Man wird bescheiden. Bald wird es als relevante Leisting künstlicher Inzelligenz gelten, Dinge oder Ereignisse mittels der ausgefeilten Technik der Stricherlliste abzuzählen. Das ist nur konsequent. Der Taschenrechner galt schließlich auch mal als Verblödungsinstrument. Und fragt man erstsemestrige Informatikerinnen nach Beispielen für Algorithmen, dann nennen sie Dijkstra und andere komplexe Lehrbuchbeispiele. Dass Grundrechenarten auch Algorithmen sind, gerät dabei in Vergessenheit.
Künstliche Intelligenz ist heute ein dermaßen omnipräsenter Begriff, dass seine überdehnte Leere mit hohen Erwartungen gefüllt werden muss. Deshalb gilt Enthusiasten alles, was mit KI zu tun haben könnte, als großartig – auch wenn es simples Zählen ist.
Wenn KI-Prediger auf Bühnen stehen und um Beispiele für die Relevanz der Technologie (und damit auch ihrer selbst) ringen, fallen ihnen Empfehlungsservices ein, manche reden gar nur von Analysen und Statistiken. Andere reden von Engaging Content oder gar von tausenden automatisiert erstellten Contenpieces zu stündlich aktualisierten Wahlergebnissen auf Gemeindeebene. Dahinter sind von technisch herausfordernde Lösungen, ob es Medien nützlich sein wird, ist damit noch nicht gesagt. Tausend Texte über ein Wahlergebnis, das nur ein mal zählt, machen User nicht klüger. Vielleicht bringen sie ein paar Zugriffe mehr – aber nicht unbedingt zufriedene UserInnen.
Empfehlungen, Personalisierung, Benachrichtigungen, Interessen statt Ressorts – das sind Versuche, die uns schon recht lang begleiten.
Chief Digitalisation Officers reden jetzt von neuen Aufgabengebieten für Medien. Das Erstellen von Inhalten gerate in den Hintergrund, Plattform-Management und Packaging seien die neuen Hyperskills.
Da muss ich mittlerweile gut 20 Jahre zurückdenken. jet2web.net war das Portal einer Zeit, in der Telekomunternehmen meinten, jetzt die echten und besseren Medienunternehmen zu sein. Ich war sogenannter Channel Manager und damit beschäftigt, Inhalte für verschiedene Themenkanäle (damals das Äquivalent zu Zeitungsressorts) zusammenzustellen. Wir schreiben die frühen 2000er, mitten in den Nachwehen des ersten Dotcom-Crashes. Als Telekom-Unternehmen hatten wir die finanzielle Ausdauer, die Macht darüber, welche Startseiten in den Browsern der Internet-Kunden eingestellt waren (und auch die Macht, ihnen nicht zu verraten, wie sie das ändern konnten), wir hatten die technischen Mittel, eine der ersten Webseiten mit Videos (lang vor Youtube) ins Internet zu stellen (und die Möglichkeit, Kunden den dafür notwendigen Breitband-Zugang günstiger zu verkaufen) und wir hatten einen etwas absurden Plan, das beste Nachrichtenportal für Österreich, Bayern und Südtirol aufzubauen und später auch englische Mutationen nachzuliefern.
Was wir nicht hatten, war journalistisches Knowhow. Zumindest nicht im nötigen Ausmaß. Ich kam von einem Magazin und konnte Geschichten machen, aber damals nur wenig Blattmachen. Neben mir gab es noch einen Kollegen, der den alternden Kriegsreporter mimte. Wir wurden aber nie ganz schlau daraus, wo er denn jetzt tatsächlich geschrieben hatte. (Wir hatten übrigens, kurzer Exkurs, auch kein technisches Knowhow. Niemand kümmerte sich um die eigens eingeflogenen indischen Programmierer. Das wurde dann, ein paar Monate später, der Beginn meiner zweiten Laufbahn in der IT.)
Umso erstaunlicher war es, dass unsere Chefs für die ganz große Medienzukunft planten. Wir wären jetzt am Drücker, denn wir wären die Mittler zwischen Medien und Publikum, diejenigen, an denen Onlinezeitungen, wenn sie erfolgreich sein wollten, nicht vorbei kämen. Deshalb kauften sie für monatliche Unsummen Inhalte von Zeitungen, die mit diesen Einnahmen ihre eigenen Redaktionen und Plattformen ausbauten. Aber wir würden Pakete schnüren, Bundles packagen und mit Digital-Knowhow allen auf dem Markt davonstürmen.
Es war eine Zeit des seligen Geld-Ausgebens.
Und natürlich floppte der Plan ganz gewaltig.
In einer gewagten Vision hatten wir alles – den Draht zu den UserInnen, Daten, die Möglichkeit, Userströme zu kontrollieren und auch das notwendige Kleingeld.
Aber es fehlte das simpelste Handwerkszeug. Mit nach geschäftlichen Kriterien zusammengekauften Inhalten kann ein Team von Channel Managern mit gerade mal Spurenelementen von redaktionellem Knowhow kein journalistisches Produkt gestalten. Die effizienteste Personalisierung führt zu Langeweile und Redundanz (und war damals noch ein technisch herausforderndes Performance-Thema). Und jede Form von Statistik, Inferenz und datengetriebener Zukunftsplanung setzt voraus, dass die Welt morgen den gleichen Regeln gehorcht und die gleichen Interessen verfolgt wie in der Vergangenheit. Das gilt aber nicht, schon gar nicht in abwechslungs- und temporeichen Zeiten.
Ähnlich geht es mir, wenn nach Visionen ringende BeraterInnen Journalismus und KI anpreisen, Effizienzsteigerungen versprechen und betonen, dass KI natürlich nicht JournalistInnen ersetzen werde. Trotzdem werde KI die Branche revolutionieren, mit Ideen von vorgestern (wie Personalisierung und Empfehlung) oder gestern (wie automatisierter Texterzeugung und Predictive Analytics). Wired hat eine sehr schlaue Einschätzung zu Sinn und Unsinn von KI im Medienbusiness zusammengestellt, der ich mich großteils anschließe. KI kann Redaktionen bei einer Reihe von Schimpansen-Tasks unterstützen, aber sie gestaltet kein Produkt. So wie KI-Tools in der Kunst auf der Arbeit von Künstlern aufbaut, generiert auch journalistische KI ihre Ideen anhand von dem, was JournalistInnen bisher gemacht haben. Vielleicht ist das eine sinnvolle Erweiterung der Redaktionskonferenz, die aus einer zeitlich und räumlich praktisch unbegrenzten Fülle schöpfen kann, schnell kombiniert und priorisiert. Aber danach geht es der KI-gestützten Redaktion wie uns zu jet2web-Zeiten: Ohne Knowhow, Erfahrung und die Lust daran, Geschichten zu machen, wird das nichts.