10 Jahre Comic Cons– Chuck Norris und ich auf Tour

10 Jahre Comic Cons– Chuck Norris und ich auf Tour

Im gleichen Boot mit Zombie-Darstellern, Frühstück mit Hulk, lokale Popkultur als Affront. Zehn Jahre Comic Cons sind (mir) genug.

Zehn Jahre vergehen umso schneller, je mehr in dieser Zeitspanne geschieht – und je älter man dabei ist. Jetzt sind schon wieder zehn Jahre um. Zehn Jahre, in denen ich viel Zeit auf Comic Cons und Festivals verbracht habe, um als Verleger die erfolgreichste österreichische Superheldenserie unter die Leute zu bringen. Austrian Superheroes haben 28 Hefte erlebt, fünf Jahresbände, drei Sonderbände, ein Game, ein Musical, ein Kartenspiel, Deutschland-Ableger und Italien-Crossovers, mehrere Ausstellungen und mehrere interessierte Filmproduzenten. In zehn Jahren unterwegs kamen überschlagsmäßig trotz Corona-Zwangspause vierzig bis fünfzig Cons und Festivals dazu.

Damit ist jetzt Schluss. 

Vor wenigen Wochen war ich auf der für mich letzten Con als Verleger und Aussteller. Zeit, ein wenig Bilanz zu ziehen. 

2023, mittlerweile tragen alle Brillen. Einer nur gerade im Moment nicht.

In den zehn Jahren hat sich erstaunlich wenig verändert. Cons sind bunt, Regenbogenparaden sind uniformierte Schulausflüge konfessioneller Privatschulen dagegen. Bodypositivity, Aufgeschlossenheit gegenüber jedem erdenklichen Spleen und hohe Detailorientierung im Ausleben identitätspolitischer Differenzstrategien (im Klartext: alle leben in ihrer eigenen Welt) sind die zentralen Merkmale handelsüblicher Con-BesucherInnen. Bei so viel Diversität und Individualität verwundert es ein wenig, dass die klassischen Motive (Star Wars, Jurassic Park, Transformers, Marvel) über die Jahrzehnte praktisch unverändert funktionieren und die paar Manga-Cosplayer, die in dieser Ausprägung ihres Characters vergangenes Jahr noch nicht auf Tour waren, mühelos überstrahlen. Es bleibt einfach gleich. Was vermutlich letztlich auch an Marktgesetzen liegt. Der große Nenner, der für stabile Publikumszuflüsse sorgt, verändert sich nur langsam.

2016, Dortmund. Stargast Chuck Norris ist nicht im Bild. Teile des Austrian Superheroes-Teams (links) diskutieren mit Trachtman (Mitte) und Captain Berlin (rechts).

Wie kann man sonst noch nach zehn Jahren Cons bilanzieren? 

Comics werden weniger

Mich interessiert die Story. Wenn es gute Bilder dazu gibt, die die Story unterstützen, die Worte überflüssig machen, um so besser. Wenn Bilder die Story ersetzen, wenn Production Value die Freude am Lesen in den Hintergrund drängt, dann ist das ein Problem. Das passiert im Großen wie im Kleinen.

Im Großen setzen mehr und mehr Verlage auf Graphic Novels, sie schütteln Biographien aus dem Ärmel oder verlegen durchschnittliche Kunstschulprojekte – und bringen damit das Genre ins Grab. Uninspiriert erzählte Storys werden von schlechten Zeichnungen begleitet und als teure Hardcoverbücher produziert. Schön für den Buchhandel, beleidigend langweilig für Leser. Storys, die auf einer halben Seite auserzählt wären, werden auf Buchlänge ausgewalzt. 

Im Kleinen zeigt sich, dass in Artist Alleys auf Comic Cons keine Comics zu finden sind. Hier tummeln sich Einzelblatt-Fanart-Künstler, die vielleicht Storys im Kopf haben, sie aber nicht zu Papier bringen. Oft sind es nicht nur keine Storys, es fehlen sogar Buchstaben. Oder es gibt nicht einmal Zeichnungen, sondern gehäkelte Pokemons.

Auf der einen Seite eine neue Entwicklung, über deren Fehlen ich mich vor ein paar Zeilen beklagt habe. Auf der anderen Seite eine Entwicklung, die Comics ins Grab bringt. Und was sollen Fanart und Merch in Zukunft promoten, wenn es keine eigentliche Art mehr gibt? 

Müllshopping

Wenn wir bei Fanart und mangelnder Produktivität und Originalität sind: Merchboxen sind ein weiterer Con-Trend, der sich in den vergangenen Jahren deutlich verstärkt hat. Menschen kaufen Überraschungsboxen voller Merch-Müll. Und das tonnenweise. Eigene Händler sind darauf spezialisiert. In den Boxen sind Kaffeetassen, T-Shirts, vielleicht sogar Actionfiguren (wenn teurer), bei den noch teureren kann man sich Genre oder Stil aussuchen. 

Merchboxen-Käufe müssen Akte der puren Verzweiflung sein. Menschen, die eigentlich nichts mit dem Gebotenen anfangen, besuchen trotzdem aus Neugier eine Comic Con und erliegen dem Drang, bei all der Fülle an Gebotenem etwas kaufen zu müssen. Merchboxen, die Schnäppchen und Überraschung versprechen, sind ein willkommener Ausweg: Man muss nichts entscheiden, man muss nicht wissen, was man kauft, und man hat trotzdem den Nimbus der weltgewandten Coolness, weil die Objekte schließlich von der Con sind, von einem Event bei dem Aussteller aus aller Welt zusammenkommen. Und es findet nur einmal mit Jahr statt!

Originalität, Urheberrechte und Lizenzen werden in den Merchboxen wohl ebenfalls bis zur Unkenntlichkeit durch den Fleischwolf gedreht. Aber das gilt für alle Produkte, Cosplays, Fangruppen und andere nicht autochthone Erscheinungen bei Cons. Die Piratendichte ist hoch, das Unrechtsbewusstsein niedrig.

Um ehrlich zu sein: Ich hatte lang den Verdacht, dass viel Müll wie angebliche asiatische Trends, Foods oder Funko Pop-Figuren oder -Tassen eher Erfindungen findiger Comic Con-Händler als asiatische Trends wären. Ich musste erst unlängst nach einer Taiwan-Reise zur Kenntnis nehmen, dass Taiwanesen offenbar tatsächlich mit Begeisterung von diesem unsäglichen Kitsch angetan sind. Und bei China Airlines gibt es Pokemon-Speibsackerl.

F*ck Local

Wer als lokaler Produzent mit eigener Intellectual Property, wie man so sagt, auf Comic Cons vertreten ist, lernt drei große Publikums-Archetypen kennen. Die einen finden es cool, dass es „so was“ auch „bei uns“ gibt, sie würdigen Qualität und Professionalität der Produktion (da schmeichelt ja auch das Urteil von Laien) und freuen sich, etwas Neues kennengelernt zu haben. Manche, und das ist berührend, sehen in professioneller und kommerziell erfolgreicher popkultureller Produktion sogar Zeichen einer besseren Welt. Sie lernen, dass man auch hierzulande Dinge einfach machen kann und sich nicht auf Umstände ausreden muss. 

Die anderen sind die populärkulturelle Entsprechung jener, die angesichts abstrakter Kunst sagen: „Das kann ich auch.“ Sie lachen nervös, findens eh leiwand und nehmen den Aussteller lang mit langwierig und langweilig erzählten platten Pointen in Beschlag, „Warum reitet der nicht auf einem Lipizzaner“, „Ihr brauchts einen Mozartkugelman“, „Ich warte, bis es eine Gschicht mit dem Lindwurm gibt“. 

Die dritte Gruppe ist psychohygienisch delikat. Es sind fortgeschrittene Con-BesucherInnen, oft CosplayerInnen, sie haben klare Fan-Präferenzen und genießen Cons, um ansonsten ferne Trends und Stars in ihrer Nähe zu haben. Vermutlich haben sie auch Foto-Ops mit einem der Stargäste gebucht. Für sie ist lokale Popkultur eine Beleidigung. Sie rümpfen die Nase. Es ist ein Affront, dass „die“ (also wir) „das“ auch machen, internationale Popkultur kopieren. Es ist eine verfehlte Anmaßung. Es ist so cringe wie wenn Pfarrer und Bürgermeister den Jugendgschnas crashen würden. Sie sind entrüstet und gekränkt von diesem heimischen Mief, wo sie doch hierher gekommen sind, um Düfte der großen Entertainmentwelt zu schnuppern. 

Diese Stars

Wenn wir bei Stars sind – ich kenne viele der angekündigten Stargäste nicht. Ich muss sie nach wie vor googlen und bin trotz dieser Recherche in vielen Fällen nur geringfügig schlauer. Es sagt mir einfach nichts. Dabei habe ich ein Herz für verkannte Größen. Unter meinen Lieblingsstars aus den ganzen zehn Jahren ist ein kleiner Mann, der einen Starwars-Ewok spielte. Das sind diese kuscheligen Tiere, die Uninitiierte vielleicht eher der Sesamstraße zuordnen würden. Sie treten in plüschigen Ganzkörperkostümen mit Plüschkopf auf. Die Autogrammkarte des kleinen Mannes zeigte ein Ewok-Gruppenfoto, alle in voller Plüschmontur mit Plüschköpfen. Er hatte einen Pfeil auf sich gezeichnet. „Ich war der siebte Zwerg von links.“ Ein anderer war ein größerer dünner langhaariger Mann. Er war einige Jahre dabei und hatte stets ein informatives Rollup hinter sich: „Ich war dreißig Zombies in Walking Dead.“ Ihm wurden dreißig Mal diverse Waffen ins untote Makeup-Hirn geschlagen. 

Ewok-Autogrammkarte

Manchmal gab es auch andere Stars. Frank Miller war auf der Vienna Comic Con. Chuck Norris war in Dortmund. Die Con fand damals trotz heftige Schneestürme statt und war so überlaufen, dass sie immer wieder gesperrt werden musste. Und in Wels habe ich einmal das Frühstücksbuffet mit Lou Ferrigno geteilt, dem Hulk der späten 70er Jahre. Leider war er damals, als wir gemeinsam hätten frühstücken können, Botschafter der National Rifle Association und Mitglied in Donald Trumps Beirat für Sport, Fitness und Ernährung. 

Abschied auf Raten 

Austrian Superheroes werden noch auf einigen weiteren Comic Cons vertreten sein. Vielleicht gibt es ja sogar zum 10-Jahres-Jubiläum einen fetten Gesamtausgaben-Omnibus. Das wären rund 1200 Seiten. Vielleicht, wenn jemanden der Ehrgeiz packt, gibt es sogar weitere Storys. Bis dahin: Im Herbst findet die Vienna Comic Con statt. Und auch ohne den Omnibus kann man das Gesamtwerk in handlichen acht Bänden kaufen

Heute nerven mich Comic Cons ein wenig. Das liegt an mir, nicht an den Cons. Aber es war eine weitere zehnjährige Schlittenfahrt im Leben. Alle Menschen sollten mehr und verschiedene Schlitten fahren. 

Die Absage-Plakatmutation ist mittlerweile Teil der Corona-Sammlungen diverser Museen.
Leo Koller (ohne Haare, mit Kamera), vom Anfang an im Kreativteam dabei, starb 2023.
Auch an seinem Todestag waren wir auf einer Comic Con.
Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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