Was wollt ihr von mir? Das unternehmerische Identitätsproblem

Was wollt ihr von mir? Das unternehmerische Identitätsproblem

Die Wiedergeburt des Klassenfeindes. Unternehmerbilder in der Politik sind vieles, aber selten praktisch.
Der Klassenfeind feiert seine Wiedergeburt.
Ich habe ein Identitätsproblem. Ich erkenne mich schon noch im Spiegel, ich weiß meinen Namen und fühle mich heute früh auch noch als der, der gestern Abend eingeschlafen ist.
Aber wenn ich darüber nachdenke, was ich geschäftlich mache, bin ich verwirrt. Und das liegt nur zum Teil an systemimmanenter, also eigener, Planlosigkeit. Dieses Gefühl entsteht meistens dann, wenn ich zu verstehen suche, mit welchen Bildern im Kopf verschiedenste politische Farben versuchen, Unternehmer zu umgarnen.

Auf Entdeckerreise: Unbekannte Unternehmertypologien

  1. Da gibt es die, die Ein-Personen-Unternehmen super finden. In der Sicht der einen werden EPUs dabei zu armen ausgebeuteten Hascherln, verirrten Seelen, die – seien es jetzt Tagelöhner oder Ziegelarbeiter – staatliche Fürsorge brauchen. In der Sicht der anderen sind es heldenhafte SelbstausbeuterInnen, sie unter dem verhandelten Mindestlohn von 1500 € dahinvegetieren und auch gar nicht mehr möchten. Für wieder andere sind es Menschen, deren herausforderndstes Problem in der Entscheidung besteht, ob man heute mehr als eine Unterhose anziehen soll und ob man am Küchentisch, auf der Couch oder vielleicht doch mal im Kaffeehaus arbeitet.
    Verbreitungsgebiet: Grün, SPÖ
  2. Dann gibt es die (und die handelnden Personen sind dabei oft die gleichen wie jene in Punkt 1), die Unternehmer nur super finden, wenn sie Jobs schaffen. Produkt, Inhalt und Sinn sind ganz egal – der oder die UnternehmerIn zählt nur dann, wenn er oder sie klassische Jobs nach dem Angestelltengesetz schafft. Und sich dabei so viel Organisationskram aufhalst, dass jede genuin unternehmerische Tätigkeit garantiert unter die Räder kommt. Aber das macht nichts. Denn so wie der Lebensinhalt von Frauen darin besteht, Mutter zu sein, möchten auch Unternehmerinnen um jeden Preis von MitarbeiterInnen wegen der nächsten Gehaltserhöhung angeraunzt werden. Sonst sind wir’s nicht.
    Verbreitungsgebiet: SPÖ, Neos, ÖVP
  3. Dann gibt es die Freunde der Schattenboxer und Scheinhürdenkämpfer. Sie finden überall unglaubliche Herausforderungen, deren Existenz alleine denjenigen, der sich ihrer bewusst ist, zur Heldenfigur wachsen lassen. Da ist es noch gar nicht notwendig, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Geschweige denn, sie zu bewältigen. Oder auch nur von ihnen betroffen sein. Da werden Einzelunternehmer oder Personengesellschaften in freien Gewerben zu siegreichen Finishern im Triathlon durch einen unüberwindbaren Bürokratiedschungel. Nicht selten dabei am meisten von jenen bewundert, die große Teile dieses Dschungels zu verantworten haben.
    Verbreitungsgebiet: ÖVP, Wirtschaftskammer, FPÖ
  4. Eine besonders kunstvolle Konstruktion ist das rechte Unternehmerbild. Unternehmer sind zugleich Teil der Ordentlichen und Anständigen, die dafür sorgen, dass in diesem Land etwas weitergeht, zugleich aber auch der Klassenfeind, der gerechten Mindestlöhnen für die Anständigen und Ordentlichen im Weg steht.
    Außerdem ist der oder die UnternehmerIn Teil einer Elite und eines Establishments, dem so ganz prinzipiell einmal eine Lektion erteilt werden muss.
    Verbreitungsgebiet: FPÖ
  5. Schließlich gibt es noch die Blumenwiesen-Unternehmer. Sie erzählen jedem von Ihrem Unternehmen (meist mit hübschem Foto, kurzer Headline und dem Hinweis „more to come“ oder „hier erfahren Sie in Kürze …“), finden nach jedem gemeinsamen Kaffee im Kaffeesud einen Hinweis mehr auf ihre großartige Zukunft („wegen genau solcher Projekte habe ich mich selbstständig gemacht“) und sind eine spezielle Untergattung jener Spezies, die „Wie werde ich mit dem Internet reich?“-Ratgeber veröffentlicht (statt „mit dem Internet” kann man hier saisonal abwechselnd auch „mit besserem Verkauf“, „mit positiver Lebenseinstellung“, „mit Contentprodukten“ oder ähnliches einsetzen). Sie reden so viel über ihren Erfolg, dass ich mich frage, wann sie Zeit haben, erfolgreich zu sein.
    Verbreitungsgebiet: JunggründerInnen, “Start-Up“-Szene (Deppenanführungszeichen intended)

Vom Gründer-Hype zum Trauerspiel

Das sind nur ein paar Streiflichter.
Journalisten, die großteils den Eindruck erwecken, wirtschaftliche, finanzielle und steuerrechtliche Analphabeten zu sein, setzen mit einer akuten Welle an Mitleidsreportagen noch eine Krone (hübsch wie ein seit zwei Wochen im Regen stehender überquellender Aschenbecher) auf diesen welken Blumenstrauß. „Datum“ packt den dümmsten aller Titel („Selbst & Ständig“) aus und langweilt mit traurigen Geschichten, Brand eins schlägt in eine ähnliche Kerbe, und der Standard veröffentlicht eine „Reportage“ über verschuldete Unternehmer, die mehr Fragen offenlässt als sie stellt (Ist die Drittelmillion jetzt die 10%-Quote oder der gesamte Betrag? Warum sollte es nicht möglich sein, über Jahrzehnte eine Drittelmillion Schulden abzuzahlen?).

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Man macht sich also Gedanken darüber, was es heißt, UnternehmerIn zu sein – und erkennt anscheinend sehr wohl Anzeichen dafür, dass auch das UnternehmerInnen-Dasein, ganz so wie das Angestellten-Dasein, nicht mehr so ganz in geregelten Bahnen verläuft. So wie es nicht mehr direkt vom Vorstellungsgespräch geradeaus zu Dienstjubiläum und Frühpension geht, geht es heute auch nicht mehr ganz so geradlinig von der Gründung zur ersten Million (oder zum ersten Konkurs) – es gibt ein paar neue Nuancen und Abstufungen.

Liegt die Zukunft wirklich hinten?

Was macht man also als Unternehmer, den weder Selbstverwirklichung noch Größenwahn antreiben, der potenziellen MitarbeiterInnen gegenüber keine Muttergefühle entwickelt, der lieber Dinge macht als davon zu erzählen und der trotzdem der Meinung ist, dass es auch wirtschaftlich Sinn macht, weiterzumachen wie bisher?
Naja, man macht einfach. Und zahlt die Rechnungen seiner Partner, Lieferanten und Freelancer pünktlich. Und denkt sich manchmal, dass es trotzdem schöner wäre, wenn (vor allem auch öffentliche) Auftraggeber nicht so scharf darauf wären, Overheadkosten in Form von Organisations- und Personalkosten zu zahlen. Bankdirektoren und Industrie-CEOs, die sich eine Armada von Assistenzen für Diktate, Kontaktverwaltung und ähnliche anders bewältigbare Tasks halten, würde schließlich auch niemand für besonders innovativ und leistungsfähig halten.

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Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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