Es ist nur eine Facette der beliebten unternehmerischen Schizophrenie: Öffentliche Ausschreibungen ergehen sich in Formvorlagen und Auflagen, die Einpersonenunternehmen praktisch ausschließen. Und dann kommt der Kanzler und sagt, EPUs wären cool.
Die Frage stellt sich jedes Jahr. Pünktlich gegen Mitte Jänner, wenn mal klar ist, dass dieses Jahr jetzt tatsächlich begonnen hat, wenn ich mir einen Überblick über zu erwartende Steuer- und Versicherungsnachzahlungen verschafft habe und wenn eben auch so richtig klar wird, dass auch dieses Jahr wieder viele neue Kunden und Projekte braucht.
Die Liquiditätsplanung für die nächsten zwölf Monate zeigt ein großes Loch. Die Ausgaben für das kommende Jahr stehen fest, die Einnahmen entwickeln sich wie immer erst im Lauf der Zeit.
Last Exit Vergabeplattform?
Heuer war das Loch vielleicht ein bisschen größer als sonst. Ich war fast zwei Monate lang unterwegs, hab erst mal das Büro für zwei Wochen nach Buenos Aires verlegt, war dann ein paar Wochen weiter in Südamerika unterwegs und nach ein paar Tagen Zwischenstopp in Wien noch mal knapp drei Wochen in Uganda. Remote arbeiten klappt gut – wenn klar ist, was zu tun ist. Neue Projekte dagegen planen sich via Skype und Mail nicht ganz so gut. Deshalb war dann auch mal Ebbe in der Firma.
Nicht bedrohlich, aber bedrohlich genug, um mal andere Wege zu gehen. Nach ein paar Tagen Recherche in diversen Vergabeportalen habe ich mich entschlossen, in einen Auftrag.at-Account zu investieren. Auf dieser Plattform der Wiener Zeitung finden sich praktisch alle öffentlichen Ausschreibungen.
Dass die Ausschreibungsunterlagen zwanzig bis vierzig Seiten mit Formalitäten füllen, bevor sie zur Sache kommen, war mir schon klar, dass der Aufwand eher selten Früchte tragen wird, ebenso. Die Nutzbarkeit der Plattformen und die Verständlichkeit der Ausschreibungsunterlagen lasse ich hier auch mal außen vor.
Es hat mich auch gar nicht so sehr verwundert, dass in aller Regel die Nachweise der „technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ großteils absurde Overhead-Kosten verlangen: Für Projekte, die gerade mal eineinhalb Leute beschäftigen würden, werden fünf Mitarbeiter verlangt (die dann aber auch gar nicht im Projekt mitarbeiten müssen), für Kreativ-Projekte, die erst mal mit einem Analyse- und Beratungsteil beginnen sollten, werden Kostenpläne für die komplette Umsetzung über zwei Jahre hinweg verlangt (oder gleich vorgegeben) und für die Vergabe von 100.000 € Budgets werden Referenzen über Millionenprojekte verlangt. Soll sein. Und der Ordnung halber: Man kann ja oft auch in Bietergemeinschaften bieten, wenn die eigene Personaldecke und die Umsätze mal nicht ausreichen.
… und dann entdeckt die Politik die Kleinen für sich
Dann aber kann der Kanzler. Auf markige Sprüche zu EPUs („sind die neuen Ziegelarbeiter“) folgten der KMU-Gipfel (im übrigen mit einem dezenten Widerspruch zur EPU Hymne: „Jeder, der Beschäftigung schafft, ist Bündnispartner der SPÖ“) und ein Bad in der Crowd der Austrian Startups, bei dem Kern auf einem goldenen Einhorn-Füllhorn zu reiten schien („nächstes Jahr im Praterstadion“).
Kleine Strukturen, entstehende Unternehmen, die sich unter neuen, sich laufend ändernden Rahmenbedingungen entwickeln, Einzelunternehmer, die das Heft selbst in die Hand nehmen – das wär also was für den Kanzler, wenn man die neue EPU-Freundschaft für bare Münze nimmt.
Allerdings: Ich habe jetzt keine detailgenauen statistischen Auswertungen gemacht (was im übrigen wiederum an der mangelnden Qualität und der oft verhaltensauffälligkreativen Komplexität der Ausschreibungsunterlagen liegt). Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sich keine der aktuellen staatlichen Ausschreibungen an Einzelunternehmer wendet. Dass kaum eine Ausschreibung den oder die UnternehmerIn UnternehmerIn sein lässt, sondern Personalausstattung und Formvorgaben für Bietergemeinschaften vorschreibt. Und dass zugleich oft ein fachlicher (nicht kreativer) Spezialisierungsgrad verlangt wird, der einerseits die Auswahl an in Frage kommenden Unternehmen massiv einschränkt, andererseits die einmal ausgewählten Unternehmen in die Abhängigkeit ihrer großen öffentlichen Kunden treibt.
Ich schau mir das einfach mal weiter an. Und währenddessen frage ich mich: Wenn der Staat, vertreten durch den Kanzler, Ein-Personen-Unternehmen so krass super findet – warum arbeitet der Staat dann nicht mit ihnen?
Bei Teilzeit, Home-Office oder Geschlechtergerechtigkeit behauptet der Staat ja auch gern, Role Model zu sein.
Unternehmer können selbst entscheiden, was sie anbieten
Ich hätte da eine Idee für neue Herausforderungen.
Für solche, die auch Ausschreibungen für jene Formen des Wirtschaftens öffnen, die im 21. Jahrhundert funktionieren. Dazu gehört es, Neztwerke erntzunehmen (auch wenn sie nicht institutionalisiert sind und keine Mitgliedsbeiträge verlangen), Generalunternehmer ihren Job machen zu lassen (was am Bau oder in der Finanzwirtschaft funktioniert, funktioniert auch in anderen Branchen – auch wenn das vielleicht genau die Beispiele sind, die Kontrollfreaks Gänsehaut verursacht) und die unternehmerische Verantwortung, die gefordert wird, auch zuzulassen (auch wenn es dabei nicht nur um Verantwortung gegenüber Mitarbeitern, sondern um Verantwortung gegenüber der Leistung geht).
So kann Wachstum entstehen. Wenn man es schon unbedingt darauf anlegen möchte. Und so wäre es möglich, auch den armen Ziegelarbeiter-EPUs zu helfen – ohne sie in die klassischen Formen zwischen Sozialversicherung, Gewerbeordnung und Rechtsformen zu pressen, die viele Pflichten, aber wenig Möglichkeiten mit sich bringen.
Aber eine milde Form von Schizophrenie ist man als Kleinunternehmer ja mittlerweile durchaus gewohnt.