Spiderman ist der Proto-Liberale

Spiderman ist der Proto-Liberale

Freiheit gibt es eben nicht geschenkt.
Als ich studiert habe, waren behaviouristische Ökonomie-Modelle in Mode. Das sind die, die bestimmte egoistische menschliche Verhaltensweisen postulieren und daraus Wirtschaftsorganisationsmodelle ableiten, die mit Rationalität argumentieren, als gäbe es keine Werbung, und die auf Grund dessen auf Freiheit pochen; schliesslich könne jeder selbst seine eigenen Interessen am besten verfolgen. WU-Studenten haben dann oft von Freiheit geredet und Hajek-Zitate eingestreut, und ich (als Philosophie-Student) immer so: „Hä?”
Ähnlich ist es mir gestern beim NZZ-Clubabend zu Liberalismus gegangen. Wirtschaft und Freiheit, das sind auf eine Ideenebene Dinge, die nicht zusammengehen. Man schliesst Verträge, diktiert Zahlungskonditionen, setzt Pönalen fest und arbeitet eine Fülle von Regelwerken aus – das verträgt sich schlecht mit Freiheit. Zugleich zeigt es auch eine sehr wesentliche Eigenschaft von Freiheit: Sie existiert in ihrer reinen Form immer nur für einen unfassbar kurzen Moment. Jeder soll frei von allem und frei für alles sein. Schön, um um diesen Moment nicht sofort umkippen zu lassen, brauchen wir dann Regelungen, die dafür sorgen, dass einige ihre Freiheit für alles nicht dafür einsetzen, die Freiheit anderer einzuschränken.
Jeder ist frei, die Verträge einzugehen, die er möchte – aber sobald er oder sie das getan hat, ist Schluss mit der Freiheit. Dazu braucht es noch keine autoritären oder radikalen Strömungen.
Das ist natürlich eine theoretische Überlegung – genauso theoretisch wie die Debatte um einen echten oder vollwertigen Liberalismus. Für mich ist in dieser Debatte Freiheit immer weniger das zentrale Thema. Wichtiger sind Verantwortung und die Wahl von Autoritäten. Natürlich setzen beide Freiheit voraus. Wo Freiheit herrscht, gibt es weniger Ausreden – damit entsteht Verantwortung. Die Verantwortung dort zu belassen, wo Entscheidungen getroffen werden, kann natürlich zu besseren Ergebnisse führen: Die Bank, die selbst für Anlageformen haftet und sich nicht hinter formalisierten Ratings von externen Agenturen verstecken kann, wird vorsichtiger beraten. Aber was machen wir, um ein Beispiel des Abends heranzuziehen, mit der Energiesparlampe? Vorausgesetzt, deren Verordnung ist wirklich ökologisch motiviert und sinnvoll, ist es auch hier sinnvoll, die Entscheidung dem einzelnen zu überlassen? Mir persönlich wäre es vollkommen egal, wenn meine monatliche Stromrechnung das Doppelte ausmachen würde (Disclaimer: Ich verbrauche wenig Strom. In den letzten acht Monaten waren es laut WienEnergie-Abrechnung 350 kWh – das entspricht einem Verbrauchspreis von 25,80 €), aber ich halte es auch aus nicht-ökomonischen Gründen für sinnvoll, wenig Energie zu verbrauchen. Wen ziehen wir zur Verantwortung, wenn sich herausstellt, dass es doch nicht gereicht hat, dass der steigende Stromverbrauch negative Folgen hat? Kein sehr freiheitsförderliches Szenario.
Das führt zu Frage der Autoritäten. Wessen Argumente und Entscheidungen anerkennen wir, welche Eingriffe in Freiheiten akzeptieren wir? Jetzt wäre die liberale Idealsituation natürlich, dass das ideologiefrei passiert. Das funktioniert aber praktisch nicht. Hier spielen immer Werte und damit Ideologien eine Rolle. Wir akzeptieren das, wovon wir glauben, dass es und näher an die Welt bringt, die wir uns wünschen.
Der Fundamental-Liberale, der Freiheit als absoluten Wert setzt, hätte seine Rolle dann nur in der ersten Reihe fußfrei als Zuseher – denn jede seiner eigenen Handlungen würde die Freiheit eines anderen einschränken. Jedes Ergebnis wäre ihm recht, Hauptsache es ist durch freie Entscheidungen entstanden. Der pragmatische Liberale sieht dagegen vielleicht Verantwortung als zentrale Komponente. Freiheit räumt viele Möglichkeiten ein – wo es viele Optionen gibt, gibt es auch viele verschiedene Konsequenzen. Deswegen eben Spiderman: “Whatever life holds in store for me, I will never forget these words: “With great power comes great responsibility.” This is my gift, my curse. Who am I? I’m Spiderman.”
Bringt uns das weiter? In mancher Hinsicht schon. Denn es macht klar, dass Einschränkungen der Freiheit nicht nur vom Staat kommen. Sie entstehen auch in anderen, scheinbar praktischen Zusammenhängen. Und die werfen dann die Frage auf, wer hier verbindliche Entscheidungen treffen können soll, die auch durchsetzbar sind. Der fatale Nebeneffekt dabei: Je weniger übergreifende, irgendwo ideologisch begründete Leitmotive es gibt, desto mehr Entscheidungen im Einzelfall werden notwendig.
Wie diese Entscheidungen zustande kommen, das ist eine andere Frage. Das setzt wieder freie Bürger voraus, die ihre Autoritäten selbst wählen. Und das möglichst öfter als alle fünf Jahre anhand von Wahlprogrammen, die niemand liest.
Und Verantwortung, um gleich ein beliebtes Gegenargument zu beantworten, ist nicht Paternalismus. Es ist eher eine Frage der Fähigkeit, in sich konsistente Gedanken entwickeln zu können. Aber darüber habe ich mich schon ausführlich ausgelassen.
Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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