Tech-Milliardäre und andere Gallionsfiguren angkündigter digitaler Revolutionen sehnen sich in den Mutterleib zurück und bauen sich mit digitalen Räumen Simulationen dieser geschütztesten aller Umgebungen, in der ihnen nichts Böses widerfahren kann. Das ist eine der Thesen des bekennenden Marxisten Rushkoff in seiner Kritik digitaler Machbarkeitsphantasien. Ausgangspunkt seines Buchs ist eine Unterhaltung mit Milliardären, die Beratung beim Bau geschützter Umgebungen zum Überleben des “Ereignisses” suchten.
Das “Ereignis” kann eine fatale Pandemie, ein Nuklearkrieg oder sozialer Flächenbrand sein. Rushkoffs Kritik an der Frage: Selbsternannte Macher beschäftigen sich nicht mehr mit der Suche nach Lösungen (von Problemen, die oft ihre Innovationen geschaffen haben), sondern damit, wie sie drohenden Konsequenzen ausweichen können. Rushkoff nennt das das “Mindset”: Das Mindset beschreibt die Einstellung, Innovation und Disruption am Fließband produzieren und in Geschäftsgelegenheiten verwandeln zu wollen, technische Lösungen für alles zu suchen und Lösungen vor allem in der Erstellung neuer Produkte zu sehen. Das Mindset optimiert – dafür strukturiert es alles nach seinen Bedürfnissen und ignoriert, was nicht angepasst werden kann.
Der moderne Businesscase, beobachtet Rushkoff treffend, funktioniert wie eine streng nach dem Heldenreise-Schema gestrickte Erzählung mit Klimax und Katharsis. Übersteigerte und als essenziell dargestellte Probleme, die bislang niemandes Problem waren, werden zur Schicksalsfrage der Menschheit und schließlich einer überzeugenden Lösung zugeführt. TED Talks sind eine weitere Ausprägung dieser formalistischen Inszenierungen, in denen Inhalte recht beliebig ausgetauscht werden können. Religion und Leitprinzip dieser Inszenierungen ist vereinfachter Behaviorismus, der Menschen zu Reaktionsautomaten reduziert, die von der erweckten Businessperson gesteuert werden können.
Peter Thiels Ausführungen sind hier die prägendsten; wer Thiel nicht im Original lesen möchte, findet einen guten Überblick bei Adrian Daub.
Der technikorientierte und oberflächlich extrem rationale Schematismus zielt darauf ab, Abläufe als notwendig, effizient, sinnvoll und einem höheren Ziel folgend darzustellen. Die eigentliche Leistung dieses Konstrukts ist es aber, die real im Hintergrund stattfindende Arbeit unsichtbar zu machen. Rushkoff vergleicht das mit der Erfindung des Speiseaufzugs im Haus von Thomas Jefferson: Die Entlastung des Hauspersonals war der kleinste Schritt, die hatten schon viel geschleppt, bevor sie den Speiseaufzug befüllten. Der nahm ihnen nur das letzte Stockwerk ab und reduzierte den Personalbedarf im Speisezimmer bei den leichten Arbeiten.
Der vermeintliche hyperrationale Homo Oeconomicus ist schon länger als Chimäre in Verruf. Rein vernunftorientierte Ansätze, die die Hartnäckigkeit realweltlicher Probleme ignorieren, bieten eindimensionale Lösungen, die tatsächlich erst zu Lösungen erklärt werden müssen. Sonst käme niemand auf die Idee, sie als Lösungen zu betrachten. Die Eindimensionalität dieser Ideen findet sich auch in der Kritik der modernen Wissenschaftstheorie; am wenigsten unter Schwurbelverdacht (für Postmoderne-Phobiker) ist hier wohl David Bloor.
Der moderne Elite-Kapitalist ist ja durchaus für Alternativen offen und experimentiert mit Ayahuasca oder anderen Kaktus- und Krötengiften, um seinen Horizont zu erweitern. Rushkoff beschreibt einige nach Ayahuasca-Experiences entstandene Businesspläne und wundert sich zurecht, wie leer die innere Welt der Erleuchteten vorher gewesen sein muss, wenn sie diese Ideen nur unter psychedelischen Einflüssen entwickeln konnten.
Für die Innovativen, Techsmarten und Erfolgreichen sind diese Einwände kein Hindernis. Das zeigt alljährlich die erstaunliche Selbstzufriedenheit in Davos oder Alpbach: Die gleichen Menschen besprechen jedes Jahr die gleichen Themen, finden die gleichen Ideen gut, feiern produktive und inspirierende Gespräche – und treffen einander doch im nächsten Jahr bei großteils dem gleichen Stand der Dinge wieder, um einmal mehr das gleiche zu besprechen und die gleichen Ideen (die schon die letzten Jahre im Sand verlaufen sind) zu feiern.
Was als Philanthrokapitalismus begann (reiche Menschen wie Bill Gates setzen ihr Vermögen für ein paar gute Zwecke ein und versuchen, zumindest selbsterhaltende Geschäftsmodelle zu etablieren) ist zur Legitimation extraktiver Institutionen geworden: Eine dünne Tech- und Businesselite gibt “Lösungen” vor, die vermeintlich die Probleme der Welt lösen. Tatsächlich muss sich die Welt an diese Lösungen anpassen, damit überhaupt die zu lösenden Probleme existieren. Dann funktioniert auch das Geschäftsmodell der Tech-Elite. Extraktive Institutionen sind, wie Acemoglu und Robinson ausführen, ein wesentlicher Grund, warum Nationen und Organisationen scheitern.
Werden also technische Eliten Probleme lösen? Nein, sagt Rushkoff, sie haben sie eher verursacht und tragen durch ihre Lösungsansätze dazu bei, dass sie bestehen bleiben. Vielleicht wird ja auch KI, sofern sie eines Tages eigene Gedanken fasst, das Mindset ihrer Erfinder übernehmen und versuchen, sie wie das Bedienpersonal eines Speiseaufzugs unsichtbar zu machen.