Du bist nicht awesome. Aber das macht nichts.

Du bist nicht awesome. Aber das macht nichts.

Das (neue?) sozialdemokratische Wirtschaftverständnis schafft erst die Probleme, die es lösen möchte. Und weil wir so gründergeil sind, sehen wir dem wohlwollend zu ...
Irgendwo glaube ich ja schon noch, dass man mit 16 oder 17 Sozialist oder Anarchist gewesen sein muss – sonst ist man kein guter Mensch. Mit dem Sozialismus tue ich mir immer schwerer. Für eine gute Show sind schlicht die Feindbilder abhanden gekommen. In unseren Breitengraden gibt es kaum noch wirtschaftlich Unterdrückte und Ausgebeutete. Man kann wirtschaftliche Unterdrückung jetzt natürlich sehr breit fassen, ich bin dafür zu haben. Die Form der wirtschaftlichen Unterdrückung, die allerdings die meisten Menschen betrifft, ist die ganz und gar unkapitalistische Zinsflaute. Und was Ausbeutung betrifft: Die ebenfalls größte und flachendeckendste Form der Ausbeutung ist heute der private Konsum – sich selbst und den MitarbeiterInnen der Produzenten gegenüber. Und der ist zwar flächendeckend, aber freiweillig.
Also fehlen dem Sozialismus sowohl die Feinde als auch die Opfer. Dann machen wir eben unsere Feinde zu Opfern, muss sich die SPÖ gedacht haben und ließ ihren Kanzler verlauten: „Die Einpersonenunternehmen sind die neuen Ziegelarbeiter.“
Äh?
Ziegelarbeiter waren die ausgebeuteten Lohnsklaven Wiens, die unter ziemlich miserablen Bedingungen schufteten, bis sich die spätere Sozialdemokraten-Ikone Viktor Adler ihrer annahm und Bewusstsein für bessere Bedingungen schaffte. Eine Sternstunde der Sozialdemokratie, die sich um Arme und Schwache kümmert.
Selbstständige haben auch einen Haufen um die Ohren, als Einpersonenunternehmen müssen sie sich allein darum kümmern. Aber sind sie in einer Situation, in der sie einen sozialen Messias brauchen, weil sie sich selbst hier sonst nicht herausmanövrieren können?

Unternehmer wie Waisenkinder

Eigentlich hätte ich persönlich ja gute Voraussetzungen dafür. Ich war anfangs selbstständig, später lange angestellt und nach einem schiefgegangenen Jobwechsel plötzlich zum falschen Zeitpunkt arbeitslos und pleite.
Die Optionen waren: Sechs Monate Kündigungsfrist absitzen, währenddessen nichts tun können und dann darauf hoffen, dass sich wieder etwas finden wird, oder die Zeit zu verkürzen und gleich etwas Neues anfangen. Ich habe mich für den zweiten Weg entschieden, viel Glück gehabt, viel gearbeitet und bin noch immer für meine Begriffe weit davon entfernt, eine solide Basis zu haben, auf der das Geschäft wie von selbst läuft.
Aber ich bin auch nicht das letzte Glied der Nahrungskette: Ich zahle weit mehr als die Hälfte meines Umsatzes als Honorare für Partner und Dienstleister. Ich mache keine Gratis-Präsentationen und ich entscheide über den Preis. Ich warte auch nicht zitternd auf Sozialversicherungsvorschreibungen, sondern ich rechne aus, was zu zahlen ist und zahle das. Natürlich gibt es auch bürokratische Hürden, vor allem wenn das Geschäft etwas komplexer (zum Beispiel grenzüberschreitend) wird – das abwickeln zu können sehe ich als Teil eines unternehmerischen Angebots.
Und ich bin vieles, aber ganz sicher auch nicht awesome oder was man sonst sein muss, und auf einer schon ziemlich debilen Start Up-Welle mitschwimmen zu können. Im Gegenteil, ich bekomme allergische Ausschläge aller Arten, wenn ich egal wo auf der Welt die gleichförmige Awesomeness-, Peace-, Keep Calm- oder sonstwas Kacke sehe oder höre.
Aber bin ich deshalb – und weil ich wahrscheinlich nicht in die Tech-Start Up-Förder-Phantasien der Regierung passe, ein abhängiger Arbeiter, der sich nicht selbst helfen kann? Und warum ist eine Regierung so glücklich darüber, vermeintlich neue abhängige Opfer entdeckt zu haben, um die man sich ähnlich sorgen kann wie um rumänische Waisenkinder?

Verarbeiterung

Wenn Einpersonenunternehmen etwas Neues sind, dann sind sie eher:
  • Der Ersatz des lebenslänglichen Jobs: du kannst pleite gehen, wirtschaftlichen Mist bauen, Kunden verärgern, die verrechnen, Ärger mit Steuer und Sozialversicherung haben – so wie jedes Unternehmen jeder beliebigen Größe. Aber du kannst sich nicht selbst rauswerfen.
  • Die fairsten Arbeitgeber: Selbstausbeutungsgeschichten erzählt man oft und gerne. Angestellte im mittleren Management mit 100.000 €-Gehältern tun das aber genauso oft und gerne – im Gegensatz dazu können wir aber Bezahlung und Wertschätzung mit uns selbst verhandeln. Das hat natürlich Vor- und Nachteile.
  • Leistungsfähige Netzwerke: Wer allein arbeitet, muss vieles können – und auch wissen, was er oder sie nicht kann und wo man die fehlende Leistung herbekommt. Daher sind auch Kooperationsskills überlebenswichtig (das ist etwas anderes als so gern verlangte Teamfähigkeit …)
  • Vielseitig: Wer mittelgroße Projekte abwickelt, muss von vielen Dingen etwas verstehen.
Genau in diesen Punkten ist die politische Bereitschaft, brauchbare Rahmenbedingungen zu schaffen, aber äußerst dünn:
  • Vielseitigkeit soll sich bitte schön innerhalb des Rahmens der Gewerbeordnung bewegen. Und wer mehrere Gewerberberechtigungen braucht, kann sie sich ohnehin leicht organisieren – und doppelt zahlen.
  • Der bürokratischen Overhead sparende Netzwerkgedanke wird gerade bei öffentlichen Ausschreibungen am allerwenigsten verstanden. Wenn bei eher simplen Projekten nicht nur Mindestens-Jahresumsätze und Mindestens-Mitarbeiterzahlen, sondern auch Stundensätze von Assistenzen verlangt werden, ist das fast schon liebenswert anachronistisch. Ich weiß nicht, welchen Umsatz Smartphone und Internet verrechnen – und ich sollte das wahrscheinlich auch nicht zu laut sagen. Sonst wird daraus wieder ein Argument für die Maschinensteuer (Exkurs: Ich bin sowieso der Meinung, dass Hauptschulabsolventen, die dank brauchbarer Technologie jetzt auch Jobs ausfüllen können, für die sie sonst nie qualifiziert wären, den Löwenanteil einer allfälligen Maschinensteuer tragen sollten.)
  • Und was die Fairness betrifft, da sitzt der mittelgroße Einzelunternehmer ja immer in der selbstgestrickten Falle: Was will ich verdienen – und wieviel Steuern will ich zahlen? Klar kann man mit allerhand Ausgaben den Gewinn nach unten optimieren – das Geld ist trotzdem weg. Und der Versuch endlich in den Gewinnbereich zu kommen, in dem sich Geld wirklich auszahlen würde, wird gleich von mehreren Seiten torpediert: Die Grenzbeträge der Steuertarife bleiben gleich (den hässlichen Begriff der Kalten Progression kennt jeder). Die Grenzbeträge für die Sozialversicherung dagegen steigen jedes Jahr; die Ziellinie für den Wettlauf mit der Höchstbeitragsgrundlage wird jedes Jahr ein kräftiges Stück weiter in die Ferne gerückt. Nachdem aber die Steuertarife gleich bleiben, wird damit in Wahrheit jeder mehr verdiente Euro doppelt belastet: entweder ist er sozialversicherungs- und steuerpflichtig, oder er ist zwar nicht mehr sozialversicherungspflichtig, wird dafür aber unverhältnismäßig besteuert.
  • Und was für Einzelunternehmer (und andere Formen der Personenunternehmen) gänzlich fehlt, ist eine Möglichkeit, sinnvoll zu investieren oder Rücklagen zu bilden: Investitionsfreibeträge müssen in Wohnbauanleihen gesteckt werden – dort ist das Geld zehn Jahre lang gebunden. Nach vier Jahren kann es – bei Verzicht auf die Renditeerwartungen – vorzeitig abgezogen werden; für Investitionen steht es trotzdem nicht zur Verfügung. Realinvestitionen sind auf Neuanschaffungen beschränkt (vor allem bei Immobilien, vor allem in Wien sinnlos) und orientieren sich an einer Welt, in der Werkzeuge und große Büros wichtig waren. Immaterielle Investitionen, Forschung und Entwicklung oder Zeit für Kreativität (die man sich zum Beispiel mit einem Übermaß an Arbeit erkaufen kann) sind in diesen Modellen nicht vorgesehen.
Aus diesen Gründen habe ich mit dem (neuen?) sozialdemokratischen Wirtschaftsverständnis zwei oder drei Probleme:
Kleine Unternehmen werden als Arbeiter behandelt, nicht als an Selbstständigkeit, Gewinn und sicherem Wachstum orientierte Organisationen. Das ist ein von der Politik geschaffenes Problem.
Die Mär vom ausgebeuteten arbeiterähnlichen Kleinunternehmer lässt vergessen, dass auch der Kleinunternehmer wirtschaftliches und finanzielles Know How braucht. Und das führt dann eben wieder dazu, dass viele Kleinunternehmer – mangels dieses Know Hows – traurige Existenzen nach dem Geschmack der Sozialdemokratie werden.
Wenn das dann dazu führt, dass die Abschaffung von Selbstbehalten bei Arzt als wirtschafts- und sozialpolitische Visionen verkauft werden, dann ist das sehr traurig. (Exkurs: Die Selbstbehalte für Selbstständige sind unfair, nicht nachvollziehbar und absurd. Sie sind aber – im Vergleich zu in Steuer- und Organisationsfragen fehlendem Spielraum – nicht wirklich ein Anlass für schlaflose Nächte.)

Wer braucht einen Markt, wenn er einen Kanzler hat?

Neben dem uncool gar nicht postfaktischen sachlichen Kleinkram ist mein eigentliches Problem aber: Die Verarbeiterung der Kleinunternehmer zieht die falschen Leute an. Man muss kein extrem wachstumsorientierter Businesstyp sein, um Unternehmer zu sein, man kann gute Geschäfte machen, ohne sich „Gründer“ auf die Stirn tätowieren zu lassen oder tägliche eine halbe Stunde vor dem Spiegel zu üben, wie man „Start Up“ am coolsten ausspricht. Man sollte aber ein wenig Ahnung davon haben, wie man mit Geld umgeht, sich mit Steuer- und Rechtsangelegenheiten befassen und sich vor allem darüber im Klaren sein, dass nur Leistung verrechenbar ist. Noch genauer: Nur die Leistung, die auch jemand haben möchte.
Alles andere ist vielleicht Kunst (ist auch Leistung, aber keine, die per se bestellt wurde), ein schöner Sinn für Gerechtigkeit (wir wollen schließlich alle etwas davon haben) oder Politik: Politiker, nicht zuletzt Erwin-LaHauPö-hab-ihn-selig-Pröll, betonen ja oft und gern, dass die bei ihrem Einsatz in der Privatwirtschaft (ein ziemlich verräterisches Wort) ein Vielfaches verdienen würden. Dem liegt genau der verkaufstaktische Irrtum zugrunde, der aus Unternehmern Ziegelarbeiter machen: Socialisen, egal ob auf Feuerwehrfesten, Frühschoppen oder Netzwerkveranstaltungen ist genauso wenig verrechenbare Leistung wie Lernen, (die eigene) Buchhaltung oder die laufende Erweiterung des Horizonts. Es sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen um im Geschäft bleiben zu können. Bezahlt machen sie sich aber nur dann, wenn sie sich auf ein verkaufsbares Produkt auswirken.
Ich habe lange mit dem Gedanken gespielt, einen Unternehmer-Ratgeber genau darüber zu schreiben, Arbeitstitel: „Du bist nicht awesome. Aber das macht nichts.“ Und dann habe ich die Notizen dazu immer wieder in die Schublade gepackt. Weil mir genau die Zielgruppe für so einen Ratgeber so auf die Nerven gehen würde, dass ich hier nichts einigermaßen Erträgliches zu Papier bringen könnte. Aber vielleicht überdenke ich das ja noch mal …
Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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