Sesselrücken in der herrschenden Klasse

Sesselrücken in der herrschenden Klasse

Ok, die Geschichte ist ja schon wieder ein paar Tage alt und für die Mainstream-Medien offenbar gegessen. Ich finde es trotzdem spannend, wie leger sich unterschiedliche Wahlrechtsformen kombinieren lassen und wie sich Parlamentsklubs zumindest im Transferverhalten der Leichtfüßigkeit von Fussballklubs annähern.
Die ÖVP hat sich also um zusätzliche Po-Grapsch-Kompetenz aus dem Team Stronach in den eigenen Reihen verstärkt. Geschmackssache.
Nachdem ich weder ÖVP noch Team Stronach wähle, kann mir das grundsätzlich egal sein – einer von vielen Abgeordneten, von dem ich mich nicht vertreten fühle, vertritt jetzt eben etwas anderes, von dem ich mich auch nicht vertreten fühle. Spannender ist die Frage, was ÖVP WählerInnen davon halten: Sie haben eine Liste gewählt und damit auch ausdrücklich eine andere Liste und die darin vertretenen Personen nicht gewählt. Und jetzt sollen sie sich trotzdem von jemandem, den sie nicht gewählt haben und der sich gegen die von ihnen gewählten Inhalte gestellt hat, vertreten fühlen?

Das ist der Moment, in dem repräsentative Demokratie etwas von der Idee der herrschenden Klasse bekommt. Die herrschende Klasse sitzt eben im Parlament und macht dort etwas. Was genau, ist offenbar nicht so wichtig. Es ist auch nicht so wichtig, wie du in die herrschende Klasse gekommen bist, sobald du einmal drin bist. Der Nationalrat wird aber nun einmal primär über ein Listenwahlrecht gewählt. Elemente des Persönlichkeitswahlrechts spielen eine ziemlich kleine Rolle.
Natürlich soll jeder jederzeit seinen Job hinschmeißen können. In allen anderen Jobs ist es aber ziemlich unüblich, zu sagen „Ich mach jetzt was anderes“ und gleichzeitig ein Fortlaufen der Bezahlung zu erwarten.
Herrenlose Abgeordnete dagegen spielen „Wer will mich?“, präsentieren sich als stubenrein (was gerade in der Situation des Parteiaustrittes ein wenig unglaubwürdig ist) und haben gute Chancen, ein neues kuscheliges Zuhause zu finden.
Ich hätte da mehrere Vorschläge:

  • Ungefragt bleiben kann, wer einen Vorzugsstimmenwahlkampf geführt hat und ausreichend persönliche Stimmen bekommen hat – ein passender Schlüssel wird sich dafür schon finden lassen.
  • Listenmitläufer, die als Stimmvieh ihren Stall wechseln möchten, sollten sich Mini-Neuwahlen stellen müssen. Die einfache Frage: Will dich irgendwer im Parlament? Oder streichen wir dich einfach aus der Mannschaft und berechnen die Mandatsverteilung neu?
  • Und zuletzt gäbe es dann immer noch die Alternative für herrenlose Abgeordnete, auf die Auferstehung von Edith Klinger und ein Retro-Revival von „Wer will mich?” zu warten.

 

(Foto: unter Verwendung von Material cc E J Ringhoffer)
Michael Hafner

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Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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