Und eins noch zu dem Medienkram …

„Letzte Ausfahrt“ ist die Story des Jahres der Journalismustage. Aus zwei Gründen finde ich das gut, aus einem ein wenig erschreckend.
  1. Die Sache wurde abseits der großen Medienhäuser produziert, ziemlich als Alleingang und ist von Aufwand, Idee und Materialeinsatz her für jeden Schreiber machbar.
  2. Es ist ein anderes Format, eines, das zusätzlich verkauft wird, eines, in dem die Marke und das klassische Produkt Beiwerk und Vermarktung sind. Gekauft wird etwas, das die Leser wirklich haben wollen – und sie zahlen dafür.
  3. Die Idee kennt jeder, der Hunter Thompson kennt. Ok, man soll Journalisten nicht überschätzen. Und das ist auch unwichtig, weil es weniger auf die Idee als auf die Umsetzung ankommt. Die große Erkenntnis des Buches für den Journalisten mit jahrzehntelanger Erfahrung ist allerdings, dass auch im Politzirkus nicht die allwissenden Magier am Werk sind, die Politik, Marketing und Strategieentwicklung als magisches nur ihnen zugängliches Mysterium verkaufen. Das heißt, sie verkaufen es schon so – aber es ist zu 97 % improvisiert und dann eben im Nachhinein mit Bedeutung aufgeladen. – Und andere Journalisten finden diese Erkenntnis noch ehrlich beeindruckend.
    Ich bin beeindruckt. Und ein wenig entsetzt. Und ich warte auf die Undercover-Erkenntnisse oder die Embedded-Journalism-Reportage aus den großen Marketingabteilungen dieses Landes. 

Aber doch noch mal zu den Mediendiskussionen …

Ich hab ja schon kurz erwähnt, dass ich mich von Mediendiskussionen gern fernhalte. In den 90er-Jahren hatte ich noch ein richtig schlechtes Gewissen, über das Internet zu schreiben. Dazu musste man nicht aus dem Haus gehen, schrieb über Dinge, sie sich jeder selbst hätte ansehen können, wenn er oder sie gelernt hatte, Computer und Browser zu bedienen (das war auch ungefähr meine Online-Qualifikation) und packte halt überall ein bisschen Porno oder Bombenbauanleitung dazu. Für jemanden, der gelernt hatte, unterwegs zu sein und als Chronikredakteur Fotos von Mordopfern zu keilen oder Interviews mit Überlebenden zu bekommen, war das bequem, aber es fühlte sich falsch an.
Heute ist das eine der wohl armutsbedingten Königsdisziplinen des Journalismus. Journalismusevents sind das „Wie werden ich im Internet reich?“ der Medienbranche und des 21. Jahrhunderts. Manche davon sind vielleicht nette praktische Selbstreflektion, andere dienen dem medienwirksamen Zementieren von Ist-Zuständen, wenn große Tiere große alte Behauptungen aufstellen, die dann in ihren großen alten Medien wiedergegeben werden, mit stolz dreinschauenden Politikern dazu im Hintergrund.
Und dann gibt es noch Journalisten, die immer noch ungeniert Formulierungen wie „worum es wirklich geht“ in der Mund nehmen. Sogar Medienjournalisten machen das. Irgendwie ist das der Beweis dafür, dass es anscheinend tatsächlich diese Selbstreflektionsevents braucht. Nur können die vielleicht auch etwas persönlicher sein und nicht immer gleich die ganze Branche erklären wollen.
Wenn jeder einzelne weniger Mist baut, dann gibts weniger Mist. So einfach wäre das.