbH und AG als Rechtsform gewählt werden kann, obwohl sie sich an Kleinunternehmen richten, bis hin zu Ausschreibungen, in denen auch für kleinste Projekte organisatorischer Personaloverhead verlangt wird, der nichts mit der geforderten Leistung zu tun hat. 

Da gibt es noch viel zu tun. Und viel Zeit, in der man schon weiß, dass business as usual unangebracht ist, ist bereits verloren gegangen.

 
Die Convention letzte Wochenende war im übrigen ein Erfolg. Und die Stopp Corona-App auf meine Handy hat während des ganzen Wochenendes keinen einzigen Kontakt registriert. So viel zum wirkungsvollen Containment. 

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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