Ukraine 22: Ukrainian Writers Respond to War

Ukraine 22: Ukrainian Writers Respond to War

Ukrainische AutorInnen notieren Gedanken über den Krieg. Man muss seine Zeit nützen, bevor man möglicherweise schneller als gedacht selbst in Trümmern sitzt.

Die Sammlung von Essays ukrainischer AutorInnen erscheint gerade rechtzeitig; der eine Krieg droht hinter dem anderen in Vergessenheit zu geraten. Und viele Details habe zumindest ich schon vergessen – die Zuversicht, dass das schon nicht passieren wird, das Erschrecken, dass Russland wieder mit aller Macht Krieg führt, das Erstaunen, dass sich Russland nicht mal die Mühe macht, seinen Terror zu tarnen.

Das sind vermutlich Reaktionen, über die die ukrainischen AutorInnen ihrerseits nur staunen können. Viele Essays beschreiben eine lange Geschichte des Konflikts mit Russland, russiche Bestrebungen, Ukrainisches zu ignorieren und auszulöschen, russiche Angriffskriege gegen ehemalige Sowjetrepubliken. Aus Sicht der Ukraine wirkt es manchmal, als führte Europa einen bloß halbherzigen und ohnehin aussichtslosen Abwehrkampf dagegen, in absehbarer Zeit ein unwichtiges Anhängsel eines putin-dominierten Eurasien zu werden.

Fast vergessen ist auch schon, mit welcher Gewalt der Krieg mit Raketen und Bomben über Städte hereinbrach, fast vergessen die Angriffe auf flüchtende Familien. 

Die Annexion der Krim und die Kämpfe im Donetzk-Gebiet haben wir viel zu wenig beachtet – in der Ukraine haben sie die Politik der letzten Jahre bestimmt. Ich bin mit der Idee aufgewachsen, Russlannd wäre nicht mehr so. So wie in den Erzählungen meiner Großeltern. Jener Großeltern, die aus dem damaligen Ostpreußen, heute Polen geflohen sind, und zum Ende ihres Lebens noch mit Begeisterung Glasnost und Perestroika verfolgt haben. Es gab keine Panzer in europäischen Städten mehr, keine Mauertoten. 

War das reale und begründete Hoffnung, oder das ein Mosaiksteinchen mehr in einem europäischen Stimmungsbild, das ukrainische AutorInnen jetzt als nützliche Kreml-Idiotie in Westeuropa bezeichnen?

Kann man Kultur von Krieg trennen? Auch das ist eine Frage, der UkrainerInnen heute eher verständnislos gegenüberstehen. Russischer Angriffskrieg bringt Bilder des Bösen in die Welt, Zuspitzungen und Feindbilder wie im Blutrausch, der zwischen den Zeilen von Karl Kraus‘ Letzten Tagen der Menschheit steckt. Früher wollte jedes Land in seinem Größenwahn die Welt zerstören, heißt es in einem der Essays. Heute will das nur noch Russland. Und die Frage, ob man Krieg von Kultur trennen könne, ob es nur Putins, nicht aber Puschkins Krieg sei, sei gleichbedeutend mit der Frage, ob es nur Hitler gewesen sei – und alle anderen Deutschen unschuldig.

Die Essays sind chronologisch angeordnet. In den ersten Wochen dreht sich vieles um Bestürzung, Flucht, die Frage, welchen Widerstand man leisten kann und soll, wie man unter Raketenbeschuss und Fliegeralarm mit Kindern lebt. Dann wird die Gewalt mehr und mehr Teil des Alltags. Wichtiger werden politische Positionen, die Erinnerung an Ursachen es Krieges, an Verlorenes, aber vor allem an das, was es zu verteidigen gilt.

Wichtige Essenz für uns, die sich diese Fragen noch nicht in dieser Dringlichkeit stellen müssen: Nichts aufschieben, Zeit nützen, keine Ausreden gelten lassen und klare Prioritäten haben. Du muss heute tun, was dir wichtig ist und was dir Freude bereitet, auch wenn du glaubst, dass es auch kommende Woche genauso gut geht. Du kannst morgen zwischen Trümmern sitzen.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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