Polarisierung: Zwischen lonesome Leistungscowboys und revolutionären Subjekten

Polarisierung: Zwischen lonesome Leistungscowboys und revolutionären Subjekten

Wie sich Politik mit dem eigenen Wunsch nach laufender Zuspitzung immer weiter von Menschen entfernt.

Triggerpunkte – das klingt nach Ärger, Shitstorms und klaren Verhältnissen. Mit eindeutigen Spaltungsdiagnosen und Landkarten quer durch die Gesellschaft verlaufender Gräben können Steffen Mau, Thomas Laux und Linus Westheueser in ihrem aktuellen künftigen Soziologie-Klassiker allerdings nicht dienen. Im Gegenteil: Der gesellschaftliche Konsens ist breit. Allerdings gibt es an den Rändern tiefe Gräben – und diese sind nicht auf Klassenspezifika oder andere soziale, strukturelle oder ökonomische Gegebenheiten zurückzuführen, sondern auf politische Agitation.

Das ist eine schlechte Nachricht. 

Denn im Gegensatz zu stabilen Klassenverhältnissen sind Ergebnisse politischer Agitation dynamisch. Was heute noch ein auffälliges Randphänomen ist, kann morgen schon näher beim Konsens sein. Gewiefte Agitatoren wie Altkanzler Kurz haben darin denn auch klare Qualitätskriterien ihrer Arbeit gesehen: „Früher hat man gesagt, das ist rechtsextrem, heute wollen das alle.“ 

Politik erzeugt Spaltung (ebenso wie Religion, mit der Politik gemacht wird, und andere politisch instrumentalisierte Ideologien). Protagonisten sind sogenannte Polarisierungsunternehmer, die sich ihrerseits auch noch mal in Polarisierungsgewinner und Polarsierungsverlierer unterteilen lassen. Manche politischen Strömungen gewinnen mit ihrer Agitation, andere beschädigen sich selbst. Das zeigt die Analyse von Spaltungslinien in Wählergruppen, auf die Mau und Kollegen umgestiegen sind, nachdem die Analyse von Klassen wenig ergiebig war.

Grundsätzlich gilt auch im politischen Umfeld: Der allgemeine Konsens ist breit. Parteien beziehen immer etwas zugespitztere Positionen als ihre Wähler, um sich zu unterscheiden. In den meisten Themen liegen auch Parteien innerhalb eines recht dichten Konsensspektrums, manche allerdings scheren aus. Und dabei zeigt sich: Manche haben Erfolg mit ihren Extrempositionen, andere stoßen auf ungläubige Verwunderung. 

Letzteres trifft – die Analyse wurde für Deutschland durchgeführt – vor allem auf die FDP zu: Politstrategen entwickeln marktradikale Freiheitspositionen für die Chimäre eines lonesome Leistungscowboys, aber völlig an realen Menschen vorbei. Während FDP-Programme sozialen Ausgleich weitgehend ablehnen und auch gegen klimawandelbedingten Verzicht eintreten (Innovation und Technologie sollen es lösen), ziehen ihre Wähler da nicht mit. Sie sind bereit, Klimamaßnahmen mitzutragen und sie begrüßen sozialen Ausgleich in Maßen. 

Ähnlich ergeht es Sozialdemokraten: Das revolutionäre Subjekt ist immer eine Chimäre, die willigen Träger des Klassenkampfs sind offenbar noch nicht geboren. 

Allerdings programmiert sich die FDP noch hartnäckiger und deutlicher an den Grundsätzen ihrer eigenen Wählerschaft vorbei und verlässt dabei auch über weite Strecken sozialen Konsens.

Ganz anders sieht es bei den Positionen der AfD aus: Diese verlassen den gesellschaftlichen Konsens – und ihre WählerInnen folgen ihnen dabei weitgehend. Während die AfD klar zu den erfolgreichen Polarisierungsunternehmern zählt, ist die FDP eindeutiger Polarisierungsverlierer. Das ist allerdings nicht auf gern erzählte Heldensagen von differenzierten sachlichen Positionen, die im populistischen Geschrei anderer untergehen, zurückzuführen. Es sind hausgemachte strategische Fehlentscheidungen, die es eher abstrakten Lehrbuchwelten recht zu machen versuchen als an Wünsche, Ziele und Träume von Menschen anzudocken. Man versucht zu polarisieren – aber es interessiert halt niemanden. Allenfalls ein paar Zaungäste, die diese hölzernen holprigen Kopfgeburten mitleidig belächeln.

In Österreich sind die Verhältnisse vermutlich ähnlich. Liberale Leistungsträger ohne sozialen Sinn sind eine Chimäre manch ewiger BWL-Studenten und ein Feindbild linker Phrasendrescher, aber eine verschwindend kleine reale Kategorie. Revolutionäre Subjekte, die für Erbschafts- und Vermögenssteuern auf die Barrikaden steigen, Umverteilungsplänen zustimmen und willig auch ihre eigenen Taschen leeren, sind in der Praxis ebenfalls deutlich seltener anzutreffen als auf Twitter, beim Handeln seltener als beim Fordern.

Erfolgreiche Polarisierungsunternehmer sehen anders aus. Auch die Polarisierungsverlierer kennen sie und können ihnen zusehen. Und sie sollten in den vergangenen mittlerweile mehr als 40 Jahren gelernt haben, dass sie nicht mit ihren eigenen Waffen zu schlagen sind. Gegen Polarisierer verliert man nicht, weil diese lauter sind. Man verliert, weil man sich von den eigenen Anhängern entfernt, für die man vorgeblich Politik macht. „Triggerpunkte“ liefert jetzt auch Zahlen dafür. 

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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