Künstliche Intelligenz ist wohl wirklich der falsche Begriff. Gerade in Diskussionen über KI und Journalisnus merkt man oft: Menschen stellen sich vor, KI würde auf magische Weise ausrücken, um als Lokaljournalist über den Brand im Nachbardorf zu berichten oder zum Telefon greifen, um einem Staatsanwalt Geheimnisse zur Existenz eines bislang unbekannten Akts zu entlocken.
Es kann sein, dass in vielen Medoen beides auch von menschlichen Journalisten nicht mehr gemacht wird – aber das ist ein anderes Problem.
Dass KI schreiben kann, ist im Wesentlichen irrelevant. Es ist ein netter Zug, der weit mehr Menschen ermöglicht, mit KI zu interagiern, als wenn man strukturierte Abfragen stellen oder gar programmieren müsste. Aber es erzeugt falsche Vorstellungen von einer aktiven, von sich aus tätigen KI. Und es erzeugt falsche Prioritäten. Gerade für die Medienbranche: Hier arbeiten Menschen, denen es leicht fällt, zu schreiben. Es ist ziemlich sinnlos, ihnen diesen Task abnehmen zu wollen und würde Effizienzsteigerungen unter der Wahrnehmungsgrenze bringen. Natürlich gibt es auch schlechte und untalentierte Schreiber. Das ist aber ein Problem, das man auf anderer Ebene lösen muss – und untalentierte Schreiber hötten auch Probleme, sich einer KI verstöndlich zu machen. Und automatisiert erstellte strukturierte Texte etwa in der Wahl- oder Fussbalberichterstattung bestätigen diese Regel.
Vernachlässigbar ist die Sache trotzdem nicht. In vielen Funktionen, die Medien selbstverständlich nützen, steckt KI.
- Empfehlungen, Personalisierung, „Lesen Sie auch“ – hier versorgt Sie der Bot. Kategorisierung, Tagging, semantische Rechtschreibprüfung – im Idealfalll sind das lernende Systeme.
- Synthetische Stimmen lesen Texte vor, mitlesende Bots geben Redakteuren Tipps, während diese schreiben.
- Textanalysetools kategorisieren Dokumente nach Personen, Organisationen und Themen und bieten kontextorientierte Suchen, mit denen tausende Seiten Material schnell durchsucht und nach Zusammenhängen abgeklopft werden können.
Marketingetriebene Reichweitenportale ohne redaktionellen Ehrgeiz multiplizieren mit tatsächlich künstlich erstellten Texten an der Spam-Grenze ihren inhaltlich mageren Output. Dadurch entstehen bislang kaum erfolgreiche Anwendungen – aber sie tragen dennoch dazu bei, den Ruf anderer journalistischer Produkte weiter zu verschlechtern.
Zahlreichen aktuell in Verlagen hausierenden KI-Predigern ist das zu wenig. Sie zitieren KI-Apps, ziehen Analogien zu Social Networks und anderen Plattformen, die User mit Empfehlungsloops tief in Kaninchenhöhlen ziehen und bedauern, dass Nachrichtenmedien das nicht auch machen.
Das ist – neben den Erwartungen an das Schreibtalent von KI – das zweite große Missverständnis. Verlage und Redaktion überlassen das Ausspielen von Inhalten nicht einer KI, weil es zum Selbstverständnis redaktioneller Arbeit gehört, Inhalte selbst zu steuern, Themen zu setzen und Schwerpunkte bilden – das ist der Kern journalistischer Arbeit.
Personalisierung gehört zu den häufigsten Userwünschen – die umgehend wieder relativiert werden. Man möchte maßgeschneiderte Information, aber man möchte nicht immer das gleiche lesen, auf Neues aufmerksam gemacht werden und nicht immer im eigenen Saft kochen.
Und schließlich sind die Mengengerüste völlig verschieden. Social Networks schöpfen aus Millionen täglich neuen Contentelementen. User haben oft 1000 oder mehr Kontakte. – Eine große Nachrichtenseite veröffentlicht vielleicht 300 Meldungen am Tag und hat 50 Redakteure. 300 Posts am Tag – auf Twitter schaffen das einzelne User täglich allein.
Dennoch überrascht die Hartnäckigkeit, mit der Verlage immer wieder neue Anläufe nehmen – und wie auch große, verzweigte Verlage, die aus den Inhalten vieler Regionalmedien schöpfen können, daran scheitern.
Zuletzt gilt, was immer wieder festgestellt werden muss: Datengetriebene Innovation in Medien (und dazu gehört auch KI) findet im Kleinen statt. Es sind ein paar Prozent mehr Traffic hier, ein paar Sekunden mehr Verweildauer dort, die in Summe den Unterschied ausmachen – in Form von langfristigen Trends. Die plötzlichen Sprünge und die hohen Ausschlöge nach oben sind praktisch nie auf digitale Innovation zurückzuführen. Die deutlichen Unterschiede und die großen Sprünge sind immer noch einfach auf die bessere Geschichte zurückzuführen.