New Media Analphabetismus

New Media Analphabetismus

Online Medien AnalphabetismusMangelnde Online-Medien-Literacy wird sich bald ebenso nachteilig auswirken wie Analphabetismus – wenn nicht sogar noch deutlicher. Die Kluft zwischen gewandten Usern und Skeptikern waechst genauso schnell wie die Anzahl der Medien und Tools – und sie wirkt sich dramatisch auf die Orientierungsfaehigkkeit in einer temporeichen und informationsabhaengigen Umgebung aus.

Skepsis, Neugier, Kopfschuetteln


“Das kann man ja gar nicht mehr lesen.” Kuerzel, #-Tags, @-Zeichen, Usernamen – und all das auf gerade mal zwei Zeilen. “Macht man das jetzt statt Smilies?”.
Die Vorstellung von Microblogging als potentielles Kommunikationstool im Unternehmen ist nach hinten losgegangen. Die verknappte Mischung aus Kurzbefehlen, mit Bedeutung belegten Sonderzeichen und “echter” Information hat sich in dieser Runde nicht als Medium durchgesetzt. In der kurzen Praesentation haben die potentiellen neuen User den Informationsgehalt der Kurzbeitraege nicht erkannt – sie konnten sie schlicht nicht lesen. Ein Szenario, das sich beim Versuch, neue Medien kennenzulernen, derzeit vielfach wiederholt.

Flexible Codierungen – schwierige Lesbarkeit
15 % Analphabeten trotz Jahrhunderten von Tradition
Passivitaet dominiert
Aktivitaet ist die Voraussetzung, um neue Online Medien verstehen zu lernen
Aktivitaet und Beteiligung bedeuten einen Verzicht auf Hierarchien
Neue Kriterien zur Zielgruppendefinition: Erfahrung und Online-Alphabetisierung

Flexible Codierungen – schwierige Lesbarkeit


Online Medien sind wichtige Kulturtechniken, die sich stark veraendern. Ihre Verbreitung steigt laufend, sie aendern sich aber haeufig – und ihre Rezeption wird nicht gelehrt. “Das Internet” hat sich als Medium durchgesetzt, die Vielfalt unterschiedlicher Medien wie Portale, Blogs, Microblogs, Wikis ist allerdings kaum noch wo dokumentiert – und noch weniger mit Bedeutung verknuepft. Papiermedien wie Buecher und Zeitschriften haben ueber lange Zeit entwickelte Standards und Codes, die Qualitaet, Relevanz, Aktualitaet vermitteln. Vieles davon verstehen wir, ohne es gelesen zu haben. Klappentext, Kurzrezensionen, Kolumnen, Schlagzeilen, Leitartikel sind gut eingefuehrte Formate, die wir nicht nur inhaltlich, sondern auch in ihren Beziehungen leicht verstehen koennen.
Im Bereich der Online Medien aendern sich solche Codes laufend; manche sind technisch bedingt, andere reines Design; Bezeichnungen sind oft nicht eindeutig und Stile aendern sich haeufig.

  • Woran erkennen wir dann, was wie zu verstehen ist?
  • Woher kommt Autoritaet bei Online Medien, wie ist sie optisch und funktional codiert?
  • Und die wichtigste, die anderen Fragen umspannende Frage: Wie koennen wir davon ausgehen, dass wir das gleiche verstehen wie andere Nutzer, dass andere Nutzer verstehen, was wir von ihnen erwarten?

15 % Analphabeten trotz Jahrhunderten von Tradition


Die Faehigkeit, mit Texten umzugehen, hat mehrere Jahrhunderte nach der Erfindung der Schrift gebraucht, um sich durchzusetzen. Neben Buchstaben und Worten wurden im Lauf der Zeit Hilfsmittel wie Anfuehrungszeichen (zwoelftes Jahrhundert), Anmerkungen (dreizehntes Jahrhundert) oder Bibliographien erfunden. Diese ordnen Text, geben an, wo eine andere Dimension einbezogen wird (Zitate, direkte Rede), wo Ergaenzungen notwendig sind, die den unmittelbaren Sinnfluss stoeren wuerden, wo weiterfuehrende Information oder Quellen fuer den vorliegenden Text zu finden sind. – Auch das sind Zusatzfunktionen zu Kulturtechniken, die gelernt werden muessen.
Schrift beherrscht die Kultur seit Jahrtausenden, gedruckt wird seit mehreren hundert Jahren und seit ueber fuenfhundert Jahren gibt es den modernen Buchdruck mit beweglichen Lettern. Lesbares Material ist allgegenwaertig, Lesen von Papiermedien wird uns allen von klein auf antrainiert.
Dennoch wird die Zahl der Analphabeten weltweit auf knapp eine Milliarde Menschen geschaetzt. Und das ist nicht nur eine Frage von Armut und Entwicklungspolitik: Gerade in reichen Laendern wie Oesterreich oder Deutschland ist wird die Rate der Analphabeten ebenfalls auf bis zu fuenfzehn Prozent der Bevoelkerung geschaetzt (Quelle: UNESCO).
Grosse Bestandteile der modernen Analphabeten machen nicht jene aus, die nie lesen gelernt haben, sondern die es wieder verlernt haben oder es vielleicht noch koennen – aber ohne die Bedeutung dessen mitzubekommen, was sie gerade lesen. Moderne Analphabeten koennen vielleicht ihren Namen schreiben, aber sie erkennen keinen Zusammenhang zwischen dem Namen des Supermarkts, in dem sie gerade einkaufen, und dem Schriftzug auf ihrer Einkaufstasche.

Die reine Menge und Verbreitung von Kulturtechniken bedeuten noch lange keine Garantie fuer deren Wirksamkeit und Funktion. Noch weniger fuer Respekt und Verstaendnis dieser Techniken: Wir koennen lernen, etwas zu beherrschen; dadurch lernen wir aber noch lange nicht, es auch gewinnbringend einzusetzen. Online-Medien haben dabei gegenüber Papiermedien deutliche Nachteile:

  • Sie sind nicht so linear und autoritär erfassbar wie ein Buch; allein Ihre Beschreibung erfordert also mehr Aufwand.
  • Sie sind vielschichtiger und aendern sich schneller.
  • Sie sind nicht so alt – und in ihren aktuellen Auspraegungen bei weitem nicht so weit verbreitet, wie es den Anschein erweckt.

Passivitaet dominiert


Die Zahlen rund um neue Online-Medien sprechen eine deutliche Sprache: Nur knapp fuenfzehn Prozent der Online-User nutzen Social Media regelmaessig (einmal pro Woche und oefter), aktiv in professionellen Netzwerken wie Xing oder LinkedIn sind nur noch sechs Prozent der User, und bei spezielleren Anwendungen wie Social Bookmarking sind schliesslich nur noch drei Prozent der surfenden Bevoelkerung aktiv beteiligt. Nur bei den unter 29jaehrigen stechen private Netzwerke als intensiver genutzte Social Media hervor: Knapp dreissig Prozent nutzen sie taeglich.
Die Nutzungszahlen sinken weiter, wenn aktive User gesucht werden: 25 Prozent der Onliner kennen den Begriff Weblog, sechs Prozent nutzen sie – zwei Drittel davon passiv. Das macht zwei Prozent aktive Nutzer, gemessen an der Ausgangsgroesse. (Quelle Media Perspektiven 7/2008)
Der intensivsten Nutzung erfreuen sich so auch jene Medien, die passiven Konsumenten den meisten Mehrwert bieten: 51 % der deutschen Internetuser nutzen Videocommunities wie Youtube, 23 % besuchen regelmaessig Fotocommunities wie Flickr.

Zurueck zum Lokalaugenschein: “Das kann ja nur was fuer sehr eitle Menschen sein.” “Oder fuer sehr einsame.” – Was fuer den einen harmlose Unterhaltungen ueber Pinwaende in Facebook sind, sind fuer den anderen unnoetige, uebertrieben Selbstdarstellungen, die nicht interessant sein duerfen.
“Nutzen Sie wirklich Blogs?” Der Ton in der Frage macht ganz klar deutlich, dass kein “ja” erwartet wird. “Ich habe mir damit noch nie was angefangen, koennen Sie mir sagen, wozu das gut ist?”

Diese Fragen beruehren die zentralen in der Lesbarkeit und Verstaendlichkeit von neuen Online Medien: Was sind die Insignien von Autoritaet, Relevanz, Aktualitaet der neuen Online Medien? Was ist wichtig, welche Autoren oder Medien gelten als wichtig? Wie ist Orientierung, auch im Spannungsfeld zwischen aktiver Beteiligung und passiver Rezeption, moeglich?

  • Buecher vermitteln eine gewisse Basis von Wichtigkeit, daran haben mehrere Leute gearbeitet, mehrere haben entschieden, dass der Inhalt in dieser Form veroeffentlicht werden soll. Es sind Kosten entstanden, es wurden Ziele gesetzt; mit der Verbreitung von Buechern ist betraechtlicher Aufwand verbunden. Aehnliches gilt fuer Zeitschriften oder Zeitungen.
  • Online faellt dieser erste Filterfaktor weg. Wir koennen nicht gleich erkennen, ob diese Publikation ein Einzelprojekt ist oder eine groessere Unternehmung, ob das ein Testballon ist oder ein tatsaechlich durchdachtes Produkt.
  • Wenn wir herausfinden wollen, was wir von diesem Text halten sollen, muessen wir ihn lesen. Wir haben wenig Vorinformation, wenig Grundrauschen – wir muessen uns an anderen Kriterien organisieren, die wir aber erst lernen muessen: Moegliche Indizien sind etwa die Anzahl von Postings, Werbung, ein- und ausgehende Links. All das sind Indizien, die wir erst recherchieren muessen – und die immer auch gefaked werden koennen.
  • Woran kann Aktualitaet erkannt werden? – Grundsaetzlich ist das eine leichte Uebung, in der Praxis fuehren fehlende Datumsangaben oder relative Termine (heute, morgen, diese Woche) immer wieder zu schweren Usability-Problemen.
  • Online Medien muessen auch ausserhalb ihres urspruenglichen Kontexts funktionieren koennen: User steigen nicht immer ueber die Startseite ein, User nutzen auch eventuell gar nicht das ganze Medium, sie begegnen den Contents nur in Form von Suchergebnissen oder als RSS Feeds. Die Inhalte muessen auf jeden Fall unabhaengig davon funktionieren; jedes Stueck Content muss seine eigene Umgebung mitbringen.
  • Das gilt nicht nur fuer aktualitaetsbezogenen Nachrichtencontent. Jede Art von Content aus Blogs, Wikis, anderen wenig offiziellen kann veraltet sein – wenn wir die Publikationszyklen nicht kennen (die hier selten standardisiert sind), wissen wir nicht, ob der Content noch gilt. Die Zeitung von gestern ist mit Sicherheit nicht mehr aktuell; ein Blogeintrag von vor drei Monaten dagegen womoeglich sehr wohl.
  • Wie koennen wir in Online-Medien Relevanz diagnostizieren? Wer sagt uns, dass das wichtig ist, wem koennen wir glauben? Messgroessen wie Pagerank und Linkpopularity oder Blog-Authority sind eine moegliche Antwort; die Faehigkeit, sich in Netzen zu orientieren und dadurch Bezuege herzustellen, ist eine andere. Online-Medien entwickeln eigene Zitierregeln und bibliographische Codes; Namensnennung und Verlinkung von Quellen gehoeren zum guten Ton – sie koennen aber auch zum entlarvenden Selbstzweck werden. Referrer- und Link-Napping sind Versuche, der eigenen Seite mehr Relevanz zu verleihen, umgekehrt genau so aber auch ein Service fuer den User, um ihn direkt zu weiteren Informationen zu fuehren.

Aktivitaet ist die Voraussetzung, um neue Online Medien verstehen zu lernen


Fazit: Es liegt beim User, sich ein Bild zu machen.
Dieses Bild kann nur durch aktive Teilnahme entstehen. Online-Medien erfordern ein gewisses Mass an Beteiligung, um verstaendlich zu werden. Wikis haben sich beinahe schon zum unhinterfragten State of the Art entwickelt; viele Twitter-User starten ihre Tweet-Karrieren mit einem skeptischen “Mal sehen wozu das jetzt gut ist…”.
Allein aus der Anschauung erschliessen sich weder der Nutzen noch die konkreten Funktionen von Online-Medien. Wofuer sich was wirklich eignet, was Vorteile gegenueber anderen Medien bietet und was am besten zu den konkreten Anforderungen passt, das erschliesst sich nur im Selbstversuch unter Echt-Bedingungen. Es muss nich jeder selbst bloggen, um Blogs zu verstehen; die aktive Auseinandersetzung anhand eines relevanten Themas ist allerdings schon notwendige Voraussetzung. Wer nur gelegentlich ueber den Zaun schielt, kann eben nicht wirklich mitreden.
Ähnlich verschieden sind denn auch die Einschaetzungen, die sich ergeben: Nur 4 % der deutschen Online-Nutzer halten Blogs fuer glaubwuerdig; 34 % finden Blogs an sich pauschal entbehrlich. Den gegenueber steht eine – hier nicht naeher quantifizierte – Menge an Usern, deren alltaeglicher Medienkonsum praktisch ausschliesslich aus diversen Blogfeeds besteht.
Rein quantitativ ist das Gefaelle zwischen Blog-Skeptikern und Blog-Nutzern sicher ein sehr steiles das den – eben quantitativ bemessenen – Nutzen von Blogs vernachlaessigar erscheinen laesst. Allerdings stellt sich die Frage, welchen Informationsvorsprung – in Menge, Qualitaet und Tempo – der gewandtere Umgang mit Online-Medien bringt, und wo sich hier die Wege moeglicherweise vollstaendig trennen.

Studien zum digitalen Medienkonsum Jugendlicher konnten digitale Medien, Netzwerke, Chats bislang gern als Randerscheinungen, Jugendphaenomen, Zeitvertreib oder gar Gefahrenquelle behandeln. Neuere Studien kamen immerhin zu den Ergebnissen, dass das groesste Potential fuer unangenehme Erfahrungen nicht in Attacken von Terroristen oder Paedophilen besteht, sondern in der ganz gewoehnlichen Grausamkeit des Alltags: Dissen und Mobben durch Nachbarn oder Klassenkameraden ist auch in virtuellen sozialen Netzen Problemfall Nr. 1. – Der skeptische Ton blieb aber erhalten.
Das aendert sich ein wenig: Der aktuelle Report der Macarthur-Foundation zur Nutzung von Online-Medien, insbesondere auch Social Media, durch Jugendliche, laesst mit der Schlagzeile aufhorchen, dass es sich dabei keineswegs um Zeitverschwendung handle. Im Gegenteil: Netzwerke seien nicht nur ein guter Weg, soziales Verhalten in verschiedenen Umwelten zu erlernen, ihre Dynamik wird auch als wichtiger Lernfaktor zur Bewaeltigung moderner informationsbeladener Umwelten gesehen: “Youth are navigating complex social and technical worlds by participating online. Young people are learning basic social and technical skills that they need to fully participate in contemporary society. The social worlds that youth are negotiating have new kinds of dynamics, as online socializing is permanent, public, involves managing elaborate networks of friends and acquaintances, and is always on.”

Aktivitaet und Beteiligung bedeuten einen Verzicht auf Hierarchien


Der Umgang mit Medien und Inhalten ist dabei ein grundlegend anderer , was aber nicht immer eine Frage des Alters sein muss. Es ist eine Einstellungssache, ob durch Partizipation, Trial&Error, Frage&Antwort, direkte Auseinandersetzung gelernt wird, oder ob Beobachtung, Ueberlieferung und die Exegese von Experten im Vordergrund stehen.

Warum ist das wichtig; welche Fragen stehen hier eigentlich zur Diskussion?
Am Anfang stand eine Frage nach dem Hintergrund, dem Zweck und den Vorteilen neuer Online Medien. Diese Frage erzeugt bereits Distanz. Sie ist ein Zeichen von Skepsis und ein Versuch, neue Entwicklungen in bekannten Begriffen zu messen. – Wertungen im Sinne von gut oder schlecht, richtig oder falsch sollen hier keine Rolle spielen, die sich weiter oeffnende Schere in der Entwicklung ist allerdings deutlich sichtbar:

  • Nutzung unterschiedlicher Medien trainiert unterschiedliche Faehigkeiten.
    Entsprechend schneller oder langsamer finden sich User zurecht, entsprechend waechst auch der fuer sie wahrnehmebare und kontrollierbare Horizont.
  • Mit der Menge der Medien (als Werkzeuge) waechst die Menge der Medien als Inhalte, damit waechst auch der Medienmuell. Je schneller und geuebter gelesen werden kann, desto schneller und sicherer kann Muell sortiert werden – das fuehrt wieder zum Punkt des (quantitativen oder qualitativen) Informationsvorsprungs.
  • Mit der Differenz der wahrgenommenen Inhalte waechst oder schrumpft die gemeinsame Gespraechsbasis im Alltag, indirekt proportional dazu waechst oder schrumpft die Gelegenheit zu Missverstaendnissen.
  • Schliesslich entwickeln sich unterschiedliche Faehigkeiten – der in die Weite blickende Praeriebewohner steht dem Perspektiven und Distanzen nicht gewohnten Urwaldbewohner gegenueber. Unterschiedliche Auffassungen von Perspektive, Relevanz und bewaeltigbarer Informationsmenge fuehren zu unterschiedlichem Verhalten – und eroeffnen einen neuen offenen Diskussionsraum, der waechst und Distanz schafft. Wir vermissen ordnende Autoritaet – auf den ersten Blick scheint alles gleich wichtig.

Diese Divergenzen werden oft allein ueber die schiere Menge abgehandelt: Wir informieren uns zu Tode, wir kommen mit den Textfluten nicht mehr zurecht, wir sind nicht so multitaskingfaehig wie unsere Devices – solche Einwaende kennt man. Die Einschaetzung ist aber bereits eine Folge des wenig souveraenen Umgangs mit neuen Online-Medien. Gut trainierte Media Literacy koennte helfen, die Informationsflut einzudaemmen, indem – durch praktische Anwendung und gesammelte relevante Erfahrung – Relevanz, Aktualitaet und Zusammenhaenge besser eingeschaetzt werden koennen.

  • Ist das Hierarchie- und Autoritaetsproblem einmal geloest, dann ist bekannt, wer zu welchen Themen Sinnvolles sagt, welche Begriffe und Bezuge vermitteln Relevanz?
  • Wie kann quergelesen werden, um zu entscheiden, ob das einen zweiten Blick wert ist?
  • Wie koennen Tags, Kommentare, Ratings, weiterfuehrende Links genutzt werden, um den Text zu beurteilen?
  • Was sind allgemeine Qualitaetskriterien, wie und wo wird am schnellsten mehr ueber Autor und Medium herausgefunden?
  • Wen kann man fragen, in wessen Posts oder Kommentaren kann man die eigene Einschaetzung ueberpruefen?
  • Wie koennen Tools wie RSS Reader genutzt werden, um das eigene Leseverhalten aus der Vergangenheit zu analysieren – waren Beitraege dieses Autors interessant oder konnte man auch ohne sie leben?

Neue Kriterien zur Zielgruppendefinition: Erfahrung und Online-Alphabetisierung


(Neue) Kulturtechniken lassen sich zur Genuege beschreiben. Was davon ist wichtig, welche praktischen Schluesse koennen wir ziehen?
Medien sind grundsaetzlich dazu da, den Umgang mit Informationen zu erleichtern. Ueberfordern sie uns, so laeuft etwas falsch.
Aus einer anderen Perspektive betrachtet: Der Einsatz von neuen Online Medien wendet sich haeufig an wenig erfahrene User. Vor allem im internen Einsatz, etwa als Enterprise Social Network oder Intranet-Blog ist die Zielgruppe oft nicht medienaffin.
Daraus leiten sich Grundzuege fuer die Gestaltung ab
Einfach: fortgeschrittene Semantik spricht fortgeschrittene User an. Das mag gelegentlich praktisch sein, schliesst aber andere Userkreise aus. Einfache Benutzbarkeit bleibt nach wie vor ein wichtiges Kriterium; Wiedererkennbarkeit einmal gelernter Funktionen hilft beim Verstehen deutlich: Beziehungen muessen nachvollziehbar sein – egal ob historisch-linear, horizontal in die Breite gehend oder vertiefend. Wenn sie nur ueber bestimmte Abfragen sichtbar sind, ist das verwirrend. So ist es etwa einer der haeufigsten Kritikpunkte von Twitter-Einsteigern, dass ist Replies und Retweets nicht direkt inVerbindung mit dem Original sichtbar sind.
Verbindlich. Auch das neue Medium muss, wenn es als Medium wahrgenommen werden moechte, gewisse Standards einhalten. Wer spricht, mit welchem Ziel, warum? – Gerade in Netzwerken ist diese Information oft nicht ausdruecklich sichtbar; als Qualitaetsstandard (vor allem vor dem Hintergrund “klassischer” Medien) ist sie praktisch unverzichtbar. Sie schafft den Rahmen und die Orientierung, den Rahmen, in dem etwas erst verstanden werden kann.
Schluessig. Der Ton muss stimmen. Das ist auf allen Ebenen die wichtigste Anforderung an neue Online Medien. Der Ton, das Gesamtbild muss zur Community passen. Aus einer fortgeschrittenen Perspektive bedeutet das oft Verknappung, Weglassen von Unnoetigem und bereits Bekanntem; aus einer Einsteigerperspektive erfordert das zusaetzliche Erklaerungen, Kontext und Anleitungen, die ueberall praesent sein muessen, nicht nur auf Hilfeseiten.

Es ist offensichtlich, dass Zielgruppen sich nicht nur anhand demographischer oder sozialer Merkmale unterscheiden, sondern zusehends auch durch ihre Medienerfahrung: Gewisse Inhalte und Formen funktionieren einfach nicht mehr fuer alle. – Ein Problem, das einst eines der Avantgarde war, ist jetzt eines kommerzieller Medienbetreiber. Die Vielzahl an Fachevents, Konferenzen, Seminaren und digitalen Alphabetisierungs-Initiativen sind eindrucksvoller Beweis fuer den entstandenen Lernbedarf.

Waehrend die eine Haelfte das Tempo und Ausmass der Veraenderung beklagt und vor der Informationsflut und Formenvielfalt steht wie der Analphabet vor der Bibliothek, der Literaturpapst vor einer vollstaendigen Jerry Cotton Sammlung, der Gourmet vor dem Kantinenessen (oder umgekehrt – wir sind wertfrei), produziert die andere Haelfte munter weiter, vervielfacht das Problem von Tag zu Tag – und hat ueberhaupt kein Problem damit.
Dieser Unterschied ist nicht nur quantitativ; er beschreibt verschiedene Welten. Und das Ausmass des Unterschieds waechst laufend.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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